Kapitel 13a

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

Schweiß stand auf seiner Stirn und schien aus sämtlichen Poren seines Körpers zu dringen. Die feuchten Hände krallten sich um die Rundhölzer der einfachen Liege. Sein Atem ging stoßweise und das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Hätte Taris bisher noch nicht über die Ausmaße seiner Entscheidung nachgedacht – spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen. Magie konnte zwar nicht heilen, aber den Heilungsprozess und vor allem die Verarztung von Verletzungen erträglicher machen. Wie viel erträglicher, verstand er erst jetzt.

Über ihn gebeugt stand eine Frau im Alter seiner Mutter. Der Pferdehirt hatte ihn sofort nach dem Kampf zu ihr gebracht und sie galt als beste Kräuterkundige in dieser Gegend. Sogar Marel hatte das bestätigt, obwohl sie keine ärztliche Ausbildung in einer Stadt genossen hatte. Ihre Stirn lag in Falten und das Gesicht war zu einer konzentrierten Maske erstarrt. Die Finger massierten seit einer gefühlten Ewigkeit eine stark nach Kiefer riechende Paste zu beiden Seiten seiner Nase ein. Schon alleine die veränderten Druckverhältnisse ließen ihn immer wieder zusammenzucken und schickten eine neue Schmerzkaskade durch seinen Körper.

»Wenn ich jetzt sage, renke ich die Nase wieder ein. Verstanden?« Taris blinzelte, um ihr sein Einverständnis dafür zu geben. Sie verstärkte den Druck ihrer Finger. »Jetzt.«

Schmerzen durchfluteten Taris' Körper, ausgehend von seiner Nase. Er konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken und fragte sich anschließend, ob es Hitze oder Kälte war, die seine Haare zu Berge stehen ließen. Der Feuerprinz setzte sich ruckartig auf, woraufhin Sterne vor seinen Augen tanzten und sich sein Gesichtsfeld gefährlich verkleinerte. Bevor er allerdings von der Liege fiel, drückten ihn die starken Hände der Kräuterkundigen zurück auf die Liege. Sie hielt ihm ein Fläschchen mit dunkelblauer Flüssigkeit unter die Nase und ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase.

»Besser?«, fragte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als Taris nickte, warf sie ihm einen sauberen Lappen und ein Stoffknäuel hin, das sich bei genauerem Hinsehen als zusammengeknülltes Hemd erwies. »Komm hinaus, wenn du fertig bist. Ich rechne in der Zwischenzeit mit den anderen ab.«

Dankbar wischte sich Taris mit dem Lappen über Gesicht und Arme. Im Gesicht achtete er darauf, die Gegend um seine Nase zu meiden. Sie fühlte sich auch ohne Berührung wund an.
Diesmal setzte er sich vorsichtiger auf und atmete erleichtert aus, als sich kein Schwindel anbahnte. Dann zog er das vom Blut verschmierte Hemd über den Kopf und streifte ein dunkelbraunes, viel gröber gewebtes, über. Das alte würde er für Notfälle behalten, wobei die hochwertige Webkunst Dieben oder Wegelagerern sicher sofort ins Auge fallen würde. Trotzdem schaffte er es nicht, sich davon zu trennen. Vielleicht würde er es an dem Tag anziehen, an dem er in die Sonnenstadt zurückkehrte.

Im Nachbarraum warteten der Pferdehirt und Hedlor, wobei letzterer sich bei Taris' Anblick ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Als die Kräuterkundige die Tür hinter ihnen schloss, klopfte er ihm lachend auf die Schulter. »Du siehst aus als hätten dich Waldelfen in die Finger bekommen und als ihr Eigentum markiert«, erklärte er. »Pass nur auf, dass die Pferde deine Nase nicht mit etwas Fressbarem verwechseln. Sie hat jetzt die Farbe von saftigem Gras.« Er klopfte ihm wieder auf die Schulter und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Die Farbe kommt von der Heilsalbe«, erklärte der Pferdehirt. »Ich hatte sie einmal auf dem Bauch, weil mich ein Fohlen in die Magengrube geboxt hat. Das Grün wird zuerst dunkler und verblasst dann. Bis dahin wirken die Heilkräfte der enthaltenen Kräuter weiter.«

»Wie lange wird er jetzt als Grünschnabel herumlaufen?« Hedlor fiel es schwer, nicht sofort über seinen eigenen Wortwitz laut aufzulachen. Seine Mundwinkel hüpften andauernd nach oben, auch wenn man ihm ansah, dass er sie nach unten zwingen wollte. Etwas, das er nicht ablegen konnte, bis sie ins Haus des Pferdehirten traten.

Taris hatte noch nicht einmal seinen Rucksack abgelegt, als schon der jüngere Sohn des Pferdehirten vor ihnen stand und sich im selben Atemzug bedankte und entschuldigte. Ersteres beim Feuerprinzen für die Rettung vor dem Messer des Schlächterjungen. Zweiteres bei seinem Vater. Für seinen Ungehorsam und dass er nicht wie von ihm erwünscht besser auf die Pferde geachtet hatte. Es stellte sich heraus, dass es seine Aufgabe gewesen wäre, die Tiere vor dem Gewitter in den Stall zu bringen.

Der Pferdehirt ließ es sich nicht nehmen, Taris und seine Gefährten unter seinem Dach einzuquartieren. Die Söhne schafften Stroh, Heu und Decken in eines der Zimmer für die Männer, während Asideya im ehemaligen Nähzimmer seiner Frau schlafen durfte. Sie war ein Jahr zuvor an einer Krankheit gestorben und er hatte es noch nicht übers Herz gebracht, den Raum umzugestalten. Die Gefährten blieben für zwei Tage, in denen sich Taris in erster Linie schonte und ausruhte.

Erst hatte er sich dagegen gewehrt, aber das Pochen in seiner Hüfte und der Nase zwangen ihn schließlich zur teilweisen Bettruhe, die ihm viel Zeit zum Nachdenken gab. Stundenlang ging er in Gedanken die kommenden Schritte durch – allen voran die Durchquerung des Nebelmeeres. Es galt als unüberwindlich und von blutrünstigen Monstern besiedelt, die keinen ins Innere des Landes ließen. Taris glaubte fest daran, dass sie es mit seiner Magie schadlos überwinden würden. Aber was wartete dahinter auf sie? Ein Urwald? Eine Ödnis? Hunderte Krieger, die dem Feysir dienten? Mehrmals ärgerte er sich darüber, nichts Genaueres über den Aufenthaltsort ihres Gegners zu wissen. Gab es Geheimgänge? Saßen die Magier in den Kerkern? Lebten sie überhaupt noch?

Ein eisiger Schauer lief Taris bei seinem letzten Gedanken über den Rücken und sein Herz krampfte sich zusammen, als er an Loira dachte. Ihr geschundenes Gesicht tauchte wieder vor seinen Augen auf, dicht gefolgt von der schwarzen Kapuzengestalt. Eines war sicher: Der Feysir beherrschte seine Magie und selbst mit seinem Talent würde es nicht leicht sein, ihm gegenüberzutreten. Aber für sein Land und ganz Nabúr würde er alles daran setzen, die Vereinigung der Artefakte zu unterbinden.

Und für Loira.

»Bist du in Gedanken wieder bei unserer rothaarigen Kriegerin?«, fragte eine tiefe Stimme und riss Taris aus seinen Gedanken. Marel setzte sich im Schneidersitz neben ihn und stellte ein Brett mit zwei hölzernen Bechern zwischen sie. Dampf kräuselte sich in der Luft direkt darüber und verströmte einen angenehm süßlichen Duft. »Kräutertee von der Heilerin. Sie meinte, dass es auch deiner Hüfte helfen könnte. Mir schadet er vermutlich auch nicht.« Er reichte dem Feuerprinzen einen Becher. Taris nickte und sog den Duft ein. Sofort fühlte er sich in einen dichten Nadelwald versetzt und entspannte sich.

»Ich kenne niemanden und habe auch von niemandem gehört, der das Nebelmeer in den letzten Jahren durchquert hat«, fuhr Marel fort, ohne auf eine Antwort auf seine ursprüngliche Frage zu warten. Zum Glück. Denn Taris wusste selbst nicht so genau, wie er die Verbindung zwischen ihm und der Erdmagierin in Worte fassen sollte. Ihre Gefangennahme half nicht gerade dabei, das zu klären. »Es kursieren Geschichten über Männer und Frauen, die schreiend oder stark verwundet zurückgekommen sind. Viele kommen gar nicht mehr und wenn du mich fragst, liegt das nicht daran, dass sie das Nebelmeer durchquert hätten.

Vor ein paar Jahren habe ich ein Bild des ursprünglichen Palastes der Merá zu Gesicht bekommen, ein sehr eindrucksvolles Bauwerk. Aber ich bezweifle, dass noch Pläne existieren und es würde mich wundern, wenn bis heute mehr als Ruinen übriggeblieben sind. Vielleicht hat der Feysir in den Kellergewölben sein Lager aufgebaut oder ein komplett neues daneben errichtet. Der Wiederaufbau eines solchen Gebäudes bedarf Werkstoffen in rauen Mengen.« Marel machte eine Pause und blickte nachdenklich auf seinen dampfenden Becher.

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt