[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]
»Wer sagtest du, ist er?«, fragte eine fremde, weibliche Stimme. Sie klang weich und sanft und drang nur wie durch einen nebeligen Schleier zu ihm durch.
»Er nannte mir den Namen Taris Sol. Aber er wollte mit seine Magie nicht zeigen.« Diese männliche Stimme hatte er erst vor kurzem gehört. Jaros.
»Selstsam«, sagte die Frau und es kam dem Prinzen so vor, als würde jemand an jeder einzelnen seiner Kopfhaare ziehen. Wollten sie ihm etwa alle einzeln ausreißen und ein Kostüm für jemanden herstellen, der ihn spielen sollte? »Ich spüre seine Magie nicht«, fuhr sie fort. »Und du bist ganz sicher, dass er dir den Namen Taris Sol nannte und keinen anderen?«
»Bei Nabúr, das war sein Name.«
»Dann bleibt mir nichts Anderes übrig, als tiefer zu graben.«
Plötzlich explodierte ein Schmerz auf Taris' Kopfhaut. Seine Lungenflügel zogen sich unkontrolliert zusammen und er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sein Kopf fühlte sich an, als würden Schmiedehämmer darauf einschlagen, um durch seine Schädelknochen hindurch in seinen Kopf zu gelangen.
»Aufhören!«, schrie er und realisierte erst in diesem Moment, dass kein Knebel mehr in seinem Mund steckte. Was allerdings herausgekommen war, hatt sich mehr nach: »A e«, angehört als nach einem verständlichen Wort.
Trotzdem verebbte der Schmerz. »Er ist wieder bei Bewusstsein«, kommentierte die Frau.
Neugierig geworden versuchte Taris, die Hände zu bewegen. Die waren aber immer noch gefesselt. Dafür gelang es ihm, die Augen aufzuschlagen. Er blinzelte ein paar Mal, doch an den verschwommenen Schatten, die er sah, änderte sich nichts. Je mehr er versuchte, das Bild scharf zu stellen, desto mehr tränten seine Augen und er musste andauernd blinzeln.
Als Taris »Was habt ihr mit mir gemacht«, fragen wollte, kam lediglich ein »a a i i i e a«, heraus. Seine Zunge fühlte sich eigenartig pelzig an, mehr wie ein Fremdkörper als ein Teil von ihm.
»Du hast es mit dem Gift weit übertrieben, Jaros«, tadelte der eine Schatten den anderen. »Beherrschst du deine Magie so weit, dass du das Pflanzenserum aus seinem Körper ziehen kannst?«
»Nein, Mam«, gab der Junge zu und selbst durch die verschleierten Augen sah es so aus, als würde er schrumpfen.
Die Frau seufzte. »Wir können einen Trank in Auftrag geben, um seinen Körper wieder normal arbeiten zu lassen«, schlug sie vor.
»Das ist eine sehr gute Idee!« Der Erdmagier schien wieder zu wachsen. »Ich mache mich sofort auf den Weg, um-«
»Oder«, unterbrach ihn die Frau, »wir berücksichtigen den Umstand, dass das Brauen des erforderlichen Trankes länger als einen Tag bräuchte, unsere kostbaren Ressourcen dezimieren würde und wir dadurch einen Unbekannten im Lager beherbergen müssten.«
Taris zog eine Augenbraue hoch. Solche Predigten kannte er von seinem Vater. Der Junge war unter ihren Worten unterdessen wieder ein wenig zusammengeschrumpft.
»Wir können nur von Glück reden, dass Loira hier ist«, fuhr die Frau fort.
Loira ... diesen Namen kannte Taris. Sie war eine Iccórda, wie er Sprössling aus einer amtierenden Königsfamilie - in ihrem Fall aus einem der westlichen Reiche und mit einer außerordentlich großen Portion an Erdmagie gesegnet. Als Kind war er nur einmal zu Besuch gewesen. Noch heute erinnerte er sich an die mit bunten Blüten und exotischen Pflanzen gesprenkelten Palastgärten.
Das letzte Treffen mit ihr lag nicht einmal so lange zurück. Kurz bevor er mit den Vorbereitungen zur Thronübergabe begonnen hatte, war ihre Familie in seinem Hause zu Besuch gewesen. Die junge Generation, wie sein Vater ihn, seine Geschwister sowie Loira und ihre Geschwister genannt hatte, hatten den sonnigen Nachmittag im Palastgarten verbringen dürfen – wo Loira es nicht hatte lassen können, verdorrte Pflanzen aufzupäppeln und einen Busch zum Blühen zu bringen, der dies die fünf Jahre davor verweigert hatte. Die orangefarbenen Blüten waren nur um Nuancen heller gewesen als ihr Haar im goldenen Licht der Abenddämmerung. Natürlich war sie die Tage nach der Abreise Gesprächsthema Nummer eins bei der Findung einer passenden Frau von seinen Eltern gewesen.
»Sie trainiert vermutlich gerade mit Marel. Nun geh schon, bevor sein Zustand sich womöglich noch verschlechtert«, scheuchte die Frau den jungen Erdmagier aus dem Zelt. Für den kurzen Moment, den die Zeltplane zur Seite geschoben wurde, glaubte Taris mehr Stimmen u hören als bei seiner Ankunft. Mit dem Verschwinden des Lichts von draußen verstummten auch die Geräusche wieder.
»Dieser Jaros«, murmelte die Frau und es sah so aus, als würde sie den Kopf schütteln.
»E e i?«, fragte Taris, was »Wer seid Ihr?«, hätte heißen sollen. Ihren Fähigkeiten zufolge wohl eine Cael, die im Ernstfall über Leben oder Tod eines Menschen entscheiden oder in die tiefsten Winkel ihrer Seele eintauchen konnte. Weshalb sonst hätte sie versuchen sollen, über seinen Kopf herauszufinden, welche Magie ihm innewohnte. Taris kannte Geschichten über den schmerzvollen Verlauf einer solchen Prozedur und konnte dies nun bestätigen. Wenn es nach ihm ging, würde er dies niemals mehr fühlen müssen.
»Wer auch immer Ihr wirklich seid – ich rate Euch auf die Ankunft unserer Erdmagierin zu warten. Ihr riskiert ansonsten womöglich den Verlust Eurer Stimme.« Damit stand sie auf und ging in den hinteren Teil des Zeltes. Er hörte ab diesem Zeitpunkt nichts weiter als ihren Atem und das Umschlichten von Utensilien. Taris konnte es kaum erwarten herauszufinden, mit welchem Zauber sie dieses Zelt geschützt hatten. Selbst eine reine Lederplane würde nicht alle Geräusche herausfiltern und er tippte auf eine Mischung aus Luft- und Erdmagie. Das Scheppern von Metall unterbrach die Gedanken des Prinzen. Suchte die Frau etwa nach einer Waffe, mit der sie sich im Notfall verteidigen konnte?
Aber, überlegte Taris weiter. Würde Loira tatsächlich für den Feysir arbeiten? Er kannte sie kaum, doch hatte sie bei ihrem letzten Besuch nicht den Eindruck einer Abtrünnigen gemacht. Dazu war sie zu hilfsbereit (vor allem den Pflanzen gegenüber). Loira war zwar eine kleine Rebellin, was man bei vier älteren Schwestern wohl nicht anders erwarten konnte, würde aber weder einer Pflanze noch einem Tier oder Menschen bewusst etwas zu Leide tun.
Taris musste sich eingestehen, dass er sich womöglich in ein Gespinst aus Angst verstrickt hatte, das nicht der Wahrheit entsprach. Zum Einen erwartete er sich einen brutaleren Umgang von einem feindlichen Lager – wie wenn fesseln, knebeln und vergiften nicht schon genug wären. Aber es hatte ihn noch niemand verprügelt. Zum Anderen aber fühlte er sich nicht wirklich bedroht, auch wenn die Frau im Hintergrund weiter mit metallischen Gegenständen hantierte. Sein Verstand sagte ihm, diesen Leuten vertrauen zu können. Zeitgleich lag ihm der Gedanke an einen möglichen Hinterhalt im Magen.
Aber warum hatte er keine magische Barriere bei seiner Ankunft gespürt? Wegen des Adhenoj.
Jemand schob die Zeltplane zur Seite und eine Welle aus Geräuschen flutete ins Innere. »Wenn du deine Magie nicht unter Kontrolle hast«, endete eine weibliche Stimme allem Anschein nach einen Vortrag. Ein Lächeln umspielte Taris' Lippen. Loira.
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Taris - Die Magie der Artefakte
FantasyWofür würdest du dich entscheiden, wenn das Schicksal des Kontinents mit in deinen Händen läge? Für eine Geheimmission voller Gefahren, um die Pläne des Feindes zu vereiteln? Oder für den Thron des mächtigsten Königreiches? Vor dieser Wahl steht der...