Kapitel 11a

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

Schmerzen. Verzweiflung. Angst.

Rund um ihn Schwärze.

Kälte. Eiseskälte, wie sie aus dem Hohen Norden bekannt war. Wo der eigene Atem als Kristalle in der Luft hing und die Finger ihre Farbe wechselten, sobald man das eigene Heim verließ – außer man trug geeignete Kleidung. Oder war dort aufgewachsen.

Aber woher kam diese Kälte? Hatten ihn die Geister seiner Vorväter in ihre Gefilde geholt? Er dachte einen Moment lang nach. Nein. Das glaubte er nicht. War es seine Enttäuschung über die Niederlage gegen die Kämpfer des Feysirs? Oder entzog ihm das Adhenoj jetzt auch noch die Lebenswärme, nachdem es seine Feuermagie für sich beansprucht hatte?

Taris hob die Hand, um sich damit übers Gesicht zu fahren. Aber weit kam er nicht. Erst jetzt bemerkte er, dass ihn etwas zu Boden drückte. Schon wieder Erdmagierfesseln? Oder hatten ihn die Handlanger des Feysirs doch noch geholt und in Ketten gelegt? Misstrauisch hob er den zweiten Arm, doch auch der blieb an seinem Platz, ebenso wie sein gesamter Oberkörper.

Da zwang sich der Feuerprinz dazu, endlich seine Augen aufzumachen, und verließ den Ort der Dunkelheit in seinem Inneren. Eine Welle aus Schmerz rollte über seinen Körper und trotz seiner offenen Augen erkannte er im ersten Moment nur schemenhafte Umrisse. Schwarze Balken türmten sich über ihm und vereinzelt kämpften sich die hellen Strahlen der Sonne in die Düsternis.

Wo bin ich hier?, fragte sich Taris. Aufgrund der Unbeweglichkeit seines Oberkörpers hatte er zuerst auf ein Verlies in den untersten Stockwerken des Hauptsitzes des Feysirs getippt. Das passte aber nicht mit den angekohlten Balken zusammen. Außer die gefangen genommenen Magier hätten diesen in Schutt und Asche gelegt.

Der Prinz drang tiefer in seine Erinnerung vor, die ihm immer wieder wie ein Fisch im Wasser durch die Finger glitt. Nur bruchstückhaft kehrten Details an den Kampf zurück. Die tanzenden Schlangen am Kopf des Anführers, sein Versuch, die Feuermagie in sich zu erreichen, Loiras angsterfüllter Blick, als die Blitze die Gefangenen einkreisten.

Er war gefesselt gewesen. An der Versammlungshütte, die niederbrannte. Wie nur kam es, dass er (vor allem ohne seine Magie) überlebt hatte und unter den Trümmern lag? Wie ging es den anderen? Den Menschen? Marel?

Der Gedanke an seinen Lehrer und Freund verdrängte die Starre und seine Finger suchten Stellen, an denen er sich aus seinem Gefängnis befreien konnte. Seine Füße lagen frei, doch ein Balken ruhte auf seiner Hüfte, während viele dünnere seine Arme zu Boden drückten. Mit dem wenigen Freiraum, den seine Finger hatten, fand er schließlich ein loses Brett und schob es vorsichtig Stück für Stück zur Seite. Vorsichtshalber rüttelte er immer wieder ein wenig daran, um sicherzugehen, dass es nicht den ganzen Stapel über ihm trug und er sich damit noch mehr einkeilte. Verkohlte Holzreste bröselten ihm ins Gesicht und er hustete. Der Holzstoß über ihm wackelte und noch mehr Asche rieselte auf ihn herab, doch das hielt ihn nicht auf. Seine Finger fanden das nächste lose Ende und er arbeitetet sich weiter, bis ein erster Sonnenstrahl sein Gesicht kitzelte.

Plötzlich hielt er inne.

Was würde er tun, wenn er draußen war? Wie würde er den Menschen ohne Magie helfen, geschweige denn, ihnen Hoffnung geben können? Was würde er tun? Den Feysir verfolgen? Zu seinem Vater zurückkehren? Er fühlte sich dem Versprechen gegenüber seinem Königreich verpflichtet. Wofür sonst hätte er die Prüfungen zur vorzeitigen Thronübernahme abgelegt? Um dem nächstbesten Abenteuer nachzujagen?

Dies ist kein Abenteuer, meldete sich wieder die Stimme zu Wort, die jedes Mal auftauchte, wenn den Prinzen Zweifel plagten. Das ist Krieg.

Aber wo ist mein Platz darin?, schrie er ihr innerlich entgegen und ballte die Hände zu Fäusten. Was konnte schon ein magieloser Magier im Kampf gegen den übermächtigen Feind ausrichten?

Deine Magie hat dich nicht verlassen.

Taris schnaubte. Natürlich hatte sie ihn nicht verlassen. Er hatte sich selbst für die Einnahme des Adhenoj entschieden. Aber was genau meinte die Stimme damit? Jedes Mal, wenn er die Magie in sich zu fühlen versuchte, traf er auf eine eisige Barriere, die ihn sich nackt fühlen ließ. Ausgeliefert. Unbedeutend.

Deine Magie hat dich nicht verlassen, sagte die Stimme erneut.

»Taris? Bist du da unten, Taris?«

Marel? »Ja, ich bin hier!«, rief der Feuerprinz. Gehörte diese kratzige Stimme tatsächlich zu ihm? Er griff einen der Balken über ihm und rüttelte daran. Was er aber sofort bereute, denn verkohlte Teilchen und Asche rieselten auf ihn herab und lösten einen Hustenanfall aus, der sich erst legte, als das Licht der hoch stehenden Sonne ihn blendete.

»Bei Nabúr, habe ich mich wirklich nicht getäuscht! Du lebst!«

»Mehr oder weniger«, gab Taris zurück und blickte zu seinem Retter hoch. Dessen Gesicht zierte neuerdings ein blaues Auge und mehrere Kratzer.

»Was heißt da mehr oder weniger? Du liegst hier gemütlich herum, während wir dabei sind, die Reste des Lagers zusammenzusuchen. Hättest dich ruhig schon früher melden können und nicht erst, wenn das Essen fast fertig ist.« Marel lachte glucksend auf und auch wenn Taris sich dagegen wehren hätte wollen – er konnte nicht anders, als einzustimmen. Und sich dabei schmerzhaft bewusst werden, dass auf seinen Hüften noch ein Balken lag. »Sollen wir da dran was ändern?«, fragte sein bärtiger Freund und warf dem verkohlten Stück Holz einen vielsagenden Blick zu.

»Wenn es keine zu großen Umstände macht?«

»Nein, nein«, versicherte ihm Marel grinsend und winkte ein paar Männern. »Wir waren ohnehin dabei, das Lager aufzuräumen. Du zwingst und lediglich dazu, früher als geplant mit der Versammlungshütte anzufangen.« Zu dritt hoben sie den Balken zur Seite und die anderen Männer schienen danach erleichtert zu sein, wieder einen gewissen Abstand zwischen sich und den Feuerprinzen zu bringen.

Erleichterung durchströmte Taris, doch das Gefühl hielt nicht lange. Als er sich aufsetzte, durchzuckten Schmerzen seinen Körper und er fühlte sich, als hätte ihn ein Blitz getroffen.

»Nicht so schnell«, beschwichtigte ihn Marel. »Die halbe Hütte ist auf dir gelegen und es würde mich nicht wundern, wenn deine Hüften dich die nächsten Wochen noch daran erinnern. Lass dir Zeit beim Aufstehen.« Aber Taris wollte weder etwas von Bettruhe noch von Zeit lassen hören. Er biss die Zähne zusammen und rappelte sich erneut auf. Als er auf die Beine kam, drehte sich die Welt rund um ihn und er hätte sich fast wieder hingesetzt. Der fragende Blick seines Freundes und seine ausgebreiteten Hände, um ihn gegebenenfalls aufzufangen, entgingen ihm trotzdem nicht.

»Was ist?«, fragte er und stemmte die Hände in die Hüften. Der Schwindel verabschiedete sich nur langsam.

»Keiner von uns glaubte, dass du das Feuer überlebst. Du bist ein Feuermagier, ja. Aber einer ohne Magie. Und trotzdem hast du keine Verbrennungen und noch dazu alle deine Haare behalten, obwohl sich die Flammen wie ein Pack hungriger Wölfe auf dich gestürzt haben.«
Taris blickte an sich herab – und stellte peinlich berührt fest, dass das Feuer ihm nicht nur sein Bewusstsein, sondern auch seine Kleidung geraubt hatte.

»Geh dich im Fluss waschen«, wies ihn Marel an. »Soweit ich weiß, sollte dein Lager noch unberührt sein. Bis dahin ist das Essen bestimmt fertig. Alles Weitere besprechen wir danach.« Der Prinz nickte, kletterte über ein paar verkohlte Holzstücke und wackelte in Richtung seiner Schlafstätte davon. »Taris!«, rief ihm der Axtwerfer nach und er drehte sich nochmals um. Etwas flog auf ihn zu und er fing es auf, bevor es sein Gesicht traf. Verwundert öffnete der Feuerprinz die Faust und fand ein Handteller großes, in sich verflochtenes Kräuterbündel darin.

»Seifenkraut, von meiner Frau. Ansonsten wirst du den Ruß sicher nicht los. Aber lass es nicht davonschwimmen! Ich will es wiederhaben.«

Für den Weg zu seinem Lager brauchte Taris mindestens doppelt so lange wie gewohnt. Seine Füße fühlten sich schwach an und die Bäume drehten sich immer wieder, als würden sie nach ihm greifen wollen. Wie von Marel prophezeit pochte seine Hüfte bei jedem Schritt, als würde ein Schmied seinen Hammer darauf niedersausen lassen.

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt