Morgens früh aufzustehen, um das Frühstück vorzubereiten, war mir nach der langen Nacht im Luc nicht leicht gefallen. Wer abends trinken konnte, der konnte am nächsten Morgen auch arbeiten. Wer dieses Sprichwort damals erfand, hatte entweder nicht gearbeitet oder war gar nicht so lange wach geblieben, wie er behauptete. Um ein wenig auf die Beine zu kommen, hatte ich mir meine Kopfhörer genommen und lauschte der Gute-Laune-Playlist. Eier waren schnell gebraten und ruhten bereits neben dem Bacon in einem wärmenden Behälter. Der Obstsalat für das Müsli war ebenfalls gerichtet. Zuletzt nahm ich mir die Pancakes vor. Ich aß sie selbst am liebsten frisch aus der Pfanne. Um die Wartezeit zu überbrücken, die sie brauchten, um Farbe zu bekommen, wackelte ich im Takt der Musik mit. Es gab nur die Pancakes, diesen einen Song und mich. Der Rest der Welt blieb verschwommen. Ich war sicher einer der wenigen Menschen, die verstand, warum Familien in Filmen in der Küche tanzten. Ich tat es auch oft. Ließ mich von den Melodien mitreißen.
»Verbrenn dir die Finger nicht«, hörte ich eine Stimme dicht an meinem Ohr und schon griff eine Hand nach einem der Pancakes auf dem Teller neben der Pfanne.
Mit einem finsteren Blick drehte ich mich um und sah in die blauen Augen von Kyle, der direkt vor mir stand und verschmitzt grinste.
»Guten Morgen Prinzessin, was hörtst du schönes?« Ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten, griff er nach einem meine Kopfhörer und steckte diesen in sein Ohr. Dann wendete er sich damit ab und ich sah ihm unschlüssig hinterher.
»Lieblingsband?«, fragte er nur, griff sich ein paar der Orangen, die für den frischen Saft waren.
»Habe ich nicht.«
»Komm schon, jeder hat eine Lieblingsband, oder einen Künstler, den er mag.«
»Vielleicht ist das bei dir so. Ich höre was mir gefällt. Der Künstler dahinter spielt keine Rolle. Ich höre was mich bewegt, ein Gefühl in mir auslöst.« Meine Worte schienen ihn zu erstaunen, denn er drehte sich zu mir um, musterte mich einen Moment.
»Verrate mir, Prinzessin, was steckt für dich in diesem Song.« Es klang nach ehrlichem Interesse, als wolle er verstehen, wie ich Musik verstand. Er setzte sich auf den Holztisch und sah mir in die Augen, um einen tiefen Blick in meine Seele zu erhaschen und nippet an seinem Orangensaft.
»Drehen wir den Spieß um, Surferboy. Hör dir einen Song mit geschlossenen Augen an und spüre ihn.« Ich nahm den zweiten Kopfhörer und streckte ihm diesen in das andere Ohr, ehe ich ein Lied wählte. Eines das mir tief unter die Haut ging. Aber es transportierte so viele Emotionen, von denen ich hoffte, er würde nur einen Bruchteil spüren, um zu verstehen, was ich empfand.
Indes wendete ich mich den Pancakes zu. Ein leises Summen verriet, dass er das Lied kannte. Ich sah über meine Schulter zu ihm. Ihn zu sehen, wie er mit geschlossenen Augen auf dem Tisch saß und leicht im Takt mitschwang, bescherte mir eine Gänsehaut. Sein Anblick fesselte mich mehr, als er sollte. Vielleicht, weil es das erste Mal war, das ich jemanden sah, der Musik ebenfalls anders erlebte.
»Du fühlst dich also allein, in dieser großen weiten Welt, weil dich keiner versteht. Keiner versteht, wie du die Musik fühlst und keiner versteht, dass es nicht das Leid ist, was dich schreiben lässt, sondern das Glück und weil es dir fehlt, suchst du es verzweifelt.« Er rutschte vom Tisch herunter, griff nach dem Glas voller Orangensaft und nahm einen großen Schluck, ehe er mir die Kopfhörer in meine Hand legte. »Du bist nicht allein, Mia.« mit diesen Worten schritt er durch die Tür zum Wohnzimmer. Mir blieb nichts anderes, als ihm wortlos hinterher zu sehen. Ich war mir sicher, dass, meine Gedanken über ihn nicht verkehrt waren. Er war nicht nur hier, weil er eine Auszeit von der Farm seines Vaters suchte. Da war mehr. Und ich war mir sicher, ich würde herausfinden, was es war. Welche Geschichte sich hinter diesem attraktiven Gesicht verbarg, das trotz allem tiefe Schatten zeichnete.
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behind the curtain
Romance»Siebzehn Stunden Flugzeit, sieben Stunden Zeitunterschied, siebentausend Meilen« Eine Auszeit in Kanada, fern ab ihres Ex-Freundes Wes, um ihre Muse zu finden. Das klang bei einer Flasche Rotwein für die junge Autorin Mia Hayes noch wie ein guter P...