21. Trost

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„Viel zu lange allein..."

Diese Aussage blieb mir tagelang im Kopf. Sie begleitete mich, lenkte mich von meiner Arbeit ab und verhinderte in manchen Nächten meinen Schlaf. Ich – gerade ich - , die sich so eingeengt in den letzten Jahren gefühlt hatte, glaubte, zu verstehen, wie er empfand.

Allein.

Es war ein Wort, welches oft meine Situation beschrieben hatte, obwohl neben mir das Bett nicht kalt geblieben war. Und doch oder gerade deshalb hatte ich immer wieder die Einsamkeit in meinem Nacken gespürt. Sie hatte mir zugeflüstert, dass niemand an meiner Seite war. Sie hatte mich gepackt, sodass ich erstarrt war. Und sie hatte mir aufgezeigt, dass ich so nicht leben konnte, auch wenn ich lange versucht hatte, es mir selbst einzureden. Es war doch nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich aufgeschreckt war – bis ich begonnen hatte, mich zu wehren.

Selbst wenn ich nun ohne weitere Gesellschaft im Wohnzimmer saß, die gekauften Tücher faltete und mit einer Schleife zusammenband, während ich immer wieder zum Fenster sah, um zu prüfen, ob der Regen aufgehört hatte, fühlte ich mich nicht so wie damals. Denn ich wusste es: Dort draußen war mein guter Freund Onyancopon, der irgendwann nach Hause kommen und mich lächelnd grüßen würde, um mir wieder einmal zu zeigen, dass ich für ihn keine Last war. In einem seiner Lagerhallen saß zudem Horst, der meine Arbeit schätzte und mir mittlerweile viele seiner Aufgaben überließ, um mir zu beweisen, dass er mir vertraute. Und er, der wahrscheinlich irgendwo in der Stadt seine Wege abfuhr, so wie er es immer tat, um wieder einen Tag hinter sich zu lassen: Levi – auch er zeigte mir mit seinen Worten, dass er mich nicht für wertlos hielt. Diese Worte, die mich aufbauen sollten.

Wann würde ich ihn das nächste Mal wiedersehen? Wann mich ein weiteres Mal an ihn herwagen? Wann könnte ich mir erneut ein wenig Trost von ihm nehmen?

„Hey -dN-, bin zurück" ,rief Onyancopon plötzlich durch die Wohnung, wobei er die Tür hinter sich zufallen ließ. „Was für ein Sauwetter..."
Ich stand auf und ging in den Flurbereich.
„Du bist heute früh zurück. Ist irgendwas passiert?"
„Nicht wirklich. Nur ein paar Gespräche und einige – wie soll ich sagen? – Unannehmlichkeiten. Ich muss auch gleich wieder los... Aber hast du schon gehört? Das Dinner am Pier hat seit einiger Zeit wieder geöffnet."

Onyancopon legte seinen Hut und seinen Mantel ab, bevor er seine Anzugshose kurz prüfte. Er schien zufrieden, war er doch nur leicht nass geworden, obwohl es draußen fast schon schüttete.
„Haben sie es wieder aufgebaut?" ,fragte ich, während wir beide ins Wohnzimmer gingen und uns an den gewohnten Platz am Tisch setzten. Es war nicht selten, dass wir dort gemeinsam unseren Feierabend verbrachten, wobei wir hin und wieder ein Glas Wein tranken.

„Nicht wirklich. Es ist eher ein Restaurant als eine Tanzbar geworden. Viel kleiner. Aber die Küche soll fantastisch sein" , erklärte mein Mitbewohner. Er griff zu einer Zeitung, die auf dem Tisch lag.
„Schade..." ,seufzte ich nur.

Mir wurde schwer ums Herz. So oft hatte ich in diesem Laden getanzt und die Nacht genossen. So oft das Lokal verlassen, um bereits die Sonne aufgehen zu sehen. Und so oft dabei gelacht und gewusst, zurückkehren zu wollen. Es war einer dieser Räumlichkeiten gewesen, die ich schon beinah mein Zuhause genannt hatte, denn nur selten hatte ich mich an einem Ort so wohl und frei zugleich gefühlt.

„Wollen wir hin?" ,unterbrach mich Onyancopon nun. Er musterte mich, erkannte wahrscheinlich, wie sehr ich diese alte Zeit und diese eine bestimmte Tanzbar vermisste, und versuchte mich aufzumuntern.
„Irgendwann gerne. Ich muss dir erstmal alles zurückzahlen, Onyancopon. Nächste Woche kommt der nächste Batzen."
„Ach, sehe das doch nicht so eng!"
Fast schon schimpfte mein guter Freund nun mit mir. Den Zeigefinger vor sein Gesicht haltend, so als wollte er mir eine Widerrede verbieten, fügte er hinzu: „Dann lade ich dich ein. Heute Abend. 18 Uhr. Wie klingt das?"
Er lächelte breit, sodass mich seine weißen Zähne fast blendeten und ich mein Grinsen kaum verbergen konnte.
„Das kann ich nicht..."
„Ah, eine Einladung schlägt man doch nicht aus, -dN-! Lass uns einfach den Abend genießen!"

Onyancopon sah auf seine Armbanduhr, welche er dabei ein wenig aufdrehte.
„Ich muss auch gleich wieder los" , seufzte er. „Durch den Regen habe ich viel länger hierhin gebraucht."
„Mmmh..."
„Was ist?"
„Ach, dann werde ich die Levi wohl erst in ein paar Tagen vorbeibringen. Morgen Mittag muss ich Horst beim Lager aufräumen helfen" , warf ich nun ein. Ich zeigte auf die Tücher, die feinst säuberlich auf dem Tisch lagen.
„Die Arbeit geht vor, nicht wahr? Klingt ja langsam so, als würdest du bei Horst zur festen Besatzung gehören."
„Ja, es klappt alles ganz gut. Er hat mir schon eine regelmäßige Bezahlung vorgeschlagen. Wenn das so weiter geht, kann ich vielleicht bald nach einer eigenen kleinen Wohnung schauen. Jedenfalls hoffe ich das."
„Klingt doch ausgezeichnet."
Onyancopon erwiderte mein Lächeln, wobei er aufstand.

„So, es wird Zeit. Vergesse unser Treffen um 18 Uhr nicht!" , forderte er noch. Langsam schritt er zur Tür, griff nach seinem Mantel und seinem Hut, welche er nochmals ein wenig ausschüttelte, um sie von einigen Regentropfen zu befreien.
„Werde ich nicht. Treffen wir uns vor der Tür?" , fragte ich nach.
„Nein, ich reserviere einen Tisch für uns. Geh schon mal ohne mich rein! Nicht, dass du im Regen stehst und wartest."
„Mmmh, in Ordnung" , murmelte ich.

Die Tür öffnete sich langsam. Onyancopon sah grinsend zu mir zurück.
„Dann viel Spaß!" ,rief er mir noch zu, bevor er sie mit einem lauten Knall hinter sich zuzog. Ich zuckte zusammen.
„Manchmal ist er komisch..." ,flüsterte ich mir selbst zu.

Mein Blick wanderte zum Fenster. Die Regentropfen klopften noch immer daran. Entspannend, fast schon berauschend klang ihr Lied. Dieses Lied, welches mich daran erinnerte, dass ich nun wieder allein war. So wie er: Levi – wann würde er sich endlich das nehmen, was er brauchte?


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt