[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]
Mit pochender Schulter kam Taris hinter Asideya zum Stehen.
»Was ist passiert?«
Die Südländerin kniete vor der Steinpyramide und winkte ihn zu sich hinunter, anstatt ihm zu antworten. Mit gerunzelter Stirn beugte er sich nach vor – und erstarrte.
Blumen wuchsen rund um die Steine aus dem Waldboden. Gerade in diesem Moment rankte sich eine Pflanze bis zur obersten Spitze hinauf, wo sie einen gelb-orangenen Blütenkelch präsentierte, der in Taris' Richtung wippte. Als würde sie mir zunicken, schoss es durch seinen Kopf. Eine Feuerblume. Freudiges Kribbeln zog sich durch seinen Körper. Es gab keine andere Erklärung, als dass er diese Pflanzen mit Magie hatte wachsen lassen. Aber wie? Er beherrschte doch keine Erdmagie!
»Was ist los?«, klang Hedlors Stimme durch den Wald, gefolgt von den polternden Schritten der Gefährten. Sie hielten ihre Waffen hoch erhoben und blickten fragend umher.
»Das hier.« Asideya erhob sich und deutete auf die Steinpyramide zu ihren Füßen. Just in dem Moment öffneten sich weitere Blütenkelche der Feuerblume und alle zeigten in die Richtung des Feuerprinzen.
Fynnlor riss die Augen auf. »Warst du das? Kannst du wieder auf deine Magie zugreifen?«
Anstatt eine Antwort zu geben hielt Taris seine rechte Handfläche nach oben, um darauf eine kleine Flamme tanzen zu lassen. Er stellte sie sich bis ins Detail vor, aber nichts geschah. Stattdessen stahl sich die Kühle des Adhenoj auf seine Handfläche. Frustriert ließ er seine Hand wieder sinken und schüttelte sie, um das Gefühl von wachsenden Eiskristallen darauf loszuwerden. Er sah zu den Feuerblumen, um sich den enttäuschten Ausdruck in den Gesichtern seiner Gefährten zu ersparen.
Warum kann ich Blumen auf einem Steindenkmal wachsen lassen, aber keine einfache Flamme erschaffen?, fragte er sich. Diesen Gedanken teilte er aber nicht mit seinen Freunden. Stattdessen sagte er: »Vielleicht steckt die Magie des Waldes dahinter.«
Mit einem Brummen drehte sich Hedlor um und stapfte zurück zum Lager. Über die Schulter rief er den anderen noch zu: »Wir sollten uns auf den Weg machen, bevor es sich diese Wölfe noch anders überlegen.«
Alle außer Marel und Taris folgten dem Nordmann. »Du hättest dich gefreut, deine Magie wiederzuhaben, stimmts?«, fragte der Ältere und berührte einen der Blütenkelche sachte. Dieser wippte daraufhin kräftiger, schwenkte aber nicht von dem Feuerprinzen weg.
»Natürlich. Es würde vieles einfacher machen.«
»Aber würde das nicht Rakis Opfer schmälern?«, fragte er mehr sich selbst als seinen Gefährten. Der Holzfäller schloss seine Augen wie zu einem kurzen Gebet. Als er sie wieder öffnete, glänzten Tränen darin und er räusperte sich, bevor er weitersprach. »Ich habe den Jungen gemocht. Meine ältere Tochter ist in etwa im gleichen Alter wie er. Ich möchte mir nicht ausmalen wie es wäre, sie zu verlieren. Ob an den Feysir oder aus anderen Gründen.«
»Ich werde ihn auch vermissen. Und den Feysir aufhalten. Mit oder ohne Magie.«
Den Rest des Vormittags hüllte die Gefährten nicht nur ihr eigenes Schweigen ein, sondern auch die Nebelschwaden des Waldes. Nach der Mittagsrast schien sich das Weiß noch weiter zu verdichten und Taris, der die Gruppe anführte, konnte keine drei Bäume mehr weit sehen. Die Stille des magischen Waldes drückte ihm ebenso schwer aufs Gemüt wie der Verlust von Raki und ihn quälten die Fragen, ob seine Entscheidungen richtig gewesen waren.
Hätte ich meinen Vater länger bearbeiten sollen, damit er mich aus freien Stücken hätte ziehen lassen? Wäre es besser gewesen, Raki früher nach Hause zu schicken oder gar nicht erst mitzunehmen? Soll ich das Leben der Anderen ebenso aufs Spiel setzen, indem ich ihnen erlaube, mit mir zu gehen? Oder soll ich einfach im dichten Nebel verschwinden und mich so schnell als möglich zum Feysir durchzukämpfen und mich opfern, um ganz Nabúr zu retten?
Seine Gedanken drehten sich im Kreis, doch er fand keine passenden Antworten auf die Fragen, die ihn innerlich zerfraßen. Mit jedem Schritt kroch die Feuchtigkeit weiter unter sein Gewand und er holte seinen Mantel hervor, um sich davor zu schützen. Aber schon bald stellte er fest, dass ihn das Kleidungsstück nicht vor der inneren Kälte Schutz bot. Vor dem Adhenoj, das seit dem Kampf mit den Wölfen immer wieder wie ein eisiger Atem durch seine Venen floss. Als würde es ihn daran erinnern wollen, dass es seine Magie nach wie vor unter Kontrolle hatte. Und damit einen Teil von ihm.
Eine weitere Frage, auf die er keine Antwort wusste, drängte sich ihm wieder ins Bewusstsein: Warum sind Feuerblumen auf Rakis Steinpyramide gewachsen? Ich hatte mir zwar vorgestellt, dass sie die Tristheit vertreiben könnten, aber ich trage doch keine Erdmagie in mir! Und warum haben sich alle Blütenkelche zu mir gedreht? Gerade über Letzteres schmunzelte er am meisten. In der Tierwelt gab es viele Beispiele von Jungtieren, die sich direkt nach der Geburt an jene banden, die sie als erstes sahen. Egal ob leiblicher Elternteil oder nicht. Aber Pflanzen?
Plötzlich lichtete sich der Nebel ein wenig. Taris blieb so abrupt stehen, dass Fynnlor gegen ihn lief und der Busch vor ihnen verräterisch raschelte. Er stammelte sofort eine Entschuldigung, doch der Feuerprinz hielt einen Finger an die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Hedlor lugte neugierig hinter seiner Schulter hervor. In dem Moment wurmte es ihn offensichtlich, mit dem Rotgelockten nach der Mittagspause Plätze getauscht zu haben.
Taris hob zwei Finger in die Höhe und deutete auf die andere Seite der Lichtung, an der sie gerade standen. Zuerst zog der Nordmann nur die Augenbrauen zusammen, deutete mit fragendem Gesichtsausdruck auf sich selbst und legte danach seine Hände neben an die Stirn, um die Zeigefinger auf und ab zu bewegen.
Sollen die Finger Ohren von Hasen darstellen? Glaubt er etwa, vor uns wartet ein verspätetes Mittagessen?, fragte sich Taris. Doch bevor er seinen Gefährten mit weiteren Handzeichen zu verstehen geben konnte, dass auf der anderen Seite der Lichtung zwei Schergen des Feysirs warteten, fingen diese an, sich zu unterhalten.
»Ich kann den Nebel nicht leiden«, meinte der eine und zog die Nase hoch, als leide er unter einem lästigen Schnupfen. Er war klein und stämmig mit einem dunklen Bart im Gesicht und einem Kurzschwert im Waffengurt.
»Mir gefällt er auch nicht«, erwiderte der andere. Dieser war größer und schlaksig. An seiner Seite hing ein Beutel aus Leder und auf den ersten Blick schien er keine Waffen zu tragen. »Aber dann glaube ich zumindest nicht andauernd, Wolfsaugen hinter jedem Baumstamm zu sehen.«
»Dafür höre ich sie andauernd, selbst wenn sie nicht da sind«, grummelte der Erste wieder. »So wie gerade eben der Busch dort drüben. Ich hätte schwören können, dass gleich das halbe Rudel vor uns auftaucht.«
Der Größere lachte auf. »Sei nicht so ängstlich! Sie werden uns nicht gleich als Frischfleischquelle ansehen, sondern den Tribut einfordern. Freuen wir uns lieber darüber, dass die Armbänder des Feysirs ihre Magie noch nicht verloren haben. Ansonsten hätte uns der Nebel längst verschluckt und wir uns heillos verlaufen.«
Jetzt lachte auch der Stämmige auf, doch bei ihm klang es aufgesetzt. »Du hast recht. Außerdem sind wir im Begriff, das letzte Artefakt abzuliefern.« Er deutete auf den Lederbeutel, den der Größere trug. »Der Feysir würde sie auf der Stelle aus ihrem eigenen Wald vertreiben, sollten sie uns aufhalten wollen. Also lass und weitergehen, bevor die Viecher noch tatsächlich wie aus dem Nichts auftauchen.«
Die beiden folgten einem kaum ausgetretenen Pfad, der direkt neben dem Busch verlief, hinter dem die Freunde kauerten. Keiner von ihnen rührten sich, dafür drangen die Stimmen der anderen umso deutlicher an ihre Ohren.
»Weißt du noch im Lager vor dem Nebelmeer? Als die Diebe uns den Blitzstein geklaut haben?«, fragte der Größere und lachte auf. »Zum Glück waren es keine Meuchelmörder. Ansonsten hätten wir es nie nach Eltrar geschafft, um die Kette zu holen.«
Der Kleiner brach in ein verrücktes, gackerndes Gelächter aus. »Ich kann es wirklich nicht mehr erwarten, unserem Meister das gute Stück zu übergeben. Zum Glück hat er einen Weg gefunden, den ach so klugen König der weiten Gewässer zu brechen. Ich konnte sein Gerede vom großen See neben den Ruinen, der ihm angeblich Kraft verlieh, langsam nicht mehr ertragen. Der kluge Knabe hatte zuerst doch tatsächlich geglaubt, dass er das Artefakt vor uns verstecken und danach den Kontinent retten könnte.« Wieder lachte er gackernd los, doch diesmal blieb es ihm im Hals stecken und er hatte Mühe, nicht über seine eigenen Füße zu stolpern.
Taris stand mit hochgezogenen Augenbrauen und in die Hüften gestemmte Hände vor den beiden. »Und ihr? Was glaubt ihr? Dass ihr das letzte Artefakt ohne weitere Hindernisse an euren Meister abliefern könnt?«
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Taris - Die Magie der Artefakte
FantasyWofür würdest du dich entscheiden, wenn das Schicksal des Kontinents mit in deinen Händen läge? Für eine Geheimmission voller Gefahren, um die Pläne des Feindes zu vereiteln? Oder für den Thron des mächtigsten Königreiches? Vor dieser Wahl steht der...