Bonus 12

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Das Ganze ist schon sehr lange her. Heute, viele Jahre später, kommt es der alten Dame wie ein Traum vor. Doch sie konnte sich noch an jedes Detail erinnern, obwohl sie inzwischen einhundertvier Jahre alt war. Ihre Haut war heute schrumpelig und faltig. Doch damals! Damals war sie erst neun Jahre alt. Jung und hübsch. Ein kleiner Wirbelwind mit blonden Haaren und klaren blauen Augen.

Ihre Eltern wohnten im Wald. Zwischen zwei kleinen Dörfern der Elfen. Anouks Vater war Handwerker. Ihre Mutter liebte die Stille. Städte und Dörfer ertrug sie nicht. Daher lebten sie zurückgezogen im Wald. Ihr Vater nahm Aufträge in den umliegenden Elfendörfern an, oder er reiste mit Esel und Karren bis in die Menschenstadt, um dort zu arbeiten. Oft blieb er Wochenlang fort. Wenn er in der Stadt arbeitete, bezog er ein winziges, günstiges Apartment.

Anouks Mutter pflegte ein Kräuterbeet und einen großen Gemüsegarten. An Essen mangelte es ihnen nicht. Und wenn Anouks Vater aus der Stadt zurückkam, dann brachte er Säcke voller Mehl, Kleidung, Spielzeug. Alles, was sie sonst noch brauchten.

Es war ein bescheidenes Leben.

Anouk war ein stilles Kind. Sie kam in dieser Hinsicht sehr nach ihrer Mutter. Das kleine Mädchen liebte die Stille des Waldes. Sie kletterte auf Bäume und tanzte im Regen. Doch sie liebte auch die Dörfer und Städte. Und manchmal nahm ihr Vater sie mit. Immer dann, wenn er nur für zwei oder drei Tage in der Stadt sein würde. Das war zwar selten, aber dann traf sie in der Stadt ihre Cousins und Cousinen, oder sie freundete sich auf dem Marktplatz mit ein paar Kindern an. An diesen Tagen war Anouk nicht still. Sann war sie laut und quirlig. Um dann, nach ein paar Tagen, in ihre geliebte Stille voller Abenteuer zurückzukehren.

Außer dem Postbote kam niemand zu ihrem Haus im Wald. Es war zu nah am Feenwald. Zu nah an dessen Magie. Viele Fürchteten sich vor dem Wald. Auch der Postbote eilte immer schnell davon, sobald er die Post übergeben hatte. Anouks Mutter hatte ihr verboten in den Feenwald zu gehen, egal wie sehr seine Wunder das kleine Mädchen lockten. Und bislang war sie immer brav gewesen.

Doch an diesem Tag siegte die Neugier.

Anouk schlich heimlich von ihrem Elternhaus weg und wagte sich in den magischen Wald. Sie folgte alten, verfallenen Mauern, die zwischen sonderbaren Bäumen standen. Hier war eine andere, glitzernde Welt. Es roch anders. Die Tiere sahen wundersam und fremd aus. Eine regenbogenfarbene Libelle mit gefiederten Flügeln flog an ihr vorbei. Und sie war sich sicher, zwischen all den Bäumen ein Einhorn gesehen zu haben. Ein geflügeltes Einhorn! Und auch an einem alten, verfallenen Brunnen kam sie vorbei. Hatten hier einst Menschen gelebt?

Sie wagte sich immer tiefer in den Wald. Bis sie den Rückweg nicht mehr fand.

Erschrocken sah sie sich um. Es dämmerte bereits und die Bäume und Blumen begannen zu leuchten. So etwas hatte Anouk noch nie gesehen. Doch sie konnte den Anblick nicht genießen. Sicher würde ihre Mutter nach ihr suchen. Aber im Feenwald konnte sie Anouk nicht finden... Oder doch?

Anouks Vater hatte ihr einmal gesagt, dass wenn sie sich verlaufen hatte, sie genau dableiben sollte, wo sie war. Damit ihre Eltern sie finden konnte. Doch im Feenwald war das sicher aussichtslos, oder nicht? Und ihr Vater war gerade für ein paar Wochen in der Stadt, um bei dem Umbau des Rathauses zu helfen. Er konnte nicht nach Anouk suchen.

Musste sie nun für immer im Feenwald bleiben?

Wo sollte sie schlafen?

Was sollte sie essen?

Sie wollte nach Hause. Zu ihrer Mama. Schluchzend setzte das kleine Mädchen sich an einen der leuchtenden Bäume und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Hast du dich verlaufen?", hörte sie plötzlich eine leise, hallende Stimme. Anouk sah auf. Vor ihr stand eine geisterhafte, wunderschöne Gestalt. Das Mädchen nickte.

„Wo wohnst du denn, meine Kleine?", fragte die Gestalt. Sie schwebte. Fasziniert wischte Anouk sich ein paar Tränen aus dem Gesicht.

„Nah am Waldrand. Also... Nah am Feenwald. Ich wollte mich nur umsehen..."

„Na dann komm. Das hier ist kein Ort, an dem Menschenkinder allein sein sollten. Komm mit. Ich führe dich aus dem Wald heraus. Und dann findest du dein Zuhause, ja? Bist du an etwas besonderem vorbeigekommen? Kannst du mir das erzählen? Damit ich weiß, in welche Richtung wir müssen."

Anouk überlegte einen Augenblick lang. „Da war ein Einhorn... Oh! Es stand an einem Brunnen! Mitten im Wald. Und da waren ein paar alte, verfallene Mauern. Die führen aus dem Wald raus! Zu den Wäldern der Elfen!"

„Elfen. Und Mauern." Die Gestalt nickte. „Ah. Dann weiß ich, wo wir lang müssen. Komm, Kind."

Anouk folgte dem seltsamen Geist und schließlich kamen sie am Waldrand an. Von hier aus konnte sie das Dach ihres Elternhauses sehen. Anouk lächelte. „Da wohne ich! Danke! Sag... Wie heißt du? Ich heiße Anouk!"

Die Gestalt lächelte. „Ich heiße Ehlin. Und nun geh nach Hause Kind. Und lauf nicht mehr allein in das Grün!"

„Das Grün?", fragte das Mädchen, doch die Gestalt war bereits verschwunden.


(c: sasi)

Ehlin ist eine Figur aus meinem Kurzroman "NIXE - Zwischen Wasser und Wald"

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Ehlin ist eine Figur aus meinem Kurzroman "NIXE - Zwischen Wasser und Wald".  ;-)

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