Ich wusste schon, warum ich mein Telefon zurückließ, denn Ebony hatte mir noch eine Sprachnachricht geschickt. Eine, die darauf schließen ließ, dass sie mit ein paar Kollegen zuvor im Pub war.
»Sei verrückt, Mia. Halte dich nicht zurück, auch nicht, was dieses Sahneschnittchen angeht. Mache Fehler und genieße es« plapperte meine beste Freundin in der fast fünfzehnminütigen Nachricht weiter, die sie mir gesendet hatte. Inwieweit man ein gebrochenes Herz genießen konnte, erschloss sich mir nicht »Ich bin letztens auf einen Typen auf Insta gestoßen, der sah deinem Surferboy verdammt ähnlich. Wenn ich ihn finde, schicke ich dir mal das Bild von ihm. Kannst ihn ja fragen, ob sie verwandt sind und wenn ja, ob der zu haben ist, also der Insta-Kerl. Surferboy gehört ja schon dir.« Ich rollte die Augen und tippte ein, dass sie mir das gar nicht schicken brauchte, da ich Kyle sicher nicht solche peinlichen Fragen stellen würde und lauschte weiter ihren Worten.
Ein Knacken ließ mich aufschrecken. Leise Schritte über den Flur, gefolgt von dem Quietschen einer Tür. Der Hinterausgang und da Kyle neben mir der Einzige war, der heute hier im Haus war, konnte es nur er sein. Mein Blick huschte zur Uhr. Es war weit nach Mitternacht. Ich stoppte die Nachricht von Ebony, warf mir den Parker über und trat kurz darauf hinaus in die Kälte. In den Wochen, die ich schon hier war, war mir nie aufgefallen, dass Kyle nachts das Haus verließ. Ich hatte einen leichten Schlaf und schreckte bei jedem Geräusch hoch. Es wäre mir sicher aufgefallen. Was war es, dass Kyle nicht schlafen ließ? Wir waren vor einer Stunde aus dem Luc zurückgekommen und dort war die Stimmung zwischen uns gelöst. Selbst nach dem kurzen Anruf seiner Familie wirkte Kyle fast schon vergnügt. Entspannter, wie an all den anderen Tagen, die wir bisher zusammen verbrachten. Was war es, das ihn hierherführte? Er wirkte nachdenklich, in sich gekehrt. So wie an den ersten Abenden im Luc. Er saß auf der Treppe, sah hinaus in die Dunkelheit. Eine Zigarette in seinen Händen. Mir war nie aufgefallen, dass er rauchte, und so viel Zeit, die wie wir miteinander verbrachten, wäre es mir sicher nicht verborgen geblieben.
»Hey, seit wann rauchst du?« Ich setzte mich neben ihn, sah das Glas Whiskey in seiner Hand.
»Ich rauche, wenn ich trinke und meinen Kopf nicht abschalten kann.« Er ließ die Hand sinken, sah genervt auf die Glut. In seinem Leben schien einiges nicht so zu laufen, wie er es gerne hätte.
Ich nahm ihm die Zigarette aus den Fingern, knipste die Glut ab und legte den Rest des Glimmstängels zur Seite. Es schien ihm nichts auszumachen. Dann griff ich nach seinem Glas und trank einen Schluck des Whiskeys. Definitiv kein Ardbeg. Der kratzige, schwer rauchige Geschmack ließ mich kurz husten, was Kyle ein Lachen entlockte.
»Nicht deine Sorte, oder?« Ein sanftes Lächeln huschte über das sonst eher traurig wirkende Gesicht.
»Acht mal, hast du gesagt?« Ich nippte erneut daran, ehe ich es ihm reichte, und erinnerte mich an das Telefonat, kurz vor unserem Ausflug nach Quebec City. Dass seine Familie nicht erfreut war, dass er hier war und vor etwas davon zu laufen schien. Sicher war das Gespräch vorhin im Luc kein bisschen besser gelaufen. Es wirkte, als würde er vor ihnen, oder seiner Verantwortung wegrennen.
»Stress mit der Familie?«, fragte ich daher direkt, lehnte mich ein Stück nach hinten und stützte meine Hände auf dem kalten Holz ab und sah in Richtung des Stroms, der im fahlen Mondlicht schimmerte.
»Familie.« Er schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck aus dem Glas. »Es wäre leicht, wenn es nur die Familie wäre.« Er fuhr sich mit der freien Hand kurz über sein Gesicht.
»Wir können hier sitzen und einfach in die Dunkelheit starren. Vielleicht sehen wir einen Bären, einen Elch, oder Polarlichter«, bot ich ihm an. Er musste mir nicht sagen, was los war. Manchmal half es schon, wenn man wusste, dass jemand da war. Selbst wenn man nicht redete. Ebony und ich saßen oft einfach zusammen an der Themse, sahen hinaus auf das Wasser und die verwaschenen Spiegelungen der Stadt. Mit den passenden Menschen konnte Schweigen durchaus heilsam sein.
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behind the curtain
Romance»Siebzehn Stunden Flugzeit, sieben Stunden Zeitunterschied, siebentausend Meilen« Eine Auszeit in Kanada, fern ab ihres Ex-Freundes Wes, um ihre Muse zu finden. Das klang bei einer Flasche Rotwein für die junge Autorin Mia Hayes noch wie ein guter P...