Kapitel 16a

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

»Was wisst Ihr über mich?«

Das Lächeln der Alten vertiefte sich. »Genug, um den wahren Grund deiner Reise zu kennen.« Ihre Stimme klang rau, als hätte sie sie schon lange nicht mehr benutzt.

Taris' Verstand suchte fieberhaft nach Antworten auf die Fragen, die in ihm um ihre Wichtigkeit rangen. Wer war die Frau? Gehörte sie zu den Spitzeln des Feysirs? Kannte sie ihn, weil er den Thron von Sol besteigen würde? Kannte er sie?

»Wenn du Antworten auf deine Fragen haben möchtest, folge mir.« Sie drehte sich um und ging zurück zu ihrem Haus, drehte sich aber im Türrahmen nochmal um. »Worauf wartest du?«, blaffet sie ihn an und verschwand.

Langsam setzte sich Taris in Bewegung. Auf ihrem schindelgedeckten Dach wuchsen, anders als bei den umliegenden Häusern, Farne und Grasbüschel. Pflanzen rankten sich an der Mauer hoch, klammerten sich in die Zwischenräume der Steine und umrahmten die Tür, als luden sie einen zum Eintreten ein. Ob sie eine Erdmagierin ist, die sich mit diesen Pflanzen ungewollte Besucher vom Leib hält?

»Das hat ja gedauert«, murmelte die Alte, als er in einen kerzenbeleuchteten Raum trat. »Schließ die Tür hinter dir und komm her.« Sie stand vor einem Tisch voller alt aussehender, aufgeschlagener Bücher. In den Regalen an den Wänden reihten sich Gefäße mit getrockneten Blättern, Blüten oder Steinen. In einer Ecke stand eine Bank, auf der niemand hätte Platz nehmen können, da noch mehr Bücher darauf lagen. In einem kleinen Ofen brannte Feuer und über dem Wassertopf kräuselte sich bereits Dampf in der Luft. »Setz dich«, kommentierte sie, streute eine Handvoll getrockneter Pflanzen in den Topf und stellte ihn etwas zu schwungvoll auf den Tisch. Das Wasser schwappte über und kam dabei den Büchern gefährlich nahe. Taris griff nach dem nächsten und wollte es in Sicherheit bringen, doch da stoppten ihre knochige Finger sein Handgelenk mit eisernem Griff.

»Niemand rührt meine Bücher an«, stellte sie mit kalter Stimme fest und ließ ihn erst wieder los, als er nickte. Sie verschwand hinter einem mit Folianten vollbepackten Regal und kam mit drei dicken Büchern im Arm wieder zurück. Geradezu achtlos ließ sie diese auf die anderen fallen und Taris glaubte, diese unter der neuen Last ächzen zu hören.

»Kommen wir also gleich zum Wesentlichen«, begann sie und blätterte im obersten Buch. »Ihr seid eine bunt zusammengewürfelte, hilfsbereite Truppe auf dem Weg nach Merá, die sich dem Feysir stellen wollen. Deine Magie ist unterbunden. Wie gedenkt ihr, ihn zu besiegen?«

Taris konnte nicht anders, als sie anzustarren. Bis auf das kurze Gespräch mit Hedlor beim Fest hatte keiner von ihnen darüber gesprochen. Außerdem nannte ihn hier niemand Feuerprinz, auch wenn er es war.

»Ich habe nicht die ganze Nacht für dich Zeit, Bürschen. In meinem Alter ist Schlaf wichtiger denn je, auch wenn es nur ein paar wenige Stunden sind.« Sie sprach, ohne von ihren Büchern aufzusehen.

»Wer seid Ihr?«, fragte er stattdessen.

Endlich hob sie ihren Blick, auch wenn die Finger weiter über die Seiten glitten, als wüssten sie, was sie finden sollten. »Awa.« Mit dieser knappen Antwort widmete sie sich wieder ihrer Suche.

»Das meinte ich nicht. Woher kennt Ihr unsere Pläne? Woher wisst Ihr, wer ich bin?«

»Ich bin alt, Taris, Sohn des Sol. Sehr alt. Mir eröffnen sich Dinge, die vor den Menschen und einem Großteil der Magier in den Schatten verborgen bleiben. Wie zum Beispiel, dass du nach der Erdprinzessin suchst, deren rote Haarpracht deinem Feuer gleicht und die dein Herz entfachte.« Der Feuerprinz schluckte. Er war gerade erst dabei, die Gefühle in seinem Inneren zu verstehen. Eine Fremde darüber sprechen zu hören, irritierte ihn. »Aber das sind nicht die einzigen Gründe für deine Reise, habe ich recht? Du bist dir sicher, dass die Wirkung des Adhenoj beim kommenden Vollmond abklingt. Gleichzeitig würde es sich wie Verrat an der Sache anfühlen, wenn du jetzt und vor allem mit leeren Händen in die Sonnenstadt zurückkehrst. Ohne Magie, ohne Artefakt, ohne dem Feysir das Handwerk gelegt zu haben. Die Angst davor, was dein Vater sagen und was das für deine Thronfolge bedeuten würde, lähmt dich innerlich. Der nobelste Grund für deine Weiterreise ist allerdings nicht die Liebe zur Erdmagierin, sondern eine unverrückbare Gewissheit, dass so viel Magie nicht in die Hand eines einzelnen gelangen darf, der Nabúr unterjochen möchte.« Awa sagte all dies, ohne auch nur einmal einen Blick zu Taris zu werfen, der mit angehaltenem Atem vor ihr saß. Mit bis zum Hals schlagenden Herzen und feuchten Händen. Es war nicht nur, dass sie seine Gefühle gegenüber Loira kannte. Sie hatte auch seine innersten Bedenken aufgezählt, als seien sie nichts weiter als Punkte auf einer Arbeitsliste.

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt