[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]
Stirnrunzelnd befolgte er ihre stummen Anweisungen und legte gerade eine Hand auf den Verschlussmechanismus, als ein blaugrüner Vogel ins Zimmer geschossen kam.
»Fugro!«, stieß er erschrocken aus. »Was machst du denn hier?« Der Feuerling umkreiste den Kopf des Prinzen mehrmals laut zwitschernd.
»An deiner Seite bleiben.« Stolz klang aus der Stimme seiner Mutter. »In alten Zeiten suchten sich Feuerlinge Magier, mit denen sie in den Kampf zogen und die sie bis zu ihrem Tod begleiteten. Nicht nur das ist in diesem Königreich in Vergessenheit geraten.«
Neugierig geworden schloss Taris das Fenster und ging zu seiner Mutter. Sie trug ein dunkelblaues, langes Kleid und strich Fugro über den Kopf, als er sich auf den gelben Polster neben ihr niederließ. »Es ist ein wenig kalt hier, findest du nicht auch?«, fragte der Prinz und hob seine offene rechte Hand auf Brusthöhe. Er drehte seine Handfläche von außen nach innen und formte dabei mit dem kleinsten Finger beginnend eine Faust. Dabei schloss er die Augen, konzentrierte sich auf den Fluss der Magie in seinem Inneren und atmete tief ein und aus. Er öffnete die Faust mit nach oben gerichteter Handfläche, woraufhin die Kerzen in den Gemächern aufflammten und ein warmes Schattenspiel auf die Wände zauberte. In wenigen Momenten erwärmte sich die Luft merklich und Taris öffnete zufrieden die Augen. »So ist es besser, findest du nicht auch?«
»Allerdings«, bemerkte seine Mutter. »Und es ist auch der Grund für unser heutiges Gespräch.« Sie machte eine Pause und verlor sich einen Moment lang in den rotgoldenen Flammen der Kerzen. »Dein Vater erzählte mir, dass du zumindest eines der verbotenen Bücher der Bibliothek versteckt hältst. In dem, das er explizit erwähnte, ging es um ein ausgerottetes Magiergeschlecht.«
»Die Merá«, sagte Taris und ihm schien, als würde die Dunkelheit in den Ecken des Zimmers wachsen und das Licht der Kerzen verdrängen wollen.
Eine geheimnisumwobene Aura legte sich um die Königin und setzte Taris' Körper in Alarmbereitschaft. »In der Alten Zeit gab es neun magische Familien. Eine davon, die Merá, fertigte Artefakte und überreichte sie den damals amtierenden Oberhäuptern. Sie sollten den Zusammenhalt zwischen den Familien stärken, indem sie zusammengeführt zu eine unbezwingbaren Waffe verschmelzen sollten. Derjenige, der sie führt, kann die Welt zu voller Blüte bringen, sie gegen alles verteidigen, oder sie unterjochen. Doch das hätte seinen Preis. Die Waffe würde jegliche Energie aus dem Körper des Trägers saugen und nur die Magie der Merá war stark genug, diese zu führen.
Doch aus Angst vor Unterdrückung löschten die anderen acht Familien – die, die heute noch über Nabúr herrschen – das Magiergeschlecht der Merá aus.«
Die Farbe wich aus Taris' Gesicht. »Warum hat sie niemand aufgehalten? Wie konnte so etwas geschehen? Warum ... warum habe ich noch nie davon gehört?!«, unterbrach er sie, doch seine Mutter hob beschwichtigend die Hand.
»Einer deiner Vorväter beschloss, diesen Teil der Geschichte aus den Büchern zu streichen, da der Vorreiter unter ihnen ein Sol war. Das ist auch der Grund, weshalb dein Vater die Aufzeichnungen über die Merá für erfunden hält.«
Nun verstand Taris seine Reaktion in der Bibliothek. »Aber warum weißt du davon?«
»Ich bin in einem anderen Königreich aufgewachsen. Die meisten Könige veränderten die Geschichtsbücher nicht und sehen es als einen der Gründe, weshalb die Sols über allen anderen stehen.«
Taris' Augen weiteten sich, doch seine Mutter legte eine Hand auf seine Schulter, um ihn von weiteren Fragen abzuhalten. »Die Merá mögen vernichtet worden sein, aber es gibt auch andere, schattenhafte Wege. Ich bezweifle, dass das Dunkle in den letzten Jahrhunderten ruhig vor sich hingeschlummert hat. Vielmehr befürchte ich, dass dieser Feysir einen Weg gefunden hat, die Artefakte zu vereinen, um ihre Magie für sich zu beanspruchen. Was auch immer sein Ziel ist – niemand wird vor ihm sicher sein!«
Angst sprach aus der Königin und ihre Hand zitterte auf der Schulter ihres Sohnes. Taris sprang auf und ging im Zimmer auf und ab, wobei Fugro jede seiner Bewegungen mit seinen scharfen Augen registrierte. Seine Gedanken überschlugen sich und drängten die bisherigen Fragen in den Hintergrund, bis nur noch eine übrig blieb. »Ich kann nicht hier bleiben und tatenlos zusehen, wie unsere Welt vernichtet wird«, sagte er schließlich zu seiner Mutter. »Es muss einen Grund dafür geben, dass ich die Magie des Feuers beherrsche wie kein Anderer und selbst erfahrenere Magier in Kämpfen übertrumpfe. Wenn nicht für diesen Kampf, für welchen wäre dieser Überfluss an Begabung notwendig?«
Die Augen seiner Mutter blitzten auf. »Und wenn es einen Weg gäbe? Würdest du die Artefakte auf schnellstem Weg finden und zurückbringen, um danach den Thron deines Vaters zu besteigen?« Der flehende Ton in ihrer Stimme entging ihm nicht. Er nickte. »Dann gibt es einen Weg. Aber mit weitgreifenden Folgen. Kennst du die Legenden Nabúrs?«
»Sicherlich nicht alle, aber viele sind mir geläufig«, antwortete ihr Sohn von der Frage überrascht.
»Auch die des Magiers, der ein Elexier erfand?«
Taris' Augen verengten sich zu Schlitzen. Genau diese Legende war in den letzten Stunden immer wieder in seinem Kopf aufgetaucht, doch wusste er nicht, welchen Nutzen sie für seine Situation haben könnte. »Es soll einmal einen Magier gegeben haben, der sich unsterblich in eine gewöhnliche Frau verliebt hatte«, begann er zu erzählen. »Sein Vater verbot gemischte Beziehungen und arrangierte eine Hochzeit für ihn. Daraufhin arbeitete er Tag und Nacht an einem Elexier, das die Magie aus seinem Blut entfernen sollte. Es gelang ihm schlussendlich und sein Vater verstieß ihn, doch er verließ das Königreich mit seiner Geliebten und lebte dort ein glückliches Leben.
Es ist eine schöne Legende, Mutter. Aber wie soll mir das Aufgeben meiner Magie dabei helfen, den Feysir zu besiegen?«
Ein verschwörerischer Ausdruck legte sich über ihr Gesicht. »Das ist nicht das Ende der Geschichte. Die Magie kehrte nach einem Mondlauf wieder zurück und der Magier stellte sich in den Dienst des Königreiches, in dem er mit seiner Frau lebte. Dies legte den Grundstein zu den Verbindungen unter den Magierfamilien, wie wir sie heute kennen.«
»Woher weißt du das alles?«, flüsterte Taris und setzte sich wieder.
»Meiner Familie lag immer viel daran, Geschichte am Leben zu erhalten. Meine ganze Kindheit lang durfte ich mir anhören, dass unsere Zukunft aus der Vergangenheit geformt würde. Deshalb frage ich dich noch einmal: Würdest du gehen, wenn es einen Weg gäbe?«
»Ja«, antwortete Taris ohne zu zögern, woraufhin Fugro aufgeregt mit den Flügeln flatterte.
Langsam griff die Königin in einen ihrer weiten, dunkelblauen Ärmel hinein und zog ein Fläschchen hervor. Schwarze Flüssigkeit schwappte gegen den wachsversiegelten Korkverschluss. »Dies ist Adhenoj, gebraut in den Höhlen der mittleren Lande. Die Rezeptur wird seit Generationen unter strengen Regeln weitergegeben. Es darf nie in die falschen Hände geraten! Einmal getrunken versiegelt es die magischen Kräfte für einen vollen Mondlauf.« Sie drehte es auf den Kopf. Goldene Partikel blitzten im Schein der Kerzen auf. »Nur, wenn du danach reinen Herzens bist, werden sie sich dir wieder öffnen.«
Der Prinz nahm das Fläschchen entgegen. »Ich werde die Artefakte finden und rechtzeitig zurück sein«, versprach er.
Die Königin umfasste seine Hand und flüsterte: »Ich werde dir jemanden schicken, der dich sicher durch die Stadt und darüber hinaus begleitet, doch muss ich dich warnen: Der Feysir wird versuchen, den Verlorenen König zu finden und aus seinem Grab zu holen. Hüte dich davor, ihm gegenüberzutreten. Es heißt er habe die Magie aller verstorbenen Merá inne und nach all der Gewalt, die seiner Familie und seinem Volk angetan worden ist, befürchte ich, dass selbst er die Magie der Artefakte nicht weise einsetzen würde.«
Noch bevor Taris nach einer genaueren Bedeutung der Worte fragen konnte, verschwand sie so lautlos durch die Tür, wie sie gekommen war. Fugro legte den Kopf schief und der Prinz hatte das Gefühl, der Feuerling würde auf seine endgültige Entscheidung warten. Vorsichtig löste er den Korken und leerte die Flüssigkeit in einem Zug. Während alles um ihn herum schwarz wurde, tanzten goldene Sterne vor seinen Augen und begleiteten ihn in einen traumlosen Schlaf.
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Taris - Die Magie der Artefakte
FantasyWofür würdest du dich entscheiden, wenn das Schicksal des Kontinents mit in deinen Händen läge? Für eine Geheimmission voller Gefahren, um die Pläne des Feindes zu vereiteln? Oder für den Thron des mächtigsten Königreiches? Vor dieser Wahl steht der...