Kapitel 9b

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[Kapitel werden aufgrund der Länge in a und b aufgeteilt]

»Hast du mit Patissor darüber gesprochen?« Sie schüttelte den Kopf – so gut das eben mit dem Kinn auf dem Knie ging. Warum erzählt sie es dann mir? »Dann lass uns lieber über Dinge reden, bei denen es keine oder gibt. Zum Beispiel darüber, wie es die hier im Lager geht? Immerhin bist du schon ein paar Wochen länger hier als ich und wirst meines Wissens nach von den Jungmagiern nicht laufend gebeten, deine Magie zu demonstrieren.«

Loira lachte auf. »Das stimmt. Aber möchtest du das wirklich wissen?« Dabei drehte sie sich (mit dem Kinn immer noch auf dem Knie) zu ihm und verunsicherte Augen blickten ihn an.

»Sicher, sonst hätte ich nicht gefragt.«

Sofort setzte sie sich wieder mit geradem Rücken hin. »Es klingt vielleicht blöd, aber ... ich fühle mich eingesperrt und rastlos. Ehrlich gesagt kann ich es kaum erwarten, bis wir auf die Jagd gehen und dem Feysir das Handwerk legen. Von zu Hause bin ich es gewohnt, durchs Land zu reisen und Bauern zu helfen, deren Feldpflanzen nicht richtig wachsen. Oder, mich um die Palastgärten zu kümmern. So lange an einem Ort zu sein und nicht wegzukönnen gibt mir das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.

Warum nochmal hast du das Adhenoj getrunken?«, wechselte sie das Thema und ihre Augen nagelten ihn fest wie an seinem ersten Abend im Lager. »Diesmal möchte ich die Wahrheit hören. Die ganze Wahrheit.«

Taris seufzte. Bisher hatte er die Fragen danach sehr ausweichend beantwortet. Lieber wäre er bei den Sternen geblieben. Oder hätte sie darauf aufmerksam gemacht, wie falsch platziert ihre Waffen vor dieser wunderschönen Kulisse aussahen: hohes Gras, dessen Spitzen im Mondlicht sanft schimmerten, dahinter ein murmelnder Bach und die Spitzen der Nadelbäume, auf denen vereinzelt die Nachtvögel ihre Aussichtspunkte bezogen hatten. Das alles passte nicht so recht mit dem Krieg zusammen, in dem sie sich befanden. Zeigte ihm aber deutlich, was sie zu schützen versuchten.

»Die kurze Version: Weil mein Vater mich nicht gehen lassen wollte.«

»Und die lange?« Diesmal war sie es, die die Augenbrauen in die Höhe zog.

Taris kämmte sich mit den Fingern durchs Haar. Wie sollte er ihr das alles erklären? Was durfte die geschützten Palastmauern verlassen? Der Einfachheit halber entschied er sich für die Wahrheit. »Mein Vater möchte, dass ich den Thron übernehme.«

»Das ist jetzt aber nichts Neues, oder?«

Taris pflückte sich einen der langen Grashalme und knickte ihn in fingerbreiten Abständen. »Nicht irgendwann in der Zukunft. Sondern jetzt.«

»Dafür müsstest du doch-«

»Prüfungen ablegen?«, unterbrach er sie. »Ja. Habe ich bereits. Alle bis auf eine. Bei der haben die Handlanger des Feysirs dazwischengefunkt und den Tempel niedergebrannt, bevor ich dem Wächter des Artefakts Rede und Antwort stehen konnte.«

Loira pfiff anerkennend und legte sich auf ihre Ellenbogen ins Gras zurück. »Dann wärst du jetzt König des Sonnenreiches, hätte sich nicht ein neuer Feind erhoben. Beachtlich.« Ohne genauer darüber nachzudenken legte auch Taris sich zurück in die grünen Halme. Obwohl sie sich nicht berührten, war er sich ihrer Nähe plötzlich sehr bewusst. »Aber das erklärt noch nicht, weshalb du deine Magie unter eine Schicht aus Eiseskälte verbannt hast.«

»Mein Vater wollte mich wegen der bevorstehenden Krönung nicht gehen lassen, sondern einen Trupp seiner besten Männer schicken«, erwiderte er ohne Umschweife. Erleichterung darüber, endlich jemandem die Wahrheit zu erzählen, breitete sich in ihm aus. Nicht nur irgendjemandem, sondern Loira. »Das konnte ich nicht zulassen und meine Mutter war derselben Meinung wie ich.«

»Sag jetzt nicht, er wollte dich in der Stadt einsperren?«

Taris linste zu ihr hinüber und sah ihre aufgerissenen Augen. »Genau das hatte er vor. Er ließ die Barriere um die Sonnenstadt verstärken und bei meiner Flucht am nächsten Morgen suchten bereits die Wachen nach mir. Ohne Hilfe hätte ich es nie geschafft, zu euch zu kommen.«

»Das hätte ich von deinem Vater nicht erwartet. Aber wenn er meinem Vater auch nur in Ansätzen ähnlich ist ...«. Sie drehte sich zur Seite und inspizierte Taris. Ihr Blick hielt ihn gefangen und so legte auch er sich auf die Seite und stützte den Kopf auf dem rechten Arm ab, um sich seinen Hals nicht zu verrenken.

»Was ist dann?«, fragte er gespannt und musterte sie. Das Mondlicht tauchte ihre Gestalt in sanftes Licht und ihre Haarspitzen schienen zu schimmern. Mit den Fingern der rechten Hand spielte sie mit den Grashalmen, nur eine Handbreit von seiner entfernt. Taris fühlte, wie seine Fingerspitzen leicht kribbelten, als wüssten sie nicht, ob sie an Ort und Stelle bleiben sollten, oder nicht. Sein ganzer Körper stand unter einer angenehmen Anspannung, die der neugierig-erwartungsvolle Blick in ihren Augen nur noch verstärkte.

Mit deiner Anwesenheit und wenigen Worten nimmst du meine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag. Wie machst du das so einfach, Loira?

»Wer hat es auf deiner Kandidatenliste ganz nach oben geschafft?«, durchbrach sie schließlich die Stille zwischen ihnen. Taris glaubte, einen Kübel eiskalten Wassers ins Gesicht zu bekommen, der die angenehme Anspannung und das Kribbeln in seinen Fingerspitzen fortspülte. Meinte sie die Liste der Heiratskandidatinnen, die seine Eltern entworfen hatten? »Was siehst du mich jetzt so an? Ich nehme an dass nicht nur meine Eltern es sich zum Lieblingsthema gemacht haben, heiratsfähige Kandidaten aufzulisten?«

Taris setzte sich auf und lachte, doch selbst in seinen Ohren klang es gekünstelt. »Hatten sie bei dir schon Erfolg? Den Gerüchten kann ich immer noch nicht so recht glauben«, legte er das Thema auf sie um.

Loiras Lippen kräuselten sich nach oben und sie setzte sich im Schneidersitz neben ihn. »Welchen Gerüchten?«

Der Puls des Feuerprinzen schnellte in die Höhe. Wusste sie davon? Sie musste davon wissen! Er selbst hatte beim letzten magischen Turnier das erste Mal davon gehört. Vor sieben Jahren. »Dass du nichts mit Männern anfangen kannst«, sagte er so ruhig wie möglich.

»Kann es sein dass du dich unwohl fühlst, darüber mit mir zu reden?«, stichelte Loira. Sie genoss sein Unwohlsein sichtlich und saß vollkommen entspannt neben ihm. Keine grob ersichtliche Reaktion zu seiner Aussage.

»Nur wenn ich der erste bin, von dem du es hörst.«

»Weshalb?«

»Weil ...«, er überlegte einen Moment. Warum eigentlich? »Bei Nabúr, vielleicht bist du geschockt oder wütend und lässt alles an mir aus? Von fehlgeleiteten Erdmagierzaubern habe ich im Moment genug.«

Loira presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und versuchte, ernst zu bleiben. Das schaffte sie aber nur für ein paar Atemzüge, dann lachten beide los.

Sie genießt unsere Gespräche, stellte Taris fest. Ich auch.

Das Funkeln in ihren Augen erinnerte ihn an die Tänze der Sterne über den Palastbergen seines Königreiches. Sollte er ihr das sagen? Kaum merklich war sie ein Stück an ihn herangerückt, aber Taris registrierte es trotzdem. Ihr erdiger Duft hüllte ihn ein und ihn überkam das plötzliche Gefühl, einen Arm um sie legen zu wollen.

Doch noch bevor sein Körper sich selbstständig machen konnte, verstummte ihr Lachen. Das helle Läuten einer Glocke durchschnitt die Nacht und die Ausgelassenheit verschwand aus ihren Augen. Die Alarmglocke. Ohne ein Wort griffen sie zu den Waffen und rannten los.

Taris - Die Magie der ArtefakteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt