Kapitel 10a

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

In den vergangenen Wochen hatten Taris' Füße die Wege kennen gelernt und so setzte er selbst im schwachen Schein des Mondes seine Schritte sicher. Loira rannte vor ihm, ihr geflochtener Zopf baumelte von links nach rechts. Im Laufen legte sie den ersten Pfeil an die Sehne. Auch Taris zog sein Schwert und als sie Stimmen hörte, ließen sie sich im Schatten von Bäumen nieder.

Vor ihnen lag der Hauptplatz des Lagers. Fackeln erhellten die niedergetretene Wiesenfläche und tauchten mehrere Dutzend Eindringlinge in warmes Licht. Sie trugen dieselben schwarzen Mäntel und dunklen Hosen wie die Diebe im Tempel des Artefakts. Bei Nabúr! Wir werden doch tatsächlich angegriffen! Die Karte hat den Feysir zu uns geführt!

Das ganze Lager schien auf den Beinen zu sein und umzingelte die Feinde mit gezogenen Waffen oder leuchtenden Magiekugeln, die zwischen ihren Fingern flirrten. Alle warteten auf ein Zeichen vom König der Eltrar. Doch der hob beschwichtigend die Hände und sagte: »Ich grüße euch, Fremde. Was führt euch hierher?«

Schallendes Gelächter der feindlichen Krieger breitete sich über den Platz aus. Die Menge teilte sich und ein Mann mit einem Stab in der Hand trat hervor. Er klopfte damit auf den Boden, woraufhin sie sofort verstummten.

»Ein Auftrag«, entgegnete er und schlug die Kapuze zurück. Wie Patissor hatte auch er die Haare zu einer Glatze geschoren, doch sein Haupt zierte nur ein Symbol: das seines Herren. »Wir sollen die hier versammelten Magier zu unserem Meister bringen. Für ihre Dienste wird er sie reich belohnen und an seinem Siegeszug über Nabúr teilhaben lassen.«

Selbst aus der Entfernung war der Unmut der jüngsten unter ihnen zu spüren. Die Augen des Königs blitzten gefährlich auf. »Was passiert, wenn wir uns weigern?«

Wieder lachte einer der feindlichen Krieger auf, doch diesmal verpasste ihm sein Stehnachbar eine Kopfnuss. Beleidigt zog dieser den Kopf ein und blickte wie ein gescholtenes Kleinkind auf die Füße.

»Dann steht es uns frei, Gewalt anzuwenden, um euch zu ihm zu bringen.«

»So sei es denn.« Patissor streifte seinen Mantel an und ließ ihn hinter sich ins Gras fallen. Er beugte sich leicht nach vor und hielt die Handflächen in Breite des Brustkorbs vor sich zueinander. Seine Armmuskeln zuckten und sein Blick verschleierte.

Er sammelt seine Magie! Selbst wenn wir weit weg vom nächsten Meer sind, wird er sie von den Füßen reißen. Trotz seiner Zuversicht fasste Taris den Schwertknauf fester.

»Nervös?«, fragte Loira flüsternd.

»Nur vorsichtig«, gab er zurück, ließ dabei die Szenerie vor sich aber nicht aus den Augen.
Knisternd erschien eine silbrig-blau leuchtende Kugel vorm König der Eltrar und er richtete sich wieder auf. Seine Lippen bewegten sich lautlos und mit einem kräftigen Windstoß bewegte sich die magische Waffe auf den Anführer der Feinde zu. Der stand reglos da und schloss seine Augen. Alle starrten wie gebannt auf den kleiner werdenden Abstand zwischen ihm und der knisternden Kugel.

Es schien, als würden sie die Feine mit nur einem Angriff besiegen. Doch einen Herzschlag, bevor das magische Geschoss ihr Ziel traf, entließ der Anführer einen haarsträubenden Schrei aus seiner Kehle und hob den Stab. Als er diesen zurück auf die Erde schnellen ließ, leuchteten die Schlangen auf seinem Kopf auf und einen Moment sah es so aus, als würden sie miteinander tanzen. Doch dann wandten sie sich der Kugel zu und rissen ihre Mäuler auf.

Anstatt von den Füßen gerissen zu werden, standen die Feinde sicher mit den Beinen auf festem Grund und grinsten den Magiern entgegen. Zuerst flackerte das magische Geschoss, dann lösten sich Fäden von ihm und verschwanden im Schlund der Schlangen. Je mehr Fäden sie sich einverleibten, desto kleiner und blasser wurde die Kugel, bis sie schließlich gänzlich verschwand. Mit dem letzten Faden leuchteten die Augen der Reptilien silbrig-blauen auf. Einzig das Knistern der Fackeln legte sich über die Stille der Szenerie.

Die Schlangen schwenkten ihre Köpfe und nahmen das Versteck von Loira und Taris ins Visier. Seine Nackenhaare stellten sich auf wie schon früher an diesem Tag. Ihr Blick schien ihn zu durchbohren, als suchten sie die Magie in seinem Blut und sein Herz raste. Doch von einem Moment auf den anderen begaben sie sich wieder in ihre Ausgangsposition und das Licht in ihren Augen erlosch.

Niemand rührte sich. Selbst der König der Eltrar starrte nur fassungslos auf seinen Feind.
Da öffnete der Anführer seine Augen und gleißendes Licht strahle aus ihnen, wie zuvor bei den Tieren auf seinem Kopf. »Seid ihr nun bereit, uns freiwillig zu folgen?«, fragte er mit einem belustigten Unterton in der Stimme. Einige Magier knurrten, woraufhin sich sein Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzog. »Das dachte ich mir schon.« Er umfasste den Stab mit beiden Händen und hob ihn über seinen Kopf.

In dem kurzen Moment, den er dort verharrte, ließ Loira ihren ersten Pfeil von der Sehne schnellen. Keiner der feindlichen Krieger reagierte schnell genug und so traf er sein Ziel – die ungeschützte Achsel. Der Anführer jaulte auf und wollte den Stab auf den Boden stoßen, doch die Prinzessin aktivierte mit einem Flüstern die Magie in der Pfeilspitze und so schossen grüne Ranken aus dem Schaft hervor. Sie hielten seine Arme oben und umschlangen binnen eines Augenaufschlages seinen ganzen Körper.

Grölend stürzten sich die Magier ins Gefecht und überrumpelten ein paar der Eindringlinge. Doch der Überraschungsmoment währte nur kurz und sie erinnerten sich schnell an ihre Aufgabe. Während Taris aus dem Versteck stürmte und die ersten Angreifer abwehrte, band Loira noch ein paar Männer mit ihren Ranken fest, die vergeblich versuchten, ihren Anführer zu befreien.

Schon nach kurzer Zeit sah sich Taris von zehn Feinden umzingelt, fünf weitere lagen bereits auf dem Boden und rührten sich nicht oder kaum mehr. Sein einziger Vorteil war, dass sie keine Magie einsetzten. Heiser lachend hechtete der Erste nach vorne. Taris sprang zur Seite und verpasste ihm einen Schlag in die Seite, vollführte eine Drehung und setzte mit dem nächsten Schlag zwei weitere Krieger außer Gefecht. Das ließen sich die anderen nicht gefallen und drangen alle gleichzeitig auf ihn ein. Den ersten Schwerthieben entging er um Haaresbreite, doch dann brachten sie ihn mit Hieben in den Rücken und die Kniekehlen zu Fall. Wie besessen tastete er nach der Magie in sich, fand aber weiterhin nur Eiseskälte. Verzweifelt trat er um sich und ein verzweifelter Schrei verließ seine Kehle.

Dass ihm der Morgenstern seine Muskeln nicht zerfetzte, hatte er einzig und allein Loira zu verdanken. Sie tauchte plötzlich, keine zwei Meter vor ihm auftauchte, die Finger in die Erde gesteckt. Die Ranken, die sie mit ihrer Magie erzeugte, fesselten die Krieger und ließen sie wie erstarrt über ihm verharren.

»Worauf wartest du noch?«, rief ihm die Prinzessin zu und blies sich eine Haarsträhne aus dem geröteten Gesicht.

Taris kroch unter den ächzenden Feinden zu ihr und flüsterte: »Danke«, bevor er sich aufrappelte. Vor ihnen zeigte sich ein Feld der Verwüstung. Krieger von beiden Seiten lagen reglos auf der Erde, während weiterhin unzählige Kämpfe stattfanden. Überall blitzte die eingesetzte Magie auf und hätte in ihrem bunten Farbenspiel auch eine Inszenierung zu Ehren von Nabúrs Vergangenheit sein können – ginge es dabei nicht um Leben und Tod.

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt