Kapitel 35

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Auf eine Antwort warteten alle vergeblich. Vor mir stand mein Bruder und bekam seinen Mund nicht mehr zu. Als ich strahlend mit der Hand vor seinem Gesicht rumfuchtelte, erwachte er aus seiner Trance und wirbelte mich durch die Luft. Kreischend und lachend drehten wir uns durch das Paddock, was meine Laune wieder in die Höhe schießen ließ. Wir gerieten oft aneinander, aber trotzdem liebte ich diesen Menschen über alles. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun würde. „Was machst du hier?", fragte er mit Tränen in den Augen, die vom lache herrührten und nicht weil er sich so freute. So schlimm war es bei uns beiden nun auch nicht. Ich bemerkte die Blicke meiner Kollegen im Rücken und wimmelte Lando ein wenig ab. „Das erkläre ich dir später. Bitte beantworte erst mal meine Frage." Wie ein Profi sagte Lando das, was richtig war und nicht provozieren oder zu viel preisgeben würde. Die weiteren Fragen übernahmen meine Kollegen. Ich musste mich sowieso erst mal von der Aufregung erholen. Mein Herz pochte, weil die Überraschung super funktioniert hatte.
Mein Bruder und ich vereinbarten, dass wir uns zum Mittag im McLaren Motorhome treffen würden, um endlich mal wieder normal miteinander zu reden, ohne, dass ich auf meine Wortwahl achten müsste.

Drei weitere Fahrer wurden von uns befragt, also von den Männer, weniger von meiner Wenigkeit. Ich war beeindruckt von deren Leichtigkeit und Spontanität auf gewisse Umstände schnell zu reagieren. Ich hoffte, dass ich das auch irgendwann hinbekommen würde. Alex Albon, George Russell und Daniel Ricciardo, der mir auch noch eine flüchtige Umarmung schenkte, mussten den Fragen noch standhalten, bevor wir uns auf den Weg ins Büro machen, um die Artikel zu verfassen und alles fachgerecht niederzuschreiben. Immerhin musste man die Vorträge erarbeiten, die man immer vor den Rennen sieht. Die gründeten sich eben auf die Vorabinformation, die wir eben gerade erfahren hatten.

Ich saß wie ein gut erzogener hund an der Seite von Timo und Peter und sog alles in meinen kleinen Kopf auf, der mittlerweile pochte. Das Geschehen war für den ersten Tag ziemlich viel, wenn man hier nicht zum Spaß war. Timo drehte sich mit ebenfalls geschafftem Blick zu mir. „Was hältst du von einer Pause?" Dankbar nickte ich und sammelte meinem Rucksack ein. Ich wollte so schnell wie möglich zu meinem Bruder.

Ich kannte mich hier noch nicht so aus, aber zu meinem Glück war jedes Paddock ähnlich aufgebaut. Jedoch war es erst mein zweites Mal in einem Paddock, weshalb ich doch ein paar Minuten brauchte, um mich zurechtzufinden. Ich erblickte das Motorhome, das farblich einer Papaya glich. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bevor mein Körper ins Schwanken gebracht wurde, nachdem mein Handgelenk gepackt und ich komplett zur Seite gerissen wurde. Verwirrt blickte ich auf meinen Arm und dann zu der Person, die diesen derart grob ergriffen hatte. Was war aus ,Können wir reden?' geworden?

Max stand wütend vor mir und sah mich aus seinen funkelnden blauen Augen an. Um ehrlich zu sein bekam ich ein wenig Angst bei seinem Blick. Ich versuchte seine Hand zu nehmen, aber er entzog sich mir so harsch wie er mich vorhin noch gepackt hatte. „Ist irgendw-" Weiter kam ich nicht, da mich der holländer scharf unterbrach: „Wenn du meinst bei mir schlafen zu müssen, entscheide dich dafür bitte vor 22 Uhr. Wegen dir bin ich hundemüde und kann mich kaum konzentrieren!" Ich schluckte schwer und sah schuldbewusst auf meine Hände. Wo war die tapfere und vorlaute Alana hin? Die war wohl in England geblieben. Ich wusste nicht, was ich tun könnte, um ihn zu beruhigen. Anscheinend war er auf 180. ich konnte ihn auch verstehen, da es nun mal sein Beruf war und er ein sehr ehrgeiziger Mensch war.

Plötzlich haute er auf die Wand neben meinem Kopf, was mich zusammenzucken ließ. „Hast du mir überhaupt zugehört?" Als ich aufsah, um ihm zu zeigen, dass ich aufmerksam war, erkannte ich die Ader, die seitlich an seiner Stirn pochte und seine rasende Wut nur noch mehr unterstrich. Ich hatte echt Mist gebaut. Langsam nickte ich, während ich starr in sein Gesicht blickte. Ich traute mich kaum mich zu bewegen, weil ihn gefühlt alles wütend machen könnte. „Gut." So schnell wie er mich zur Seite genommen hatte, so schnell war er auch wieder verschwunden. Immer noch unter Schock trat ich aus dem schmalen Gang hervor, in dem mich mein Freund vor einer Minute noch zur Sau gemacht hatte. Ich hatte nur eine Stunde Pause und von der waren bereits zehn Minuten vergangen. Ich beeilte mich noch rechtzeitig zu meinem Bruder zu kommen, der bereits vor dem Motorhome auf mich wartete, mich aber lächelnd entgegen nahm. Mir hingegen war das Lachen vergangen. Ich hatte aber auch selber schuld.

„Hast du einen Geist gesehen?", fragte mein Bruder direkt und sah mich besorgt an. Ich schüttelte verwirrt meinen Kopf und fragte wieso er das dachte. „Du bist blasser als die Wand dahinten, Alana. Es ist was passiert. Sag es mir!" Sein Nachdruck in der Stimme erlaubte mir keine Lüge. Auch wenn Lando kindliche und alberne Gesichtszüge hatte, konnte er drohend aussehen, was die Menschen um ihn herum häufig überraschte.

„Max hat mich zur Sau gemacht, weil ich letzte Nacht um zwei zu ihm gegangen und ihn geweckt habe." Es war mir unangenehm, dass mein Bruder nun wusste, dass ich bei ihm geschlafen habe, aber ich wollte und konnte ihm vertrauen. Von ihm möchte ich schließlich auch immer die Wahrheit erfahren. „Habt ihr miteinander-?" Ich schüttelte den Kopf, woraufhin Lando erleichtert ausatmete. Ich musste schmunzeln. Blödmann.

Wieso hat er dich zur Sau gemacht?" Ich musste schlucken, weil der Kloß im Hals wieder bemerkbar größer wurde. „Ich hab ihn nun mal geweckt und jetzt ist er unkonzentriert und müde. Ich kann ihn verstehen." Von Lando erntete ich einen ungläubigen Gesichtsausdruck. „Warum warst du überhaupt bei ihm." Nun kam es raus. „Wir sind sozusagen zusammen, aber das soll geheim bleiben. Max will das nicht medial ausschlachten." Lando nickte nun genauso langsam wie ich es vorhin getan habe. Bei mir war es aus Angst, bei ihm schien es zu sein, weil er skeptisch war. „Ich finde er übertreibt. Heute findet nichts spannendes statt wofür man sich großartig konzentrieren müsste außer vielleicht das Warmup und darum brauch sich einer wie Max keinen Kopf machen, der die Strecke blind fahren kann." Ich stimmte meinem Bruder zu und drängelte ihn dazu Essen zu holen, bevor ich Umkippen würde und zusätzlich wollte ich das Thema einfach abschließen. Ich war ehrlich und hatte ihm alles gesagt. Weiter hineininterpretieren musste man jetzt auch nichts.

Between Good And BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt