Die Prinzessin und der Surferboy

799 45 3
                                    

  Wer er auch immer war, es sprach alles dafür, das er nicht der Sohn von Armand und Thérèse sein konnte. Sein Akzent ähnelte eher dem meinen, allerdings nicht klassisch britisch. Ich griff nach dem Telefon, das zu seinen Füßen lag, ehe ich aufsah. Er war so was von nicht mit den beiden verwandt. Etwas längere dunkelblonde Locken umrahmten das kantige Gesicht. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen.

  »Andere Sprache?«, fragte er langsam.

  »Nein, alles gut. Ich...«

  »Du bist die Neue.« Er hielt mir seine Hand entgegen. »Kyle.«

  Das also war Kyle. Kyle, der mir alles zeigte? Wie kam er wohl auf die Idee in einem Chalet zu arbeiten? Und warum hatte ich mir einen trotteligen Bauernjungen vorgestellt? Dem entsprach er nicht. Nicht mal im Ansatz.

  »Mia.«

  »Freut mich, Mia.«

  Die Tür, zu der Thérèse vor wenigen Minuten herausspaziert war, schwang auf. Ehe ich mich versah, nahm er ihr das Tablett ab und platzierte es auf dem kleinen Tisch vor dem Feuer.

  »Dann hast du Kyle also schon getroffen.« Thérèse nickte ihm dankbar entgegen. »Zeigst du ihr alles? Ich werde gleich zu den Ferienhäusern in Lombrette fahren. Wir erwarten noch Gäste für die kommenden Tage.« Sie sah erst zu mir und dann zu ihm.

  »Kein Problem.«

  »Und Kyle, gib dem armen Ding eine Jacke, aus dem Schrank.«

  Sein raues Lachen erhellte den großen Raum und ich wäre am liebsten Tief in die Kissen des gemütlichen Sessels versunken. Er hielt mich sicher für ein naives blondes Püppchen, das keinen Gedanken daran verschwenden würde, wie kühl es in Kanada war. Im Grunde lag er damit nicht falsch. Ich hatte die Kälte unterschätzt. Aber ein dümmliches Mädchen war ich sicher nicht.

  »Wird erledigt.«

  Ich überlegte, woher dieser Akzent kam, mit dem er sprach. Indes nahm er sich eine der beiden Tassen, setzte sich in den Sessel gegenüber und musterte mich. Thérèse hob zum Abschied die Hand und schon war sie verschwunden. Hier ging es ja zu wie in einem Taubenschlag.

  »Thérèse und Armand haben einige weitere Gästehäuser, um die sie sich kümmern. Mittags und abends kommt eine Köchin vorbei. Marise. Das Frühstück ist deine Aufgabe.« Er schob die andere Tasse zu mir hinüber. »Die Gästezimmer reinigen wir gemeinsam, genauso wie den Stall. Um die Boote kümmere ich mich.« Er sah mich über den Rand der Tasse an. »Wir werden viel Zeit miteinander verbringen, Mia.«

  Es klang so routiniert, dass ich mich fragte, wie lange er schon hier war.

  »Okay.« Ich griff nach der anderen Tasse und genoss die himmlische Wärme, die von ihr ausging.

  »Kein Mensch großer Worte?«

  Was sollte ich ihm erzählen? Meine traurige Lebensgeschichte sicher nicht. Und um ehrlich zu sein, beschäftigte mich noch immer die Frage, was für ein Akzent das war, mit dem er sprach.

  »Wo kommst du her?«

  »Gleich die ganz persönlichen Fragen, Mia?« er strich sich kurz über sein kantiges Kinn. »Rate.«

  Wenn ich hätte Ratespiele spielen zu wollen, hätte ich es gesagt. Ich rollte die Augen.

  »Dein englisch ist gut, aber dieser Akzent«, gab ich zu. »Ich kann ihn nicht einsortieren. Du klingst weder wie ein Brite noch wie ein Ire.«

  »Australier.« Er nippte an seinem Tee.

  »Das ist am anderen Ende der Welt.«

  »Kann man so sagen. Aber ist von hieraus nicht alles am Ende der Welt?«

  Mir lag die Frage auf der Zunge, wie er um alles in der Welt darauf kam, hier her zu kommen. Aber wie bei mir gab es sicher auch bei ihm Gründe.

  »Birmingham? London? Oder eher außerhalb, Prinzessin?«

  »Farnborough, aber ich lebe in London.« Seine Worte zeigten mir schnell, für wen er mich hielt.

  »War mir klar, dass du aus einer Großstadt bist.«

  War es so offensichtlich?

  »Und du? Surfer aus Sydney?« Es klang genauso frech, wie seine Worte. Wenn er mich in eine Klischeekiste steckte, war es an mir ihn ebenfalls in diese zu packen. Alles an ihm schrie nach einem australischen Surfer. Es war zu leicht, ihn mir mit einem Brett unter dem Arm am Ozean vorzustellen, wie er auf das Wasser sah. Auf diese eine perfekte Welle wartend.

  »Andere Seite des Landes. York, das liegt bei Perth.«

  »Da du den Surfer nicht abstreitest, war das dann wohl ein Treffer.«

  »War Prinzessin auch einer?« Er hob die linke Augenbraue leicht an und grinste.

  »Autorin, die nicht über Prinzen und Prinzessinnen schreibt.« Ich legte mein Telefon auf den Tisch. Das Display leuchtete kurz auf und offenbarte das Foto von Wes und mir. Ich hatte keine Chance den Bildschirm schnell genug auszuschalten.

  »Findet er es gut, dass du hier bist?« Mit einem Kopfnicken deutete er auf mein Telefon.

  Ein wunder Punkt. Der Schmerz, den seine Worte auslösten, zeichnete sich deutlich in meinem Gesicht ab. Er sah mich entschuldigend an.

  »Ich zeige dir gleich alles und dann kommst du später mit zu Luc. Da treffen sich die Leute die hier so arbeiten.«

  Ich nickte, zu mehr war ich gegenwärtig nicht im Stande.

  Die Stimmung zwischen Kyle und mir blieb selbst bei unserem Rundgang angespannt. Das große Wohnzimmer des Haupthauses kannte ich ja bereits. Ehe wir die Küche betraten, legte er etwas Feuerholz im Kamin nach. Ich war für das Frühstück zuständig, daher erklärte Kyle, mir wo ich die Sachen fand, die ich dafür brauchte. Anstatt aufzupassen, staunte ich über die Größe der Küche und fragte mich, wie lange es dauerte, sich darin zurechtzufinden. Weiter ging es im Esszimmer, den ein Tisch schmückte, an dem meine gesamte Familie platz hatte.

  »Man legt viel Wert auf ein familiäres Ambiente. Daher Essen wir gemeinsam mit den Gästen.« Er deutete mir an, ihm zu folgen. Die Gästezimmer. Es gab fünf Zimmer mit Kingsizebett, Schrank und einer Sitzecke. Zwei Familienzimmer, in denen zusätzlich je ein Hochbett stand und eine Suite, die neben dem großen Bett eine Badewanne, Sauna und einen eigenen Balkon, mit Blick auf den Fluss, besaß. Aktuell waren drei der kleinen Zimmer gebucht.

  Dann traten wir durch eine Tür im Flur in den Anbau.

  »Hier schlafen Thérèse und Armand.« Er deutete auf die erste Tür. »Da hinten ist mein Zimmer und dein Reich, Prinzessin, ist hier.« Er stieß eine der Türen auf und ich stand in einem Raum mit drei Betten. Eines davon war frisch bezogen. Es gewährte freie Sicht auf das Fenster und damit auf den Sankt Lorenz Strom.

  »Ich war mal so frei.« Kyle lehnte lässig am Rahmen, als wäre er Teil einer Jeanswerbung.

  Ich sah mich staunend um. Mit einem so großen Zimmer hatte ich nicht gerechnet. Auch nicht mit einem solchen Ausblick.

  »Danke.«

  »Ah und die Jacke, warte.« Er lief auf einen Schrank um Flur zu. »S oder?« Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, zog er einen schwarzen Parker heraus und gab ihn mir.

  »Das WLAN-Passwort habe ich dir auf den Nachttisch gelegt, denn der Empfang wird nicht reichen um Prinz Harry zu schreiben, das du gut angekommen bist.« Er war auf seine Tür zugelaufen. »Richte dich ein, in einer Stunde zeige ich dir den Stall und ein bisschen die Umgebung.«

  Ich würde erst mal das Hintergrundbild auf meinem Telefon ändern. Auch wenn er mit Prinz Harry wohl nicht Wes meinte. Ich ließ mich auf das Bett fallen und sah aus dem Fenster, hinaus auf den Strom. Vor mir lag mein größtes Abenteuer.

behind the curtainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt