Finn lag auf seinem Bett.
Seit zwei Tagen weigerte er sich nun, das Haus zu verlassen. Der kleine Junge kam auch kaum aus seinem Zimmer raus. Elodie machte sich große Sorgen um ihren fünf Jahre alten Sohn.
Vor zwei Tagen, früh am Morgen, hatte er draußen mit zwei anderen jungen Wölfen spielen wollen. Doch die beiden anderen Kinder gingen rau miteinander um. Sie verstanden auch nicht, dass sie mit Finn vorsichtiger sein musste.
Frederik, ihr Mann, war mit dem Jungen raus gegangen. Elodie nahm gerade ein Bad. Natürlich ermahnte ihr Mann die Spielgefährten, vorsichtig zu sein. Und er beobachtete das Geschehen genau, breit einzugreifen sollte es nötig sein. Finn brauchte Spielgefährten. Er war zu oft allein. Daher wollte Frederik ihm das Spielen mit anderen Wölfen nicht verwehren. Doch in der einen Sekunde, in der er nicht hingesehen hatte, war es geschehen.
Ein Rudelmitglied lenkte Beta Frederik ab, irgendeine Katastrophe war bei Mitgliedern des Rudels geschehen und sie brauchten dringend Hilfe. Dann schrie Finn.
Den Schrei hörte Elodie und sie eilte erschrocken nur in ein Handtuch gehüllt nach draußen.
Elodie wollte ihrem Mann im ersten Moment am liebsten den Kopf abreißen, doch es war nicht seine Schuld. Es war ein Unfall. Die Kinder spielten zu stürmisch und natürlich passten sie nicht auf.
Beide Beine gebrochen.
Es dauerte etwas, bis die Brüche heilten. Das war Teil der seltenen Wolfskrankheit. Genau wie ein erhöhtes Schmerzempfinden. Etwas, worüber Finn einige Jahre später grundsätzlich Schweigen würde. Er würde es sogar ignorieren. Doch das war die Zukunft und von dieser wusste seine Mutter nichts.
Es war auch nicht die erste Verletzung, doch es war die erste die Finn wirklich verängstigte.
„Wölfchen?" Sie setzte sich zu ihm auf das Bett und strich ihm über den Kopf. „Ich will gleich spazieren gehen. Und vielleicht zum Markt? Wollen wir zusammen hingehen?"
„Nein." Finn schnaubte. „Ich bleibe hier! Ich gehe nicht raus."
„Aber Wölfchen. Du kannst doch nicht immer im Bett bleiben. Oder im Haus. Das gefällt mir nicht. Und wenn Mama dich trägt?"
„Nein."
Elodie fühlte sich hilflos. Wie nur konnte sie ihrem Jungen helfen?
Mit Grauen erinnerte sie sich an seine erste Verwandlung in einen Wolf. Werwölfe verwandelten sich instinktiv, sobald sie das zweite Lebensjahr erreichten. Beim ersten Vollmond nach ihrem Geburtstag. Sie hatte gewusst, dass es schlimm werden würde. Doch die erste Verwandlung konnte niemand verhindern.
Sie hatte nicht gewusst, wie schlimm es werden würde.
Die Verwandlung dauerte Stunden anstatt Sekunden. Sie hatte ihren Jungen im Arm gehalten, während er schrie. Danach hatte er sich einen Monat lang nicht getraut, sich zurückzuverwandeln. Doch kein Werwolf konnte länger als einen Monat in Wolfsform bleiben. Irgendwann zwang ihr Köper sie in ihren menschlichen Körper zurück. Die Werwölfe glaubten, dass dies geschah, weil sie nicht ganz Wolf waren. Sie mussten immer in ihre menschliche Form zurückkehren. Aber sie waren auch nicht ganz Mensch. Daher verwandelte sich jedes Kleinkind irgendwann zum ersten Mal in einen Wolf.
Aber nur die erste Verwandlung war nicht zu verhindern. Danach konnten sie frei entscheiden. Sie waren immer ein bisschen Wolf, aber niemals ganz Wolf.
Als Finn sich zurückverwandelte, mitten in der Nacht, war es wieder furchtbar. Er nahm nie wieder die Gestalt eines Wolfs an. Er konnte es nicht. Seine Knochen heilten nicht schnell genug, um eine problemlose und fast schmerzfreie Verwandlung zu garantieren.
Und jetzt?
Jetzt wollte er nicht mehr aus dem Haus. „Hm... Soll ich dir etwas vom Markt mitbringen?"
Finn lächelte. „Kuchen!", sagte er. „Mit Schokolade!"
„Oh. Einen Schokokuchen? Einen Ganzen? Schaffst du das denn?"
„Ja!" Finn grinste. „Das schaffe ich."
„Oder dürfen Papa und ich auch ein Stück haben?"
„Vielleicht!" Finn setzte sich auf und lehnte sich an die bemalte Wand. Elodie hatte ihm einen Wald und die Berge an die Wände seines kleinen Zimmers gemalt.
„Nur vielleicht? Wie schade. Aber so ein Kuchen ist groß", wand sie amüsiert ein.
„Und?" Finn streckte ihr die Zunge raus. „Ich bin ein großer Junge! Ich bin schon fünf!"
„Gut. Ich gehe und kaufe meinem großen Jungen einen Schokokuchen! Lass uns hoffen, dass der Schokokuchen noch nicht alle ist. Dein Papa ist mit dem Alpha untern. Im Wohnzimmer. Ja? Der Markt ist nicht weit." Elodie wollte Finn nicht allein in seinem Zimmer lassen, doch ihr waren die Vorräte ausgegangen. Sie musste zum Markt, der bald schon schließen würde. Und sie wollte Finn nicht zwingen. Nicht, wenn er sich so sehr fürchtete.
Finn nickte. „Einen ganzen Schokokuchen!"
„Gut, wenn er nicht ausverkauft ist. Dann finde ich einen anderen leckeren Kuchen. Bis gleich!" Sie küsste sanft seine Stirn und machte sich dann auf den Weg zum Markt. Die alte Wölfin, die ihre Kuchen verkaufte, war bereits dabei, ihre Ware einzupacken. Doch als sie Elodie sah, hielt sie inne. Auf ihrem Verkaufsstand stand noch eine kleine Schokotorte. Erleichtert lächelte Elodie.
„Darf es etwas sein? Beta Elodie?", fragte die Wölfin lächelnd. „Sie sind heute wieder ohne ihren Sohn unterwegs?"
„Finn geht es nicht gut. Er will das Haus nicht verlassen... Er gab einen Unfall."
„Oh. Ich hörte davon. Ich hoffe es geht im bald besser!" Die Alte lächelte mitfühlend. Die Wölfin war bereits achtzig Jahre alt, doch sie verkaufte zweimal in der Woche Kuchen und Torte auf dem Markt.
„Die Knochens sind bereits heil, aber es hat ihn sehr erschüttert. Ich würde gerne den Schokokuchen kaufen. Für Finn. Er hat sich Schokokuchen gewünscht." Elodie zeigte auf den Kuchen.
„Oh. Nein! Den gebe ich Ihnen so mit, Beta." Die alte Wölfin weigerte sich Geld anzunehmen.
Als Elodie alle Einkäufe erledigt und in ihrer Vorratskammer verstaut hatte, ging sie mit der Torte zum Zimmer ihres Sohnes. Sie hörte ihren Mann und den Alpha im Wohnzimmer lachen. Und auch in Finns Zimmer war es nicht still. Als sie die Tür öffnete, sah sie, wie Finn kichernd an seinem Fenster stand.
Im Haus gegenüber stand der jüngste Sohn des Alphas an seinem Fenster und schnitt Grimassen. Marko streckte Finn die Zunge raus und alberte herum. Finn beobachtete die Show fröhlich. Doch als Marko Elodie im Raum bemerkte eilte er davon.
Finn drehte sich zu seiner Mutter grinsend um. „Schokokuchen!", rief er.
(c: sasi)
Finn (KI - Kunst)
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Hexe - Die Königin
FantasyEtwa drei Jahre sind vergangen, seit Julia entführte wurde und mit den Elfen in die Steppe floh. Fritz hat sich dem Aufstand angeschlossen und versucht weitere Unterstützung zu finden. Er ist fest entschlossen, die Königin zu stürzen und bittet Paul...