Kapitel 37

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Der Tag war vorbei. Peter und Timo verabschiedeten sich von mir mit meinem Lächeln und lobten mich dafür, dass ich bereits ein paar Fragen stellen konnte, obwohl das noch gar nicht auf dem Plan stand. Ebenfalls lächelnd aber spürbar ausgelaugt machte ich mich auf den Weg zu meinem Bruder, um mich zu verabschieden. Ich wusste nicht, ob er noch im Paddock war, ich hoffte es einfach. Außerdem wollte ich ein liebes und bekanntes Gesicht sehen, was mich gerade nicht verabscheute. Max gehörte nicht dazu und Charles ebenso wenig. Als ich außer Reichweite war von meinen Kollegen konnte ich die professionelle Maske abnehmen und meine Schultern hängen lassen. Es kostete viel Kraft Motiviert und glücklich auszusehen, obwohl der Tag bescheiden gestartet war.

Lando war nirgends aufzufinden, was meiner Stimmung weitere Dämpfer verpasste. Ich wusste nicht, was genau mit mir los war. War es der Tag, der an mir zerrte? War es die Enttäuschung über mein eigenes Verhalten? War ich einfach wehleidig? Ich konnte es nicht sagen. Ich wollte wenigstens ein Problem aus der Welt schaffen, weshalb ich Max über WhatsApp fragte, ob er Lust hatte mit mir was essen zu gehen, um mich bei ihm zu entschuldigen. Hinter meiner Nachricht kam noch ein Herz, was man bei seinem Freund ja machen konnte und schon war sie abgeschickt. Mein Handy fand dessen Platz in meiner Hosentasche wieder und ich schlenderte an den Motorhomes vorbei. Überwiegend waren nur noch vereinzelt Menschen zu sehen, da es bereits dämmerte und der Tag sich dem Ende neigte. Je mehr Schritte ich ging, desto mehr spürte ich die Anstrengung in meinen Beinen. Ich kam nicht umhin bei der nächsten Bank zu halten und kurz zu pausieren. Ich legte mein Gesicht in meine Hände und atmete tief durch.

Versteht mich nicht falsch, der Tag war bombastisch. Ich konnte heute bereits vieles lernen und wurde super von den beiden aufgenommen und angeleitet. Die Arbeit heute war nicht das Problem, jedoch war ich nach dem Interview mit Charles nicht mehr ansprechbar gewesen. Seine gesamte Körperhaltung war ablehnend und sein Blick glanzlos. Früher hatten seine Augen gestrahlt, wenn wir uns auf FaceTime gesehen hatten oder vor ein paar Tagen, als wir aufeinander getroffen sind. Er war so glücklich und hatte monatelang behauptet, dass er es nicht erwarten könnte mich wiederzusehen. Hätte man uns heute zusammen gesehen, hätte man glauben können, dass das nie passiert wäre. Scheiße! Ich schrie in meine Hände und fuhr schließlich durch meine Haare. In die Lehne zurückfallend sah ich der Sonne beim Untergehen zu.

Timo und Peter waren bestimmt nicht mehr im Paddock und ich hatte sicherlich auch verpasste Anrufe, weil sie wissen wollten, ob sie mich mitnehmen sollten. Um ehrlich zu sein, hätte ich mit ihnen mitfahren müssen, aber die Chance war jetzt vertan. Ich stand dem mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber. Zur Not würde ich hier schlafen oder meinen Bruder anrufen.

„Was machst du denn noch hier?" Ich schreckte hoch und schrie kurz auf. Mein Puls raste und es könnte auch aufhören zu schlagen. Alles stand im Raum. Ich blickte in die Richtung und funktelte der Person wütend entgegen. Als ich aber sah, wer das war, schwand die Wut wieder. Der Blondschopf stand nun in Alltagsklamotten und nicht mehr im Rennanzug, der nur bis zur Hüfte hochgezogen war vor mir. Wie auch beim Interview hatte er stets ein Lächeln auf den Lippen. „Ich wollte noch nicht gehen", gab ich zu und lehnte mich wieder zurück. Mick nahm neben mir auf der Bank Platz und fuhr sich durch die kurzen blonden Haare. Ich hatte schon mal Bilder von seinem Vater gesehen und jetzt, wo ich ihn von der Seite genauer mustern konnte, bewunderte ich die Ähnlichkeit. Die beiden brauchten keinen Vaterschaftstest.
Ich wusste nicht, ob er nun aus Mitleid bei mir saß oder er einfach aus reiner Freundlichkeit bestand und mir deshalb Gesellschaft leistete. Der Grund war mir eigentlich egal, ich genoss es nicht alleine hier verweilen zu müssen und schloss meine Augen, um die Ruhe zu genießen die gänzlich eingetreten war. Es waren Kontraste, die größer nicht sein konnten. In der einen Minute rasten Autos mit 300 km/h über die Renmstrecke, Leute jubeln und feuern ihren Rennfahrer an, Ingenieure und Mechaniker unterhalten sich angeregt über die nächste Reifenwahl und nun hörte man lediglich den leichten Wind durchs Paddock pfeifen. Es war wunderschön.

„Hey, Alana." Der Blondschopf fuchtelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht rum, was ihm meine Aufmerksamkeit schenkte. „Huh?" Mehr bekam ich nicht aus meinem trockenen Mund. Ich hatte heute definitiv zu wenig getrunken. „Ich rede seit fünf Minuten mit dir", antwortete der Deutsche lachend auf meine grazile Frage. Verwirrt sah ich ihn an, weil ich mich nicht daran erinnern konnte, ihn gehört zu haben. Es konnte auch sein, dass ich mit meinem Gedanken zu weit weggedriftet war. „Ich hab gefragt, ob alles gut ist." Langsam nickte ich. Es war alles gut, aber irgendwie auch nicht. Mein Puls beschleunigte sich, weil morgen ein neuer Arbeitstag beginnen würde, was mich freute. Aber in mir breitete sich auch Panik aus, weil ich den anderen nicht begegnen wollte. Noch so ein Interview mit Charles und mein kleines Herz würde den Geist aufgeben.

„Warum bist du noch hier?", fragte ich, um von mir abzulenken. Mick wandte den Blick von mir ab und sah nach vorne. Er schien nachdenklich und unsicher, ob er das nachfolgende erzählen sollte. Egal, was er mir sagen würde, ich würde zuhören. „Ich brauche diese Ruhe manchmal, um das alles verarbeiten zu können-" Ich bemerkte das leichte Lächeln, das auf seinem Gesicht auftauchte, obwohl die Dunkelheit das Paddock fast vollständig eingenommen hatte. „- Ich kann es manchmal nicht glauben, das hier erreicht zu haben und muss den Tag reflektieren, um zu begreifen, dass das wirklich passiert." Verständnisvoll nickte ich. Das könnte auch der Grund sein, weshalb ich immer noch nicht den Drang hatte ins Hotel zu fahren. Die Geschehnisse müssen erst mal in meinem Gehirn ankommen, bevor ich zur Ruhe kommen kann. „Geht mir genauso", antwortete ich. Wahrscheinlich wollte er auf seine Aussage gar keine Antwort, aber es kam mir richtig vor, ihm zu sagen, was mich immer noch hier hielt.

Between Good And BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt