Kapitel 11b

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

Erleichtert ließ er sich vor seinem Lager nieder. Die Schale mit dem Holzlöffel stand immer noch an derselben Stelle, wo er mit der Prinzessin gesessen war. Loira. Wie es ihr wohl ging? Wieder tauchte ihr angsterfülltes Gesicht vor seinen Augen auf und das grobe Zurückreißen des Aufpassers. Unvermittelt ballte Taris die Hände zu Fäusten. Niemand durfte Loira so grob anfassen! Der feindliche Krieger hatte damit zwar ihr Leben gerettet, aber es gefiel ihm trotzdem nicht, die sonst so unabhängige Prinzessin in Gefangenschaft zu wissen.

Um die Wut in sich abzukühlen, stand Taris auf und stieg in den Fluss. Die Kühle vertrieb zwar die Hitze seines Gemütes, doch die Erinnerungen an Loira blieben. Wie sie noch vor einem halben Tag wenige Meter weiter zusammengesessen waren und sie ihn nach der Heiratskandidatenliste gefragt hatte. Wie sie es sichtlich genossen hatte, ihn zu necken. Ihre strahlenden Augen und – er tauchte den Kopf unter Wasser.

Was hat diese Frau an sich, dass sie mich so in ihren Bann schlägt und ich ihr von Grund auf vertraue? Zwei Mal hatte sich Taris in der Sonnenstadt mit Frauen getroffen. Beim ersten Mal war er noch jung gewesen und hatte sich gefühlt, als würde er aus den Zwängen des Palastes ausbrechen. Seine Eltern hatten zwar von dem Mädchen aus der Oberstadt erfahren, ihn aber nie darauf angesprochen. Vermutlich, weil sie ihn nach dem ersten Kuss nicht mehr sehen wollte. Er wusste bis heute nicht, ob er einfach nur mies geküsst hatte oder sie von Anfang an nichts Anderes als nur einen Prinzen hatte küssen wollen (worauf sein jüngerer Bruder beharrte).

Vor drei Jahren war es anders gewesen. Kata hatte sich bei einem Fest im Palast in ihn verliebt und danach sogar sämtliche Kneipen, die er gelegentlich besuchte, abgeklappert. Als sie ihn endlich gefunden hatte, ließ sie nicht locker und überredete ihn schließlich zu einem Spaziergang. Zuerst war er nicht interessiert gewesen, doch dieser eine Abend hatte seine Einstellung geändert. Er konnte sich nicht erinnern, wie viele Stunden sie im Pavillon auf dem Palastgelände verbracht hatten, um über Nabúrs Entstehungsgeschichte und den Verlauf der Geschichte zu diskutieren. Angefangen beim Beginn der Magie bis hin zur Aufteilung der Königshäuser – und das, obwohl sie keine magische Veranlagung in sich trug. Vielleicht hätte er Kata einen Antrag gemacht, wäre sie vom Besuch ihrer entfernten Verwandten vergangenen Sommer zurückgekommen. Erst wollten sie ihm gar nichts sagen, dann teilte man ihm mit, dass sie bei einem Unfall gestorben sei. Man weihte ihn in keine Details ein, egal, wie sehr er nachgebohrte.

Wieso Loira?, fragte er sich, holte das Seifenkraut vom Ufer und tauchte es ins Wasser. Wir haben uns doch schon mehrmals gesehen und unterhalten. Was ist jetzt anders? Er rieb mit dem Kräuterschwamm über den Oberarm. Es kratzte leicht, doch schon nach kurzer Zeit bildete sich feiner Schaum, mit dem sich auch der Ruß löste. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns auf keinem Palastgelände befanden, überlegte er und schrubbte weiter. Um seine Gedanken fort von der rothaarigen Prinzessin zu lenken, verlegte er sich darauf, sich die Karte des Feysirs nochmals ins Gedächtnis zu rufen. In den Trümmern liegend war er sich nicht sicher gewesen, wie er weitermachen wollte. Jetzt lag sein Weg klar vor ihm.

Erleichtert, den Ruß losgeworden zu sein, hievte er sich aus dem Fluss, schüttelte das Wasser von seinem Körper und untersuchte ihn auf Verletzungen. Neben einigen leichten Kratzern fand er eine aufgeschundene Stelle in der Höhe des rechten Hüftknochens. Das würde vermutlich ein ordentlicher blauer Fleck werden. Erleichtert nicht mehr Verletzungen davongetragen zu haben, zog er sich an, steckte den Seifenkrautschwamm ein, schnappte sich seinen Beutel und nahm auch die leere Holzschale mit.

Die Kühle des Wassers dämpfte die Schmerzen immer noch und so legte Taris den Weg zu den anderen Überlebenden etwa doppelt so schnell zurück wie davor. Die saßen schon an einem halb verkohlten Tisch und aßen eine einfache Suppe mit Wurzeln und Pilzen. Ein paar der wenigen Dinge, die das Feuer nicht mit sich genommen hatte, wie sie ihm versicherten.
Während des Essens sprach niemand ein Wort. Einzig das dumpfe Schaben der Holzlöffel in den Schüsseln erklang, denn selbst die Vögel schienen sich nach dem Brand der vorangegangenen Nacht erst einmal zurückgezogen zu haben.

Taris ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Manche starrten voller Hass auf die verbrannten Holzbretter, andere sahen nur flüchtig hin und konzentrierten sich schnell wieder aufs Essen. Allem Anschein nach schienen die Krieger unter ihnen nicht sehr zufrieden mit dem Ausgang des gestrigen Überfalls zu sein. Ebenso wenig wie er selbst.

Nahezu geräuschlos stellte der Feuerprinz seine Schüssel auf ab und erhob sich. Als hätte er ein Zeichen gegeben bemühten sich die anderen, es ihm gleich zu tun. Noch bevor er sein Geschirr selbst zum Wasserbottich tragen konnte, schnappte sich eine der Frauen die Schüssel. Taris tat sich schwer, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Stand darin Furcht? Sorge? Erleichterung? Bevor er sich für eines davon entscheiden konnte, eilte sie davon. Seufzend wandte er sich um. Wie auf einer Kette aufgefädelte Perlen standen die Überlebenden in einem Halbkreis vor ihm. Es war ihm bewusst gewesen, dass sie Fragen an ihn hatten – allerdings nicht, dass sie diese so schnell als möglich loswerden wollten.

»Was gedenkst du jetzt zu tun?«, fragte Marel und alle Augen wanderten für einen Moment zu Axtwerfer. In ihnen brannte dieselbe Frage.

»Den Feysir überraschen.«

»Wie willst du das ohne deine Magie anstellen?«, warf einer der Anwesenden ein. Seine linke Gesichtshälfte zierte eine schwarze Tätowierung: drei breite Streifen unter dem Auge, die zuerst parallel verliefen, sich aber bald verjüngten und als ein einzelner Strang zur oberen Spitze des linken Ohrläppchens verliefen. Das zeichnete ihn als einen der Nordmänner aus, die dem mächtigsten der Stammesfürsten folgten. Seine Aufgabe hatte vermutlich darin bestanden den Königssohn aus dem Hause der Areles zu beschützen – der gestern mit allen anderen dem Feind in die Hände gefallen war.

»Ganz magielos ist er nicht«, erinnerte ein anderer mit rotem Lockenwuschelkopf. Taris hatte ihn bislang im Lager noch nicht gesehen. »Sonst hätte er das Feuer nicht überlebt. Die Frage sollte eher lauten: Hast du eine Strategie? Die Handlanger des Feysirs haben gestern das Lager mit den besten Magiern Nabúrs überrannt. Ich glaube kaum, dass ein einzelner Magier – noch dazu ohne bewusstem Zugang zu seiner Magie – ihn einfach so überrumpeln und besiegen kann.« Zustimmendes Nicken der umstehenden Menschen begleitete seine kurze Rede.

»Und wie willst du ihn finden? Die Karte mit dem Aufenthaltsort ist wie der Großteil des Lagers den Flammen zum Opfer gefallen«, warf die Frau ein, die immer noch seine Holzschüssel in Händen hielt.

Da huschte ein Lächeln über Taris' Züge. »Die Karte«, erwiderte er und tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand gegen die Schläfe, »hat sich mit dem Feuer in meinen Kopf gebrannt. Während sich die meisten anderen dem Freudentaumel hingaben, studierte ich sie noch mit Patissor und prägte mir jedes Detail darauf ein.« Manche Gesichtszüge erhellten sich, während andere – der Nordmann allen voran – noch grimmiger dreinblickten. »Eine genaue Strategie werde ich mir noch überlegen. Um zum Feysir zu gelangen, muss ich noch zwei Königreiche passieren. Das wird an Zeit genügen.« Müssen, fügte er in Gedanken hinzu.

»Und wo liegt das Ziel?«, wollte eine dunkelhäutige, groß gewachsene Frau wissen. Ihre kastanienbraunen Braunen lagen forschend auf ihm, als nähmen sie jegliche seiner Regungen wahr.

»Mitten im Nebelmeer.«

»Das Nebelmeer«, hauchten mehrere der Anwesenden und rissen erschrocken die Augen auf.

»Es heißt, dass es niemand lebend durchquert.«

»Und riesige Wölfe darin Hausen!«

»Die Menschen gehen darin verloren!«

»Oder enden als Futter!«, plapperten sie durcheinander. Erst, als Marel seine Hände beschwichtigend hob, beruhigten sich die Stimmen.

Er wandte sich dem Prinzen zu. »Wirst du trotzdem gehen?« Die grünen Augen seines Lehrers lagen auf ihm und für einen Moment dachte Taris daran, dass seine Krönung in wenigen Mondläufen geplant war. Ihn beschlich das Gefühl, dass er daran nicht teilnehmen können würde. Er nahm sich Zeit, jedem Einzelnen in die Augen zu sehen, bevor er antwortete.

»Ja.«

Die Mundwinkel des Axtwerfers wanderten nach oben und er legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Ich begleite dich«, gab er geradezu feierlich bekannt. Dann drehte er sich zu den anderen um. »Wer ist noch dabei?«

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt