[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]
Mit angehaltenem Atem ging Taris in die Hocke und streckte seine Hand aus. Ganz langsam, dass er kein unvorhergesehenes Geräusch machte. Hedlor stand wenige Meter neben ihm, die Armbrust im Anschlag, während sich die anderen Gefährten rund um das Lager aufgeteilt hatten. Raki neben Fynnlor, um ihm mögliche Tipps mit seiner Steinschleuder zu geben.
Vorsichtig öffnete der Feuerprinz den Beutel, den der feindliche Anführer fest umklammerte. Der grunzte plötzlich im Schlaf auf und schmatzte mehrmals, hielt aber die Augen geschlossen. Taris sah Asideya in seinem Gesichtsfeld auftauchen, einen Dolch schussbereit in der Hand. Er atmete zwei Mal tief durch, bevor er weiter an den Schnüren zog und von oben hinein lugte.
Da lag er! Der Blitzstein, mit dem sie zwischen den Königreichen reisten, um die Befehle des Feysirs auszuführen. Der Feuerprinz nickte seinen Gefährten zu. Hedlor kniff ein Auge zusammen, um im Ernstfall einzugreifen. Dann ging alles ganz schnell. Taris griff in den Beutel, holte den abgerundeten Stein heraus, tauschte ihn mit einem ähnlich großen und schweren aus dem Fluss aus, und erhob sich. So schnell wie möglich, ohne ein Rascheln im hohen Gras herauszufordern oder auf einen seiner Gefolgsleute zu treten, entfernte er sich aus dem Kreis der Schlafenden.
Er übernahm das Schlusslicht und betrat als Letzter den sicheren Schatten der dicht stehenden Bäume, als hinter ihm eine Stimme ertönte: »He! Du da!« Taris' Herz setzte für einen Schlag aus. Hedlor fuhr herum, die Armbrust nach wie vor im Anschlag. Seine Augen suchten das nahe Feindeslager ab. »Ich hab dir doch gestern Abend gesagt, dass du nicht aus meinem Wasserschlauch trinken sollst!«, erklang dieselbe Stimme. Als Antwort bekam sie lediglich einen verschlafenen Laut. Der Feuerprinz trieb seine Gefährten mit fuchtelnden Handbewegungen zum Rückzug an.
Bald überquerten sie den Fluss und banden ihre fertig bepackten Pferde von den Bäumen los. Sie schwangen sich auf ihre Rücken – selbst Fynnlor brauchte keine Hilfe mehr dabei – und galoppierten los. Erst, als der Wind über ihre Gesichter strich und sie ihr Lager hinter sich gelassen hatten, lachten sie einander zu. Sie hatten es geschafft und die Handlanger des Bösen ein zweites Mal beraubt! Wenn ihr Anführer nicht jeden Morgen nach dem Aufwachen überprüfte, würde es ein Weilchen dauern, bis sie überhaupt dahinterkamen. Bis dahin hätten sie vielleicht sogar schon die Ausläufer des Hügellandes von Merá erreicht.
Hedlor lenkte sein Pferd neben das von Taris. »Du würdest wirklich einen guten König abgeben«, sagte er. »Ich kenne viele Stammesfürsten und hohe Würdenträger, die den Schlaf der Feinde schamlos ausgenutzt hätten. Sie hätten zwar den Stein, aber auch den Waldboden mit Blut getränkt. Es war eine gute Entscheidung, sie am Leben zu lassen. Wenn ich auf der Jagd bin, töte ich auch keines der Tiere im Schlaf.«
»Danke«, erwiderte Taris und das Herz wurde ihm schwer. Er hatte immer gehofft, einmal ein guter König zu werden, der seinem Volk zur Seite stand. Obwohl er sein Anrecht auf den Sol'schen Thron mit dem Adhenoj zunichte gemacht hatte, hegte er nach wie vor die Hoffnung, den Bewohnern von Nabúr helfen zu können. Mit dem Raub des zweiten Blitzsteines schenkte er ihnen zumindest ein bisschen mehr Zeit.
Um die Mittagszeit erreichten die Gefährten die ersten Hügel und tränkten ihre Pferde im Flussbett. Das Wasser und der Schatten der Bäume spendeten ihnen eine angenehme Erholung, trotzdem hielten sie abwechselnd Wache. Es konnte Nabúr wer hinter ihnen her sein, jetzt, wo sie einen Diebstahl begangen hatten. Und nach meiner Begegnung in der Nacht. Vielleicht hat der Feysir doch einen Weg gefunden, meinen Aufenthaltsort zu lokalisieren.
Raki kam zu Taris und schleuderte flache Steine in einer schnellen Drehbewegung über das Wasser. Die Steine hüpften mehrmals über die Wasseroberfläche, bevor sie in den Wellen untergingen. »Trübsal blasen steht dir nicht«, bemerkte er zwischen zwei Schüssen. »Wir werden sie finden und aus den Händen des Magiers befreien.«
»Meinst du Loira?«
Der Junge nickte. »Ich habe sie noch nie so glücklich gesehen wie in den Tagen vor dem Angriff auf das Lager.« Raki machte ein nachdenkliches Gesicht. »Außer vielleicht, wenn sie einer halb vertrockneten Pflanze neues Leben einhauchte. Also mach dir keine Vorwürfe wegen deiner Magie. Irgendwie schaffen wir das schon – und dann ladet ihr mich zu eurer Vermählung ein, bei der es Unmengen an gutem Essen gibt!«
Taris lachte auf. »Dir geht es doch nur ums Essen!«
Ein spitzbübisches Grinsen zog sich übers ganze Gesicht des Jungen. »Nicht nur! Ich wünsche ihr einfach, dass sie ihr Leben lang so glücklich ist.«
Den halben Nachmittag über lotsten sie ihre Reittiere über immer steiler werdendes Gelände, bis sie beschlossen, sie zurück auf ihren Hof zu schicken und zu Fuß weiterzugehen. Mit geschultertem Gepäck erklommen sie die nächste Anhöhe und drehten sich um.
Vor ihnen lagen die Ebenen der Königreiche Cael und Ignis. Von Flüssen durchschnitten bildeten sie die Talsohle des Gebirges im Osten, das sich von Ignis über Sol bis nach Terian zog. An schönen Tagen hätten sie bestimmt auch die Wälder von Iccórda und Sol erblickt. Doch so weit sahen die Gefährten nicht. Gewitterwolken türmten sich am Himmel und eine graublaue Wand versperrte ihnen die Sicht über die nächstgelegenen Landesgrenzen.
»Wenn wir den Feysir nicht aufhalten, versinkt ganz Nabúr in Dunkelheit. Und dann nicht nur wegen des Regens«, sagte Marel. »Lasst uns weitergehen.«
In dem Moment drehten sich einige Wolken wie ein Auge zusammen und sie konnten sehen, wie es in ihnen zu knistern begann. Wind frischte auf und zerrte an ihren Haaren und Gewändern, bis sich die gesammelte Energie in einem Bündel aus Blitzen entlud – in dem Wald, in dem sie zuvor ihre Feinde beraubt hatten.
»Haben wir etwa einen übersehen?«, knurrte Hedlor und starrte mit dunklen Augen ins Tal.
»Gut möglich.« Fynnlors Stimme zitterte ein wenig. »Es war schon eine sehr große Gruppe im Gegensatz zu denen, die wir selbst sahen oder von denen wir hörten.«»Oder sie haben ein System, mit dem sie im Ernstfall Verstärkung rufen können«, ergänzte Taris. Er lässt nach mir suchen. Gut möglich, dass er seine Truppen verstärkt hat.
Während sich die Anderen zum Gehen abwandten, holte der Feuerprinz die Blitzsteine aus seiner Tasche und blieb zurück. Sie lagen warm in seinen Händen und wieder hatte er das Gefühl, dass sie nur allzu gern mit den Gewittern rund um sie vereint werden wollten. Sein Finger kreiste über dem Dreieck, als wolle ihn eine fremde Macht dazu bringen, sie zu benutzen. Ein einzelner Windhauch strich über seine Wange und säuselte ihm fremde Worte ins Ohr. Schon berührten die Fingerkuppen die Dreiecke und drückten sanft gegen den warmen Stein.
»Komm«, sagte Asideya und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Im selben Moment, in dem sie ihn berührte, verflog das Säuseln und seine Finger zuckten zurück. Hastig steckte er sie zurück in seine Tasche und sie schlossen zu den anderen auf.
Ihre Magie wird mächtiger, je näher wir ihrem Herren kommen, stellte Taris fest und spürte das Gewicht der Steine ungewöhnlich schwer auf sich lasten. Sie möchten aktiviert werden und sich vereinen. Aber das brächte eine Welle der Verwüstung über Nabúr.
Marel führte die kleine Gruppe sicher durch das abschüssige Gelände. Obwohl die Baumgrenze noch weit über ihnen lag, hörten die Bäume abrupt auf, als wären sie abgeholzt worden. Zu beiden Seiten zog sich die Grenze weiter, soweit das Auge reichte. »Das Feld der ungleichen Schlacht«, erklärte ihnen der Holzfäller. »Hier wurden die Magier der Merá von denen der anderen Königreiche abgeschlachtet. Dieser Ort ist von so viel Blut durchtränkt, dass kein Baum mehr Wurzeln schlug.«
Eine Gänsehaut zog sich über Taris' Oberarme. Er fragte sich einmal mehr, weshalb seine Vorfahren dieses Wissen aus den Geschichtsbüchern von Sol hatten entfernen lassen. »Können wir es irgendwie umgehen?«
»Das hatte ich gehofft, aber wir würden zumindest einen Tag dadurch verlieren. Ich kenne nur einen Einstig ins Nebelmeer und der liegt direkt über uns.« Die Gefährten blickten den Berghang hinauf. In der Ferne leuchteten vereinzelt grüne Tupfer von Baumkronen auf.
»Dann gehen wir weiter«, beschloss Taris. Schon beim ersten Schritt auf die freie Fläche überkam ihn das Gefühl, von hunderten Augenpaaren beobachtet zu werden. Seine Füße fühlten sich plötzlich schwerer an, als zögen ihn unsichtbare Arme nach unten.
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Taris - Die Magie der Artefakte
FantasyWofür würdest du dich entscheiden, wenn das Schicksal des Kontinents mit in deinen Händen läge? Für eine Geheimmission voller Gefahren, um die Pläne des Feindes zu vereiteln? Oder für den Thron des mächtigsten Königreiches? Vor dieser Wahl steht der...