Kapitel 28a

10 2 0
                                    

[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]


Taris schwebte und es war ihm, als würde er in Wasser treiben. Mit geschlossenen Augen ließ er sich durch den Raum gleiten und war sich seines Todes nur allzu deutlich bewusst. Zwei Energieblitze des Feysirs und noch dazu der Energiestoß der Artefakte – das konnte er nicht überlebt haben. Nicht ohne das Blut der Méra.

Ein Knistern ließ ihn die Augen aufschlagen. Violettes Licht umhüllte ihn wie eine weiche Wolke. So sieht also mein Ende aus?, fragte er sich und blinzelte mehrmals. Nichts veränderte sich.

Plötzlich hörte er verschiedene Schreie. Abrupt richtete er sich auf und sog scharf Luft ein. Er konnte eindeutig Loiras und die des Feysirs identifizieren. Aber zu wem gehörte die Dritte? War das ein Nachhall seines eigenen Schreis im Moment des Todes gewesen? Aber ... Er hielt inne. Warum atme ich selbst nach meinem Tod noch? Er betastete seinen Brustkorb und als sich seine Lungen erneut mit Luft füllten, hob dieser sich. Als wäre ich gar nicht im Kampf gefallen.

Mit Wehmut im Herzen dachte er an seine Gefährten und freute sich, sie zumindest für wenige Wochen seine Freunde genannt haben zu können. Er dachte an jeden Einzelnen von ihnen – und schließlich an Loira. Sie formten sich vor ihm aus der violetten Wolke und standen dort, auch Raki. Taris lächelte ihnen entgegen und bedankte sich innerlich bei ihnen.

Vielleicht hat Nabúr noch eine Aufgabe für mich, überlegte er. Oder entzieht meinem Körper die Magie, damit meine sterblichen Überreste nutzlos für den Feysir? Der Feuerprinz hatte sich noch nicht sonderlich mit dem Tod auseinandergesetzt. Aber er erinnerte sich an eine Kindergeschichte (aus einem der von seinem Vater verbotenen Büchern), in der es hieß, dass man seine Magie vor dem Verscheiden aus der Welt an jemanden weitergeben oder sie Nabúr übertragen könnte. Beim Tod seiner Großeltern war nichts dergleichen geschehen – aber deren Wissen war ja ebenso beschränkt gewesen wie seins.

Plötzlich trat eine Frau durch das Bild und die Gestalten seiner Freunde lösten sich in rosafarbenen Rauch auf. Sie trug ein bodenlanges, weißes Kleid mit einem breiten Gürtel um die Taille. Den Saum des langen, dunkelvioletten Mantels darüber zierten in Gold gehaltene, blätterbesetzte Ranken. Auf den Ärmelaufschlägen hingegen fand sich ein Streifen mit den Wappen der Königshäuser.

Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen blieb sie wenige Schritte von ihm entfernt stehen und hob den Kopf. Blaue Augen leuchteten ihm entgegen, schienen ihn zu durchdringen und jede Einzelheit seines Daseins zu bewerten. Prüft sie, ob meine Magie würdig ist, Nabúr zu dienen? Oder stört sie die Gefangenschaft durch das Adhenoj? Oder, er hielt den Atem an, wird sie über mich richten, weil ich das Artefakt der Eltrar ungefragt benutzte? Es hatte ihn niemand darauf vorbereitet, nach seinem Tod Rechenschaft über den Gebrauch seiner Magie ablegen zu müssen. Vielleicht weil niemand wusste, dass eine Richterin auf einen wartete anstelle von bereits verstorbenen Familienmitgliedern, die einen schon sehnsüchtig erwarteten? Immerhin war man dann tot und konnte keine Nachricht mehr in die Lebenswelt schicken.

»Bist du fertig mit deinen Tagträumen?«, fragte sie ungeduldig. »Es gibt wichtigere Dinge, die auf uns warten.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und marschierte in dieselbe Richtung, aus der sie gekommen war. Welche wichtigen Dinge warten nach dem Tod auf einen? Über den violetten Mantel spannte sich im Bereich des oberen Rückens das Schiffsrad der Merá, umrundet von den Wappen aller acht Königreiche. Die ebenfalls in Gold gehaltene Stickerei zeigte dieselbe Anordnung wie der Aufbau des Feysirs für die Aktivierung der Artefakte.

»Wer seid Ihr?«, rief er ihr nach. Ein Teil von ihm war sich sicher, dass sie der Tod sagen würde.

Sie blieb stehen und blickte zu ihm zurück, ohne sich umzudrehen. Ihre Augen durchbohrten ihn geradezu. »Ich bin die Wächterin der Artefakte.« Sie blickte wieder nach vorn und ging weiter. »Aber das hättest du wissen sollen, da du die Artefakte zusammengeführt hast.«

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt