Kapitel 20a

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

»Spätestens jetzt wissen sie, dass jemand hier ist.«

Taris drehte sich zu seinen Begleitern um. »Ihr habt Freunde und Familie zu Hause. Niemand wird es euch übel nehmen, wenn ihr hier umdreht. Die Graugewandeten werden euch sicher ziehen lassen. Außerdem ist den Wölfen bislang nur meine Anwesenheit bewusst. Ihr hab die Magie des Tors nicht aktiviert.«

Hedlor hängte seine Armbrust in den Brustgürtel ein, mit dem er sie auf dem Rücken transportierte. Danach verschränkte er seine Arme. »Du sprichst so, als hättest du niemanden.«

»Ich glaube kaum, dass mein Vater einen Sol auf den Thron setzen wird, der seine Magie mit dem Adhenoj gebannt hat. Mit offenen Armen werden sie mich auch nicht empfangen. Außer meiner Mutter vielleicht. Sie ist die einzige in meiner Familie, die die wahre Geschichte Nabúrs schon immer kannte und nicht wie meine Geschwister und ich der Sol'schen Gehirnwäsche unterlag. Sie wusste, weshalb ich gehen musste. Mein Vater nennt alles, was mit den Merá zusammenhängt, Unfug, Hirngespinst oder ein Märchen für Kinder.

Marel, deine Frau und deine Kinder warten auf dich. Raki, deine Ziehfamilie macht sich bestimmt riesige Sorgen um dich, weil du schon lange nicht mehr zu Hause warst.«

Der Junge verzog das Gesicht. »Sie wissen nur, dass ich mit Loira unterwegs bin. Nicht aber, dass wir einem Magier die Stirn bieten wollen.« Asideya legte ihm ihre Hände auf die Schultern, bevor Taris fortfuhr.

»Selbst wenn er dich verstoßen wollte, wird dich dein Stammesfürst vermutlich wieder in seinen Reihen aufnehmen, Hedlor. Außerdem wartet eine junge Frau auf dich, die anscheinend mehr Gefühle für dich hat, als du dir bislang eingestehen wolltest.« Der Blick des Nordmanns verfinsterte sich und er brummte etwas Unverständliches.

Taris blickte Fynnlor tief in die Augen. »Du bist unterwegs, um das Recht zu erlangen, der ältesten Tochter des Königs den Hof zu machen. Deine Bemühungen, vor allem ohne eine militärische Ausbildung, sprechen schon für sich. Geh nach Hause und kümmere dich um die Frau, die dein Herz erfreut.« Der Rotgelockte errötete und wandte den Blick ab.

»Dir, Asideya, liegen die Waisenkinder deiner Stadt am Herzen. Um ihnen zu helfen, musst du bei ihnen sein. Niemand anderer wird sich so für sie einsetzen wie du.«

Die Gefährten sahen sich an, während der Regen auf sie herunterprasselte und ihr Gewand mehr und mehr durchnässte.

»Du hast nichts, was dich außerhalb des Nebenlmeeres hältst?«, fragte Marel und legte seine Hände auf der Axt ab, die in seinem Gürtel steckte.

Taris drehte sich halb zum Wald hinter ihm um. Loiras Gesicht tauchte vor seinen Augen auf, wechselte sich aber sofort mit dem von Awa ab. Ihre Stimme hallte in seinem Kopf wider: Wenn es euch nicht möglich ist, den Feysir mit einer List zu überwältigen, hast du nur eine Chance, ihn aufzuhalten. »Nein.«

»Dann lasst uns endlich gehen«, drängte Hedlor. »Dort drinnen sieht es trockener aus als hier heraußen.« Taris' Kopf fuhr zu seinen Gefährten zurück. Ein Grinsen legte sich über das Gesicht des Nordmannes. »Was hättest du denn gedacht? Dass wir dich jetzt alleine weitergehen lassen?« Er schüttelte tadelnd den Kopf. »Dass du uns ziehen lassen würdest, ist nobel. Aber langsam sollte man meinen, dass du uns gut genug kennen solltest, Königssohn. So schnell wirst du uns nicht los.«

Taris sah von einem zum nächsten. Beim Gedanken, sie mit in den möglichen Tod zu nehmen, wurde ihm das Herz schwer. »Ihr seid mir treuer als die Soldaten meines Vaters, die mich auf Reisen begleiteten.«

»Und das ist ein Problem für dich?«, fragte Fynnlor.

»Nicht unbedingt«, erwiderte der Feuerprinz. »Ich bin es nur nicht gewohnt ...«, er stockte.
»Freunde zu haben?«, half ihm der Rotgelockte auf die Sprünge.

Taris stand einfach nur da. Es schien Ewigkeiten zurückzuliegen, dass ihn jemand als Freund bezeichnet hatte. Ab seiner Jugendzeit waren die meisten Bekanntschaften, anders als die seiner Geschwister, davon geprägt gewesen, dass er einmal auf dem Thron sitzen würde. Dass ihn seine Gefährten – zumindest einer davon – als solchen bezeichnete, wärmte sein Herz und gab ihm das Gefühl, nicht alleine im Kampf gegen den Feysir dazustehen.

»Daran könntest du dich langsam mal gewöhnen.« Hedlor klopfte ihm auf die Schulter und durchschritt das Wolfstor. Wie auch schon bei Taris leuchteten die Augen der steinernen Tiere violett auf, begleitet vom Heulen des Rudels im Wald.

»Es wäre zu schön gewesen, wenn du unsere Gewänder mit deiner Magie schon hättest trocknen können«, murmelte Fynnlor und ging als Nächster. Der Reihe nach passierten sie den schwarzen Felsenbogen.

Taris drehte sich noch einmal um und blickte in die blaugraue Regenwand. Ohne meine Magie bin ich nicht anders als sie, dachte er. Wir treten dem Feysir ebenbürtig gegenüber. Obwohl ihn diese Aussicht ängstigen sollte, erfüllte sie ihn doch mit einem Funken Freude. Als begabtester Magier von Nabúr war er stets anders gewesen. Er hatte sich nie dazugehörig fühlen können, weil andere in seinem Alter nur darum kämpfen, besser oder zumindest gleich gut zu werden wie er. Man hatte ihn als Außenseiter behandelt.

Aber hier? Keiner seiner Gefährten hatte sich abgewandt, weil seine Magie nach wie vor unter der Macht des Adhenoj lag. Vielleicht hofften sie noch auf eine Änderung, aber es hinderte sie nicht daran, mit ihm weiter zu gehen. Das erste Mal seit Ewigkeiten – oder überhaupt? – fühlte er sich zugehörig, unterstützt und vor allem akzeptiert, so wie er war.

»Kommst du?«, fragte Raki, der mit den anderen direkt hinter dem Steinbogen wartete.

Taris ließ seine Augen über die umliegenden Hänge wandern. Als er niemanden sah, folgte er seinen Gefährten in das unheimliche Dämmerlicht des Wolfswaldes.

Anders als erwartet hüllte sie nicht sofort eine Wand aus weißem Nebel ein. Auf den abgefallenen, rotbraunen Nadeln fühlten sich die Gefährten, als würden sie auf Polstern weiterwandern. Sie dämpften ihre Schritte auf dem kaum sichtbaren Pfad, der sich um die Bäume schlängelte. Immer wieder hörten sie ein Rascheln, Heulen oder Lächeln in unmittelbarer Nähe, bekamen aber keines der Tiere zu Gesicht.

Taris behagte es gar nicht, seine Gefährten solch einer Gefahr auszusetzen. Er traute dem Frieden nicht, auch wenn die Wölfe sie bislang nur eskortierten anstatt anzugreifen. Vielleicht wollen sie uns nur tief genug im Wald wissen, damit wir nicht davonlaufen können. Der Feuerprinz fühlte sich für die Anderen verantwortlich – ein Zeichen dafür, dass er sie ins Herz geschlossen hatte. Sie sind tatsächlich nicht nur Mitstreiter, sondern auch Freunde, stellte er fest. Ein Gedanke, der ihn zugleich glücklich machte als auch beunruhigte. Wie würde er es einer ihrer Familien erklären, sollte einem von ihnen etwas zustoßen?

Als die Dämmerung hereinbrach, fanden sie sich auf einer kleinen Lichtung und beschlossen, das Nachtlager aufzuschlagen. Im Zwielicht sammelten sie trockene Äste, während Hedlor eine Grube aushob. Darin platzierten sie das Holz und der Nordmann entzündete es mit seinen Feuersteinen. Zufrieden streckte er seine Hände nach den wärmenden Flammen aus.

Die dichtgedrängten Baumkronen hatten die Gefährten zwar vor den schlimmsten Wassermassen des Wolkenbruches bewahrt, trotzdem besaß jeder zumindest ein nasses Kleidungsstück. Raki fror und setzte sich so nah wie möglich auf seiner Decke ans Feuer. Seine fingerlangen Haare, die ansonsten wie wild von seinem Kopf abstanden, hingen ihm nass in die Stirn. Taris bedachte jeden einzelnen mit einem nachdenklichen Blick.

»Du bist es wirklich nicht gewohnt, Freunde zu haben. Hab ich Recht?« Fynnlor sah ihn unter hochgezogenen Augenbrauen an.

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt