[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]
Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, während sich sein Herzschlag dem langsamen Rhythmus anpasste. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sich Taris auf die ihm innewohnende Magie und richtete seine linke Handfläche gen Himmel. Es genügte ein bloßer Gedanke, um eine Feuerkugel erscheinen zu lassen. Mit einem weiteren rief er einen Feuerling zu sich. Während Taris auf den Vogel wartete, verankerte er eine Botschaft in der Kugel. Seine Fingerkuppen prickelten unter der Magie und erwärmten sich.
Einen normalen Menschen hätten die Flammen verbrannt, ihn jedoch nicht. Er war Taris Sol, Nachfahre des mächtigsten und stärksten Magiergeschlechts der acht Königreiche Nabúrs. Die Botschaft in Form der Feuerkugel sollte seinem Onkel überbracht werden, der als Priester im Tempel des Artefakts über eine Reliquie wachte. Jede Königsfamilie besaß solch einen Gegenstand, welcher aus der Zeit des Beginns aller Magie stammte. Im Falle der Familie Sol war es ein Ring, der traditionellerweise bei der Krönungszeremonie weitergegeben wurde.
Lautlos landete der Feuerling auf seiner Schulter und bohrte die Krallen in den olivfarbenen Reiseumhang. Seit jeher standen die stolzen Tiere mit den Nachfahren der Sol in Verbindung. Heute überbrachten sie in erster Linie Botschaften an andere Königsfamilien oder Familienmitglieder. In den Legenden aber kämpften sie Seite an Seite mit den Feuermagiern und riskierten ihr Leben für sie. Taris öffnete die Augen und kraulte das blau-grün gefiederte Tier, das den Kopf an seinem dunklen Bart rieb. Dann streckte er den rechten Arm von sich und der Vogel wanderte bis zu seinem Handgelenk. Interessiert legte der Feuerling den Kopf schief und beäugte den Feuerball, der in allen Nuancen von Gelb bis Dunkelrot leuchtete.
»Überbringe diese Botschaft auf direktem Weg meinem Onkel. Sie ist vertraulich«, sagte Taris. Die Augen des Tieres wanderten zum Prinzen, als würde es nach den Beweggründen fragen wollen. Doch schon im nächsten Moment öffnete es seinen Schnabel und saugte die Feuerkugel ein. Taris streckte den Arm in die Höhe und der Feuerling schraubte sich mit ein paar kräftigen Flügelschlägen in die Höhe, bevor er nach Osten abdrehte.
Selbst wenn ihn der Vogel nach den Beweggründen für den Inhalt der Botschaft gefragt hätte – Taris wäre nicht imstande gewesen, ihm zu antworten. Auf den Wunsch seines Vaters hin hatte er bereits vier der fünf erforderlichen Prüfungen für einen vorzeitigen Thronwechsel bestanden. Die letzte würde im Tempel der Artefakte stattfinden, von welchem er die heilige Familienreliquie mitbringen sollte. Mehr als einmal hatte der Prinz seinem Vater die Beweggründe für sein Abdanken zu entlocken versucht. Erfolglos.
Normalerweise lag Taris um diese Uhrzeit lesend in seinem Bett oder spazierte entlang des Baches im Palastgelände. Wenn er sich zu lange in den Gasthäusern der Stadt herumgetrieben hatte, kam es auch vor, dass er noch schlief.
Heute aber stand er im Schatten der Allee aus Zitrusbäumen, die den weiß gepflasterten Weg vom Tor zum Palast säumte. Links und rechts dehnten sich angelegte Gärten mit geschotterten Pfaden, Springbrunnen und zurechtgestutzten Sträuchern aus. An einer Seite des Palastes gab es sogar ein Labyrinth aus dicht gesetzten Sträuchern, deren fleischigen Blätter das seltene Regenwasser auffingen.
Seufzend kämmte Taris sich durchs dunkelbraune, kurze Haar. Seine Füße steckten in ledernen Wanderstiefeln und die Satteltaschen seines Pferdes füllten nicht nur Vorräte, sondern auch ein Rucksack. Er trug eine knielange, braune Hose und ein weißes, fein gewebtes Hemd mit offener Schnürung über dem Brustkorb. Den Reisemantel darüber zierten goldene Stickereien, die neben stilisierten Feuerlingen auch das Wappen seiner Familie zeigten: eine stilisierte Flamme inmitten einer achtblättrigen Blüte.
Sein Hengst hinter ihm wieherte leise und scharrte mit den Hufen. Er stand zwar im Schatten der Allee, konnte es aber nicht erwarten, endlich mit seinem Herren loszureiten.
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Taris - Die Magie der Artefakte
FantasyWofür würdest du dich entscheiden, wenn das Schicksal des Kontinents mit in deinen Händen läge? Für eine Geheimmission voller Gefahren, um die Pläne des Feindes zu vereiteln? Oder für den Thron des mächtigsten Königreiches? Vor dieser Wahl steht der...