„Miss Norris, sind alle Fragen beantwortet oder haben sie noch etwas auf dem Herzen?" Ich schüttelte den Kopf. Die nette Frau, die mich durch das Headquarter von Sky geführt und mir alles erklärt hatte, nickte und gab mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich nahm meinen Rucksack, der aufgrund des Lesematerials nicht mehr der leichteste war und ging mit ihr Richtung Ausgang. „Denken sie dran: genießen sie dieses eine Jahr. Es bietet ihnen große Möglichkeiten und nicht jeder hat die Chance, sowas erleben zu dürfen. Haben sie Spaß und nehmen sie so viel wie möglich mit. Ich wünsche ihnen ein aufregendes Jahr und sollten alle Stricke reißen, haben sie ja meine Karte und scheuen sie sich nicht die Nummer dort anzurufen." Am liebsten wäre ich dieser Frau um den Hals gefallen, aber das hätte meine Professionalität, die ich versuchte aufrecht zu erhalten, etwas einschränken. „Vielen Dank, für ihre Unterstützung und vielen, vielen Dank für diese Möglichkeit."
Mit einem Lächeln verließ ich das imposante Gebäude. Ich drehte mich nochmal um, um ein Foto davon zu machen. Leider konnte ich es bis jetzt nur meiner Mutter zeigen, weil sie immer noch die einzige war, die davon wusste. Ich stieg in den nächsten Bus, wo ich zum Glück erst mal meinen Rucksack abstellen konnte und mir meine Schultern rieb. Ich hätte noch einen Beutel mitnehmen sollen, aber nächstes Mal bin ich schlauer. Da die Fahrt eine Dreiviertel dauern würde, nahm ich mir das erste Buch heraus und fing an durchzublättern. Manche Themen wurden im Deutschunterricht oberflächlich behandelt, aber von dem meisten hatte ich keine Ahnung. Das bedeutete, dass ich noch vieles nachzuarbeiten hatte. Bis ich zu Hause ankam, verarbeitete ich was den Tag über passiert war. Um es zusammenzufassen: Flug und Hotel werden immer bezahlt, also musste ich dafür keinen Cent in die Hand nehmen. Ich werde viel mit Journalisten von Sky, aber auch mit den Moderatoren Ralf Schumacher und Peter Hardenacke abreiten, die ich beim Silverstone rennen gesehen habe. Die einzige Problematik könnte die Sprache sein, da Deutsch nicht meine Lieblingssprache war, aber auch das würde funktionieren. Hoffte ich mal. Ich schloss die Haustür auf und wurde von Lando empfangen, der genüsslich in sein Sandwich biss. „Wo warst du?", fragte er mit vollem Mund, was mir eine Gänsehaut einjagte. Louisa musste ihm mal Manieren beibringen. „Äh, Schule." Ich wollte so schnell wie möglich an ihm vorbeihuschen, aber er versperrte mir mit seinen verschmierten Händen den Weg. „Bis achtzehn Uhr?" Selbstbewusst nickte ich. „Manche lernen nach dem Unterricht noch, Norris." Ich ließ keine Fragen mehr zu und huschte nach oben, um auch endlich diesen absurd schweren Rucksack loszuwerden.
Leider wurde mir auch jetzt keine Ruhe gegönnt, denn mein Handy klingelte. Auch wenn ich gerne mit Charles reden wollte, würde ich ihn anlügen müssen und das machte mir zu schaffen. Ich weiß, dass es meine eigene Entscheidung war, aber ich will mir sein überraschtes Gesicht nicht sehen lassen. Aufgrund meines schlechten Gewissens waren unsere letzten Telefonate immer sehr kurz gewesen und über WhatsApp hatte er öfter schon nachgefragt, ob alles in Ordnung wäre. Ich musste ihm immer versichern, dass alles gut sei, aber er wirkte davon nie wirklich überzeugt. „Hey, Lieblingsmensch." So begrüßte ich ihn nur, wenn Louisa nicht in der Nöhe war, weil mir sonst den Kopf abreißen würde. „Na du. Wie war dein Tag bis jetzt?" Ich lächelte. Schon faszinierend wie wichtig meinem besten Freund mein Leben war und wie konsequent Max, mein Freund, mich ignorieren konnte. „Er wird jetzt immer besser und deiner?" „Jetzt zum ersten Mal schön." Es herrschte eine kurze Pause und wir beide wussten, dass der andere lächelte. „Bald geht die neue Saison los", versuchte Charles ein Gesprächsthema zu finden. Dieses Thema war für mich aber ein Minenfeld. „Und? Freust du dich? Holst du dir die Weltmeisterschaft?" Anstatt euphorisch zu sagen, dass er alle fertig machen wird, herrschte Ruhe am anderen Ende der Leitung. „Charles?" „Soll ich ganz ehrlich zu dir sein?" „Ja, immer." Wieder war Ruhe und ich wurde nervös. „Ich freue mich nur auf Silverstone. Alle anderen Rennen fühlen sich gerade mehr wie Arbeit an und nicht wie Spaß." „Aber wieso?" So wie er gerade sprach, hörte es sich gar nicht gut an. Ich fing an mir Sorgen zu machen. „Weil ich in Silverstone dich wieder sehen kann. Wenn ich in Singapur oder in Österreich bin, bin ich wieder so weit weg von dir." Ich musste schwer schlucken. „Charles, ich..." „Nein, sag nichts. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, okay? Ich bin nur ein bisschen aufgeregt." „Okay..." Während des restlichen Gesprächs lag eine komische Stimmung in der Luft, die mir Bauchmscherzen bereitete. Wenigstens war das Thema Formel 1 erst mal erledigt und wir sprachen über Belangloses, aber es war anders und nicht schön anders.
Ich legte mein Handy beiseite, da ich sowieso keine Nachrichten von Max erwarten konnte. Ich gab wirklich mein Bestes ihm seinem Freiraum zu geben, aber wenn ich in seinen Stories sah, dass er feiern war, bereitete sich ein mulmiges Gefühl in mir aus, aber er hatte es mir schon mehrmals erklärt. Er musste sich normal verhalten, weil sonst andere ahnen könnten, dass er eine Freundin hätte. Also passte ich mich ihm an, weil ich ihn mochte. Wann wir uns das nächste mal sehen würden, konnte er mir auch nicht beantworten.
Als ich endlich im Schlafanzug im Bett lag, nahm ich nochmal den Zettel in die Hand, den ich im Headquarter bekommen hatte, wo alle Informationen fürs erste Rennen drin standen. Ich würde am 15.03. nach Bharein fliegen und dann würde mein neues Leben beginnen, nach dem ich mich so sehr sehnte. Mit den Gedanken an den ersten Grand Prix schlief ich ruhig ein.

DU LIEST GERADE
Between Good And Bad
FanfictionAlana ist frech, aufmüpfig, redet, bevor sie denkt und sie will das Leben leben. Als Schwester eines Formel 1-Stars ist es nicht immer leicht, aber sie liebt ihren Bruder trotz so mancher Kabbeleien (bei welchen Geschwistern ist es nicht so?). Ihr L...