Kapitel 20b

10 1 0
                                    

[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

Der Feuerprinz legte den nächsten Ast in die Glut und blickte den aufsteigenden Funken nach. »Nein. Schon in meiner Kindheit ermahnten die Eltern der Oberstadt ihre Kinder, mich mit den richtigen Höflichkeitsfloskeln anzusprechen. Das taten sie anfangs nur, wenn Erwachsene in der Nähe waren aber schon bald auch während unserer gesamten gemeinsamen Zeit. Es dauerte nicht lange, dass niemand mehr mit mir spielen wollte, weil sie zu Hause Strafen bekamen oder eine saftige Ohrfeige, wenn durchsickerte, dass sie mich wie einen der ihren behandelten. Sie hatten anscheinend zu viel Angst, es sich mit dem nächsten König zu verscherzen.«

»So ein Schwachsinn«, murmelte Marel, aber Taris zuckte nur mit den Schultern.
»Ich habe mich daraufhin mehr auf das Studium der älteren Schriften verlegt, es geliebt, verbotene Bücher in der Bibliothek ausfindig zu machen und bin vor allem gewandert.«
»War es nie beklemmend für dich, in der Sonnenstadt eingesperrt zu sein?«, wollte Raki wissen.

»Wie meinst du das?«

»Naja ... ihr habt doch diese Barriere und die zeigt doch immer an, wenn ein Magier sie passiert. So konntest du doch nie hinaus, wenn du einfach nur einmal Ruhe oder Zeit für dich haben wolltest«, erklärte sich der Jüngste unter ihnen. »Mich würde es wahnsinnig machen, in einem Haus eingesperrt zu sein und nicht einfach mal hinaus in den Wald zu können.«

»Unsere Palastgärten sind zum Glück sehr weitläufig«, erklärte der Feuerprinz. »Mein Vater unterließ es bald, seine Soldaten auf die Suche nach mir zu schicken. Sie fanden mich nie.« Seine Augen leuchteten auf, als er an seine Morgendwanderungen dachte und das Versteckspiel mit den fluchenden Männern. »Ich musste zwar vorab Bescheid geben, wenn ich die Sonnenstadt verlassen wollte, aber es gab nie Einsprüche. Das einzige Mal, dass mich die Barriere störte, war, als mich mein Vater nicht ins Lager der Magier ziehen lassen wollte. Deshalb habe ich meine Magie dem Adhenoj übergeben – mit der festen Annahme, dass es sie wieder freigeben würde, sobald ich sie brauche.«

Schweigen legte sich über das Lager, welches nur das Knistern des Holzes durchbrach. Mit dem Orange der Flammen wanderten Taris' Gedanken zu Loira. Das Bild ihres geschundenen Körpers und der zerrissenen Kleidung verdrängte jegliche schöne Erinnerung und er wischte sich übers Gesicht, um der aufwallenden Wut in sich keine Chance zu geben, aufzukeimen. Sein Missmut und die Hilflosigkeit, ihr nicht helfen zu können, leckten wie durstige Rehe an der Oberfläche eines Sees, in den er diese starken Gefühle sperrte. Sobald er ihnen auch nur ein klein wenig nachgab und sie aus dem Wasser steigen ließ, kribbelten die Arme an den Stellen, die das Adhenoj bereits für sich beansprucht hatte. Aber er würde nicht zulassen, dass sich uralte Magie seines ganzen Körpers bemächtigte. Außerdem wusste der Feuerprinz nicht, ob ihn seine eigene Magie verschlingen könnte. Er konnte sie zwar nicht benutzen, aber sie wartete in seinem Inneren darauf, befreit zu werden.

»Ich vermisse Loira«, durchbrach Raki schließlich die Stille. »Ich habe ihr so vieles zu verdanken – eigentlich alles – und deshalb möchte ich auch euch danken, dass ihr mich auf diese Reise überhaupt mitgenommen und nicht nach Hause geschickt habt.« Marel nickte dem Jungen wohlwollend zu. »Sie hat mich vor über einem Jahr halb verhungert im Wald gefunden und mich ohne viele Fragen zu stellen mitgenommen. Freunde von ihr, die am äußeren Stadtrand der Hauptstadt wohnen, haben mich aufgenommen und aufgepäppelt. Sie haben mich als einen der ihren aufgenommen und so hatte ich nach dem Tod meiner Eltern plötzlich nicht nur zwei Erwachsene, die sich liebevoll um mich kümmerten, sondern auch ältere Geschwister bekommen. So ein Glück hat nicht jeder und dessen bin ich mir durchaus bewusst.« Er fuhr sich durch die fingerlangen Haare, verstrubbelte sie dadurch aber noch mehr.

»Wie kommt es, dass Loira dich mit ins Lager der Magier genommen hat?«

Ein spitzbübisches Grinsen huschte über sein Gesicht. »Seit Beginn des Frühlings bin ich viel mit ihr unterwegs gewesen. Habe Kräuter gesammelt und Bauern besucht, aber auch Selbstverteidigung gelernt. Dann kam sie zu uns, um mir zu sagen, dass sie einen neuen, wichtigen Auftrag hat und eine Weile weg sein wird. Ich wollte nicht auf sie hören und habe sie überzeugt, mich mitzunehmen.« Taris zog eine Augenbraue hoch. Loira einfach so zu so etwas zu überzeugen klang merkwürdig in seinen Ohren. »Na gut. Ich habe sie mit meinem Holzschwert angefallen und einen Art Straßenkampf mit ihr begonnen, um ihr zu zeigen, dass ich keine Furcht habe. Mit dem Versprechen, auf sie zu hören und wegzulaufen und nach Hause zu gehen, wenn sie es mir befiehlt, nahm sie mich dann mit.«

Marels glucksendes Lachen erfüllte die Lichtung und die Gefährten stimmten mit ein. »Sie hat mir schon im Lager erzählt, dass du ein kleiner Wildfang bist«, sagte er und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. »Aber dass du dich traust, eine Prinzessin anzugreifen, zeugt wirklich von Mut.«

Raki setzte ein zufriedenes Grinsen auf und zog die Füße zu sich heran. »Ihr handelt euch vermutlich Ärger von ihr ein, weil ihr mich nicht nach Hause geschickt habt. Aber ich kann jetzt doch nicht einfach gehen und sie ihrem Schicksal überlassen! Nicht, nachdem sie mir mein Leben gerettet und eine neue Familie geschenkt hat!«

Keiner der Gefährten widersprach ihm und sie hingen wieder ihren Gedanken nach, bis dem Holzfäller einen fragenden Blick zuwarf. »Du bist der Einzige, der uns über seine wahren Beweggründe dieser Reise noch im Dunkeln lässt«, stellte er fest.

Der Älteste unter ihnen räusperte sich und setzte sich gerade hin. »Wie schon anfangs gesagt, habe ich drei Töchter und eine wundervolle Frau. Es ist zwar ein Krieg unter Magiern, aber wenn ich die Chance habe, eine Versklavung durch diesen Wahnsinnigen aufhalten zu können, bin ich gern bereit dazu. Mir graut es vor dem Gedanken, dass wir alle unter der Hand dieses Feysirs und in den Trümmern eines Krieges unser Dasein fristen sollen. Freiheit und eine eigene Meinung sollten das Grundrecht von uns allen sein.«

»Noble Gründe für einen einfachen Holzfäller.« Der Nordmann sah Marel durchdringend an. »Aber was verbirgt sich dahinter?«

Der Holzfäller zuckte mit den Achseln. »Der Wunsch nach Frieden? Nach Gerechtigkeit? Was willst du hören, Hedlor? Dass ich mir etwas zu Schulden habe kommen lassen? Solche Geschichten kann ich dir nicht bieten.

Aber ich kenne Loira schon fast ihr Leben lang und weiß, für welche Ziele sie kämpft. Natürlich hat mir ihr Vater einiges geboten, damit ich für ihren Schutz sorge und sie begleite. Aber er kennt meine Grenzen, denn ich trage keine Magie in mir. Ich habe das Recht, nach Hause zurückzukehren, selbst wenn ihre Mission scheitert. Mich erwarten kein Groll und kein Zorn aus dem Königshaus, aber eine Familie und ein warmes Haus. Das ist es, was ich bewahren möchte. Außerdem hat mir ein Blick in die Augen des jungen Mannes neben mir genügt, um zu wissen, dass er alles daran setzen wird, uns sicher ans Ziel zu führen.« Er bedachte Taris mit einem langen Blick. »Und das nicht nur, weil er dem Feysir das Handwerk legen möchte.«

Taris kratzte sich am Hinterkopf. »War das denn so offensichtlich?«

Fynnlor lachte auf. »Sogar ich habe im Lager schon von euch gehört! Angeblich war Marel der Einzige, der die Funken zwischen euch auch wirklich gesehen hat.« Augenblicklich schoss die Röte ins Gesicht des Feuerprinzen.

»Ganz so wörtlich kann man des jetzt nicht nehmen«, beruhigte ihn Marel. »Aber ich schwöre, wenn du deine Feuermagie einsetzen hättest können, wäre das Lager schon vor dem Einfallen der Feinde in Flammen gestanden. So sehr hat es zwischen euch gefunkt.«
»Ihr wusstet also alle von Anfang an Bescheid?«, fragte er.

Raki antwortete als Erster: »Selbst einem Blinden wäre das aufgefallen! Schon vor deinem Eintreffen hat sie mir erzählt, dass du kommen wirst.« Taris blinzelte überrascht. Schon davor?

Hedlor übernahm: »Was glaubst du, weshalb dich die jungen Magier so bedrängt haben? Keiner von ihnen hat verstanden, wie sich eine so mächtige Magierin um einen kümmern kann, der seine eigene Magie aufgegeben hat. Die waren alle eifersüchtig!«

Eifersüchtig?, fragte sich Taris. »Worauf denn? Dass ich nur mit normalen Waffen trainieren konnte?«

Fynnlor raufte sich die roten Locken. »Wohl eher darauf, dass sie Partei für dich ergriffen hat und nicht mehr von deiner Seite gewichen ist!«

War das so gewesen? Taris versuchte, sich die Tage nach seiner Ankunft im Lager in Erinnerung zu rufen, als plötzlich das Heulen eines Wolfes die Stille der Nacht durchbrach. Mehrere Tiere antworteten aus unmittelbarer Umgebung, in kreisförmiger Anordnung. Schlagartig verflog die ausgelassene Stimmung.

»Sie sind da.«

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt