18. Eine Welt ohne

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Noch immer starrte ich in das kleine Kästchen, nicht wagend, das Abzeichen herauszunehmen. Mein Herz klopfte wie wild, während ich meinen Traum wie eine Art Film vor meinen Augen abspielen sah: Der Titan, die Soldaten und er – sie alle bereiteten sich für diesen einen Kampf vor, um eine Entscheidung herbeizuführen. Über Macht und Freiheit. Über Leben oder Tod. Es machte keinen Unterschied, was genau es war, denn ich kannte bereits den Ausgang dieses Gefechts, auch wenn ich selbst nicht dabei gewesen war. Paradies war nun frei von diesen Monstern und trotzdem geknechtet von ihrem eigenen Schicksal.

Und Levi?

Er war hier in diesem Land. Noch am Leben und doch gezeichnet. Ich fragte mich, ob er es so gewollt hatte? Oder konnte er einfach nicht nach Paradies zurückkehren? Würde er gejagt und eingesperrt werden? Würde es ihm sogar den Kopf kosten? Ich fasste mir ans Kinn, während meine Augen die Flügel fixierten. Was bedeuteten sie ihm noch, wenn er sie für dieses Land getragen hatte, was ihm nun wahrscheinlich als Feind gegenüberstand?

Das Klacken von Holz, welches aufeinanderstieß, unterbrach mich plötzlich in meinen Gedanken. Mein Puls raste.
„Oh...Mist..."
Eilig schloss ich das Kästchen, bevor ich es wieder auf seinen Platz räumte, wobei ich es sogar ein wenig zurechtschob. Dann sah ich mit zusammengepresstem Mund in den Spiegel.

Meine Wangen leuchteten mir rot entgegen. Tief durchatmend, versuchte ich mich zu beruhigen, als es bereits klopfte.
„Dafür dass er meint, man kann es nicht laufen nennen, ist er verdammt schnell..." ,dachte ich mir und drehte mich zur Tür, um diese zu öffnen.
„Ja?"

Levi sah mich konzentriert an. Seine Augen mein Gesicht abtastend, bis er die Wunde entdeckte.
„Braucht ihr noch etwas?" ,fragte er dabei, während er selbst das Bad betrat.
„Habt ihr vielleicht Tape?"
Mit einer Hand sich am Waschbacken abstützend, sah er zu der Kommode. Er seufzte leise, schüttelte zunächst den Kopf, bevor er das Holzkästchen ein wenig verrückte.
„Nein, aber das habt ihr wohl schon selbst gesehen..."
„Ich wollte nur danach suchen..."
„Bei so einer neugierigen Frau wie euch ist das schwer zu glauben" ,zischte er und sah zu mir zurück. „Aber normalerweise müsst ihr nichts über der Naht kleben."
Ich nickte.
„Ich weiß. Nur es ist nicht gerade perfekt geworden."
„Es wird ausreichen."
„Ja..."

Verdutzt sah ich zu Levi, der sich an die Kommode lehnte. Seinen Stock auf dieser abgelegt, verschränkte er die Arme.
„Wollt ihr eine Tasse Tee?"

Meine Augen weiteten sich. Auch wenn er in diesem Moment so unglaublich verschlossen wirkte, klang seine Stimme fast schon einladend.
„Gern... Wenn es euch keine Umstände macht" ,meinte ich lächelnd.
„Nein, ich trinke immer Tee um diese Uhrzeit."


Es waren bereits fünfzehn Minuten vergangen. Ein wenig angespannt saß ich an einem Tisch, immer wieder zur Uhr blickend, um irgendwann nur noch verträumt aus dem Fenster zu starren. Levi hatte meine Hilfe abgelehnt und mich in das kleine Wohnzimmer geschickt, ehe er selbst in der Küche verschwunden war.

Wie auch das Badezimmer, wirkte auch dieser Raum aufgeräumt und beinah unbenutzt. So als hätte alles seinen Platz, waren ein paar Pflanzen und Bücher in den sonst leeren Regalen geräumt, die wie der Rest der Möbel in hellen Holztönen gehalten waren.

„Mmh..." ‚
Meine Hand strich über die weiße Tischdecke, die wirkte, als hätte Levi besuch erwartet. Ich schloss meine Augen und lauschte den Geräuschen in der Küche. Das Pfeifen des Kessels, das Klappern des Geschirres und immer wieder der Stock, der diese Abfolge zu unterbrachen versuchte. Es machte mich müde, vielleicht wirkte es auch beruhigend – dies und der süßliche Duft, der sich langsam im Raum ausbreitete.

„Mögt ihr Früchtetee?"
Levi stand neben mir, als ich aufsah. Ich kniff die Augen zusammen, um ihn angestrengt entgegenzublicken. Das Tablett bereits auf dem Tisch abgestellt, goss er mir in meine Tasse ein, die vor mir positioniert war.
„Ihr scheint müde zu sein..." ,sagte er dabei leise. Ich nickte nur. Meine Hände um das noch kalte Porzellan geschlungen, beobachtete ich ihn dabei, wie er sich mir gegenübersetzte und seine Tasse ebenfalls an sich nahm – auf diese gewohnte Art und Weise. Ich musste fast lächeln.

„Ich glaube, ich brauche etwas Zeit, um mich an das frühe Aufstehen zu gewöhnen" ,warf ich ein, bevor ich zaghaft pustete, um meinen Tee abzukühlen. Levi seufzte.
„An manche Dinge gewöhnt man sich niemals."

„Was meint ihr damit?" , fragte ich zunächst. „Es ist nicht so, als wäre es eine Katastrophe, auf dem Markt zu arbeiten... Horst ist sehr nett, einige Kunden auch und ich kann wenigstens etwas Geld verdienen..."
„Ihr müsst euch nicht rechtfertigen. Ihr tut wenigstens etwas."

Meine Augen weiteten sich. Während er einen Schluck seines Tees nahm, schwieg ich – vielleicht wartete ich auch – um ihn nicht in seinen Gedanken zu unterbrechen. Doch sein Blick zeigten keine Freude über mein Interesse. Er wurde nur müder, fast schon düster, bevor er endlich meinte:

„Ich habe das Gefühl, vergessen zu haben, wie man ein normales Leben führt. Jeden scheiß Tag fahre ich die gleichen Stellen ab, hole mir die selbe verdammte Zeitung und sitze irgendwo in der Gegend rum. Nichts, was ich tue, hat noch einen Sinn. Es ist kaum auszuhalten."
Levi sah nach draußen. Fast schon verträumt wirkte er dabei, während das Sonnenlicht seine helle Haut betonte. Ich beobachtete es: Dieses Spiel seiner Schönheit und dem Licht, welches durch die Bewegungen der Wolken auf ihm zu wandern schien. Es ließ mich schon beinah seine Worte vergessen.

„Aber habt ihr es euch nicht verdient?"
Levi schüttelte den Kopf.
„Das wäre Schwachsinn" ,zischte er nun. Er sah wieder zu mir, hielt kurz inne, bevor er zu seiner verstümmelten Hand schaute. „Ich habe genauso getötet wie alle anderen. Ich habe sie sogar wissend in den Tod geschickt, nur um unser Ziel zu erreichen."
„Welches Ziel?"
„Eine Welt ohne Titanen..."

Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt