3. Der Fremde

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Mein Blick blieb starr. Als wäre die Zeit angehalten worden, stand ich nun da und schaute zu diesem Mann herunter, der seelenruhig in seiner Zeitung lass.

Sein schwarzes Haar wehte tanzend im Wind, während es im Sonnenschein vor sich hin schimmerte – so als würde es auf eine wundersame Weise zu leuchten beginnen. Ich mochte es: Dieses Spiel von Dunkelheit und Licht, welches seine blasse Haut betonte, indem es einen auffälligen Kontrast hervorbrachte.

Wie lange sah ich ihn so an? Wie lange stand ich schon da, als mir auffiel, dass er im Gesicht von Narben gezeichnet war und dabei in einem Rollstuhl saß. Wahrscheinlich war es mein Blick gewesen, der sich langsam an seinem Oberkörper herangewagt hatte, welcher mir dies offenbarte. Dieser Blick, der die Falten seines Hemdes abtastete, um in Erfahrung zu bringen, wie muskulös seine doch so schmal wirkenden Schultern zu sein vermochten. Ich spürte dabei ein starkes Klopfen in meiner Brust, so als würde in mir etwas erwachen.

„Kennen wir uns?" zischte der Fremde, wobei er plötzlich aufsah. Er wirkte weder überrascht noch sonderlich erfreut. Anscheint hatte er mich schon vor einer ganzen Weile bemerkt, vielleicht sogar abgewartet, ob ich gehen würde, nur um zu erkennen, dass ich wie angewurzelt dastand. Jetzt, wo er mich so anschaute, stieg bei dieser Erkenntnis die Hitze in meinen Wangen empor. Wie blöd musste ich bloß gewirkt haben?

„Ich glaube nicht..." , sagte ich, während meine Hände einander griffen. Langsam ging ich einige Schritte auf ihn zu. Mein Blick in seinem Gesicht liegend, um seine Reaktion zu erahnen. Verschlossenheit, vielleicht auch ein Hauch Skepsis. Das waren die Dinge, die ich darin erkennen konnte, zog er die Augenbrauen doch leicht zusammen, wobei er seinen Kopf ein wenig neigte.

Seine blauen Augen - eines von ihnen hatte seinen Glanz wohl für immer verloren - wirkten kühl, fast schon eisig. Wie bei einem unerwarteten Wintereinbruch spürte ich durch sie die aufkommende Gänsehaut auf meinen Armen und dennoch blieb ich nicht stehen.

Die Kälte, die mich auf Abstand halten wollte, machte mir nichts aus. Im Gegenteil – sie machte mich neugierig, fragte ich mich doch, warum dieser Mann so abweisend und gleichzeitig unglaublich allein gelassen wirkte. Scheu und doch einsam – es zog mich an, ließ mich sogar meine Hand nach ihm ausstrecken, nur um zu erkennen, dass er ein wenig mit seinem Rollstuhl zurückwich.

„-dN-, was machst du hier?" , fragte auf einmal eine tiefe Männerstimme. Zusammenzuckend zog ich meine Hand zurück und blickte auf. Ich entdeckte Werner, der nun neben mir stand. In seinem Schatten verweilend, fühlte ich, wie meine Schulterblätter verkrampften bis sie zu schmerzten begannen.
„Werner, wie du siehst unterhalte ich mich..." , stotterte ich dabei heraus, nachdem ich schwerfällig geschluckt hatte.

„Ach ja..., nun... ich habe keine Zeit für so etwas, -dN-. Wir sollten ins Hotel gehen, da ich noch einigen Papierkram erledigen möchte. Ein paar Zettel zu sortieren, wirst du wohl auch hinbekommen" , erklärte er, bevor er kurz zu meinem Gegenüber sah, um daraufhin spottend hinzuzufügen: „Sammeln die Kriegsopfer wieder Spenden?"

Meine Augen weiteten sich bei dieser Äußerung. Während ich eine stechende Spannung in meiner Brust spürte, ballte ich meine Fäuste. Warum musste Werner so etwas sagen? Warum sah er in allem nur eine Gefahr für sein Geld? Ich biss die Zähne zusammen, hörte sogar ihr Knirschen, ehe ich ihm widersprechen wollte. Doch der Fremde kam mir zuvor:

„Keine Sorge, dein scheiß Geld habe ich nicht nötig" , fauchte er, wobei er genervt zu mir und Werner heraufsah. Leise seufzend faltete er daraufhin seine Zeitung säuberlich, um diese auf seinen Beinen abzulegen. Die Hände bereits zu den Rädern des Rollstuhles wandernd, verweilte sein Blick in diesem Moment doch nur auf mir. Fast schon müde schaute er mich an, während er abweisend meinte:
„Dein Ehemann wartet anscheint..."

Ich biss mir auf die Lippe, da ich dieser Äußerung weder widersprechen konnte noch zustimmen wollte. Doch innerlich schrie ich. Ich schrie auf Grund dieser Nötigung, die ich bei diesen Worten empfand, war es doch genau das, was ich mir nicht wünschte. War Werner doch genau der, den ich nicht wollte.

Mit einem gekonnten Schwung drehte der Fremde plötzlich ab. Meine Augen weiteten sich, als er schneller als ich es mir hätte vorstellen können, losfuhr, um mich und meinen Gatten hinter sich zu lassen. Ich sah ihm kurz nach, bevor ich mich an Werner wandte:
„Das hättest du nicht sagen sollen, Werner."

Mein Ton war scharf, auch wenn mein Hals sich wie zugeschnürt anfühlte. Werner schüttelte zunächst leicht den Kopf, doch dann änderte sich seine Stimmung überraschend. Mit einem kräftigen Ruck griff er nach meinem Handgelenk und zog mich an sich heran.
„Du solltest mich nicht unterschätzen, -dN-!" ,sprach er als Warnung aus. Seine Augen sahen mich direkt an. Sie zeigten seine Empörung, vielleicht auch Wut, die nun in ihm zu lodern schien. Schwerfällig schluckte ich und dennoch wich ich seinem Blick nicht aus.

„Keine Sorge..." ,warf ich trotzig ein.
„Gut, dann sollten wir uns nun endlich zum Hotel begeben. Unsere Zeit ist kostbar. Schlimm genug, dass wir sie hier verschwendet haben" ,erklärte er. Langsam ließ er von meinem Arm ab, was ich mit einem leisen Seufzen beantwortete.

„Verdammt" ,fluchte ich leise. Auch wenn ich Werner in diesem Moment folgte. Mein Blick war in die Ferne gerichtet, weit weg von demjenigen, der mich unter Kontrolle halten wollte.


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt