Kapitel 36

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Ich atmete tief durch, als ich wieder vor dem Büro stand und vorsichtig klopfte. Ich hörte timos Stimme, die mich hinein bat. Ich setzte auf den gleichen Platz wie vor meiner Pause und spitzte die Lauscher. Beide gingen jedoch stumm ihren Sachen nach, weshalb ich dasaß wie bestellt und nicht abgeholt. „Was steht heute noch an?" Meine Stimme erfüllte kaum den Raum. Obwohl die beiden sehr nett waren und mir auch ein gutes Gefühl gaben, war ich mir noch nicht sicher, ob ich nicht mehr eine Last war und eigentlich nur störte.

Peter drehte sich mit seinem Bürostuhl zu mir und kratzte sich am Kinn. „Wir haben noch ein paar Interviews geplant, die wir logischerweise wieder ausarbeiten müssen danach und dann können wir Feierabend machen." Ich nickte brav und wartete bis wir uns wieder ins Paddock wagten. Die Sonne schien angenehm auf meine Haut und mein Bauch passte sich dem guten Gefühl an, da dieser mit reichlich essen gefüllt war. Mit Lando hatte ich vorhin nicht weiter über das Thema gesprochen und auch sein skeptischer Blick war von ihm gefallen, als das Essen in sein Blickfeld kam. Er lächelte wie ein kleiner Junge an Weihnachten.

Ich setzte meine Sonnenbrille auf, was sogleich von den Profis korrigiert wurde. „Wir dürfen nichts aufsetzen, was unsere Augen verdeckt, weil das unnahbar und kalt wirkt. Die Zuschauer sollen unsere Blicke und Mimik sehen und deuten können. Das sorgt dafür, dass man sympathischer wirkt." Ich formte ein ‚Ah' mit meinem Mund und ließ die Brille wieder in meinen Rucksack gleiten. Ich fand's gut, dass sie mich sofort zurechtwiese. Schließlich war ich hier, um was zu lernen und nicht, um zu entspannen.

Mich faszinierte immer noch der Trubel, der um uns herum stattfand. Alle möglichen Menschen rannten durch die Gegend und versuchten den Stress nicht an sich ran zu lassen. Drei Mechaniker von Mercedes sprinteten an mir vorbei und ich konnte das Adrenalin in deren Adern spüren. Jeder wollte für seinen Rennstall die beste Arbeit leisten und niemanden enttäuschen.

Timo tippte mich an, womit er meine Aufmerksamkeit wieder auf die Interviews lenkte, die anscheinend gleich anfangen würden. Ich wusste nicht, wer der nächste war, aber als mir ein lächelnder Deutscher entgegen kam, konnte ich nicht anders als ebenfalls zu lächeln. Lando hatte von ihm erzählt. Das war der Sohn von Michael Schumacher und wer diesen Namen nicht kannte, war nicht von dieser Welt. Ich glaube der junge Mann, der vor mir stand hieß Nick oder Mick. „Hallo Mick, wie fühlst du dich heute? Wie siehst du die Chancen von Haas dieses Wochenende?" Peter beantwortete somit die Frage nach seinem Namen und ich hörte gespannt zu, was der Rookie zu sagen hatte. Wie alle Fahrer hatte auch er die Antworten scheinbar einstudiert, was aber zu erwarten war. Kein Rennstall würde seine Fahrer alles und vor allem jegliche Wahrheit sagen lassen.

Nach den Fragen wandte sich Mick in meine Richtung und hielt mir seine Hand hin. Langsam ergriff ich diese, weil sein Lächeln immer noch nicht von seinem Gesicht gewichen war. Dieser Mensch war von Sekunde eins sympathisch gewesen. Diese Fähigkeit gefiel mir und beeindruckte mich teilweise auch. Ebenso lächelnd, zumindest versuche ich da mitzuhalten, schüttelte ich seine Hand und stellte mich vor. „Ach, die berühmte Schwester. Freut mich dich kennenzulernen." Ich lachte und sprach auch meine Freude darüber aus, ihn endlich mal kennenzulernen. Ach wie nett!

Ich blickte ihm noch hinterher, als er sich wieder von uns entfernte. Als er aus meiner Sichtweite war, wandte ich meinen Blick wieder zurück, wo nun Charles den Platz von Mick eingenommen hatte und mich bereits ansah. Mein Mund wurde augenblicklich trocken und ich drohte an meiner eigenen Spucke zu ersticken. So angenehm es vorhin noch war, so unangenehm heiß wurde mir auf einmal, obwohl die Temperatur die selbe war. Ich wäre am liebsten weggerannt und erst später wieder gekommen, aber ich musste meine Arbeit nun mal erledigen. Als Peter mir auch noch aufmunternd zu nickte und auf meine Zettel zeigte, die ich in meinen verkrampften Händen hielt, verlor ich jegliches Selbstbewusstsein. Ich stellte mich vor meinen ehemaligen besten Freund und entfaltete den Zettel, um die geplanten Fragen lesen zu können. „H-hallo C-C-Charles-" Ich spürte wie sich mein Hals weiter zuschnürrte und ich drohte umzukippen. Mein Herz lief einen Marathon und mein Blutdruck schoss auch gerade durch die Decke. Ich wusste nicht, warum mein Körper derart reagierte, aber es war dermaßen unpassend, dass ich am liebsten angefangen hätte zu schreien. War es die Tatsache, dass ich ihn verletzte und ausgenutzt hatte und es mir jetzt peinlich war vor ihm stehen? Oder machte er mich einfach nur nervös, weil sein Blick mich regelrecht durchbohrte und pure Enttäuschung widerspiegelte? Ich wusste es nicht und vielleicht wollte ich es auch gar nicht wissen. Mein Körper wusste schon, was er tat.

Der Monegasse stützte seine Hände auf das Gelände vor ihm auf, das die Fahrer von den Journalisten trennte, und sah mich auffordernd an. Ich versuchte mich zu beruhigen und wischte meine nassen Hände an meiner Jeans an. „Also Charles", versuchte ich es nochmal, ohne zu stottern. „Wie sehen sie dieses Jahr die Chance Max zu schlagen?" Ich hatte es geschafft und klopfte mir Innerllch auf die Schulter. Der Mann vor mir kratzte sich am Hinterkopf und antwortete auf meine Frage mit den einstudierten Sätzen. Wenn das Team weiter so gut performt, könnten wir es schaffen. Max ist halt ein sehr starker Konkurrent. Mal schauen, was die Saison so bringt. Ich fühle mich bereit für das Rennen. Bla bla bla. Grundsätzlich brauchte man die Fahrer nicht mal fragen, weil die Antworten identisch waren, aber man erhoffte sich vielleicht doch mal etwas provokantes oder aufregendes, was die Zuschauer oder leser überraschen könnte.

Ich bedankte mich beim Monegassen und kam nicht umhin ihm nochmal ein Lächeln zu schenken, woraufhin ihm ein seufzen entfleuchte. Mehr bekam ich nicht. Ein seufzen und hängende Schulter seinerseits. Ich hatte ihn ganz schön verletzt mit meinen Aktionen.

Between Good And BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt