6. Eine Einladung

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„Hier ist unser Tee."
Falko trat mit einem Tablett an unseren Tisch heran. Sorgfältig verteilte er einige Tassen, auch vor mir stellte er eine solche ab, und goss uns mit einer Kanne ein. Ich nickte ihm zum Dank zu, während ich bereits an dem heißen Getränk schnupperte.
„Mmmh, das duftet..." , gab ich dabei von mir.

„Gibt es was Neues, Onyancopon?" ,wandte sich Levi nun an unseren gemeinsamen Freund. Auch er nahm seine Tasse an sich, indem er sie am Rand festhielt. Seine Finger tanzten dabei am Porzellan entlang, bevor er sie anhob. Ich schaute etwas verlegen zu ihm. Wie zart seine Hände dabei wirkten, obwohl eine dieser vom Krieg gezeichnet war, war eher untypisch für einen Mann. Wie sehr mich dies bei einem Fremden faszinierte, auch eher unüblich für eine verheiratete Frau. Ich seufzte bei dieser Erkenntnis in mich hinein, bevor ich auf die dampfende Kanne vor mir ansah, um mich auf Onyancopons Erzählung zu konzentrieren.

„Nun, laut meinen Informationen sollen Versuche gestartet werden, ein erstes Treffen mit Königin Historia und einigen Vertretern Marleys zu organisieren. Paradies scheint bisher nicht wirklich darauf eingehen zu wollen, doch früher oder später werden sie das müssen."

„Zeigt sich Historia immer noch stur?" ,warf Levi ein. Er wirkte nachdenklich, sogar ein wenig müde.
„Bisher schon. Ich denke, es wird noch Zeit brauchen, bis wir mehr erwarten können. Solange bleibt ihr in Marley, richtig?"
Onyancopon sah in die Runde.
„Na ja, wir haben eigentlich nicht vor nach Paradies zu reisen" ,erklärte Gabi zunächst, nachdem sich niemand anderes angesprochen gefühlt hatte. „Unsere Freunde werden uns wohl irgendwann hier besuchen..."
Falko nickte.

Ich sah die Beiden an. Im Gegensatz zu Levi, der nun seinen Blick leicht gesenkt hielt, trübte dies ihre Laune nicht im Geringsten.
„Was ist mit dir, Levi?" , harkte Onyancopon nach.
„Du weißt, dass ich dort nichts mehr zu suchen habe..."
Diese Antwort – sie kam nur leise über seine Lippen. Ich schaute zu ihm, erkannte wie gebückt seine Haltung plötzlich wirkte, sodass er beinah gebrochen schien.

„Es ist wirklich bescheuert, was sich Historia erlaubt" ,schimpfte Gabi auf einmal, während sie in die Runde sah, um Zuspruch zu suchen. Falko nickte kurz, doch Levis Gesichtsausdruck veränderte sich kaum. Ich verstand es, denn ihm war im Gegensatz zu seinen jungen Freunden bewusst, dass Historia nur das Beste für ihr Land wollte. Sie brauchte ein loyales Volk. Sie brauchte Feindbilder, die diese Insel zusammenhielten. Verräter, die den Sieg ihres Landes verhindert hatten, gehörten genauso dazu wie der Staat, der sie über Jahrzehnte tyrannisiert hatte. Es machte dabei keinen Unterschied, wer einmal in Paradies gelebt hatte. Es machte noch nicht einmal einen Unterschied, ob man für das Volk dieser Insel gekämpft hatte. Nur das Jetzt zählte. Nur die Taten, die eine Entscheidung herbeigeführt hatten. Was diese drei Eldia, die hier vor mir saßen, getan hatten, war genau das: Sie hatten den getötet, der Paradies zur neuer Stärke verholfen hätte.

„Nun ja" ,ergriff Onyancopon das Wort, „wir werden wohl abwarten müssen. Vielleicht zu einem Glas Wein?"
Ein wenig unsicher sah ich nun zu dem fröhlich wirkenden Mann, der scheinbar das Thema wechseln wollte. Er lächelte.
„Ich habe etwas zu feiern" ,erklärte er nun. „Ich wurde offiziell zum Botschafter ernannt, der hier in Marley weiterhin dienen darf. Eine kleine Feier, mehr wollte ich jetzt nicht machen, aber ihr seid alle eingeladen."
„Wann denn?" ,rief Gabi gleich aus. Auch sie lächelte nun und schien das vorherige Gespräch bereits vergessen zu haben, wobei sie sich leicht über den Tisch beugte. Ich musste bei diesem Anblick grinsen. Ihr Verhalten spiegelte ihr Alter vollkommen wider, obwohl sie viel erlebt haben musste. Es beruhigte mich ein wenig, dass dort in ihr anscheint immer noch ein junges Mädchen versteckt war, welches Freude im Leben suchte.

„Ich hatte an morgen Abend gedacht. -dN-, bist du dann noch in der Stadt? Wenn du schon mal hier bist, musst du mich besuchen kommen! Das ist die Gelegenheit" ,wandte sich Onyancopon nun an mich. Ich legte meinen Finger an den Kinn und überlegte.
„Wahrscheinlich..." ,sagte ich dabei eher zu mir selbst, doch mein alter Bekannter tat dies als Zusage ab.
„Wunderbar. Weidenstraße 14. Ich besorge Fleisch und Gemüse."

Ich seufzte. Nickend blickte ich zu meinen Händen, die mal wieder ineinander gefaltet waren. Was sollte ich nun sagen? Natürlich wollte ich zu Onyancopons Feier gehen, mich mit ihm freuen, den Abend unter netten Menschen verbringen oder gar genießen. Doch ich zweifelte daran, dass Werner dies befürworten würde, wusste ich doch noch nicht einmal, ob er bereits etwas geplant hatte. Bei dem Gedanken an ihm, zuckte ich plötzlich zusammen. Wie spät war es überhaupt?

Ein wenig orientierungslos, schaute ich zu meinen Tischnachbarn, während ich einen Druck in meiner Brust aufkommen spürte. Was, wenn Werner bereits nach mir suchte? Was, wenn Werner genau in diesem Moment durch die Straßen lief, um in Erfahrung zu bringen, was seine Frau wieder triebt?

Ich schluckte schwerfällig, denn ich wusste, dass er außer sich sein würde, sich solch eine Mühe für mich machen zu müssen. Er würde genervt auf mich heruntersehen, mich schlecht machen oder gar beleidigen. Vielleicht würde er über Stunden darüber reden, wie katastrophal ich als Ehefrau war, vielleicht aber auch tagelang. Wie auch immer genau sein Ton sein würde, ich würde es hassen. Und ich würde resignieren, so wie ich es immer tat, nur um meine Ruhe zu haben. Ein weiteres Mal atmete ich tief ein, um mich zu beruhigen. Die jetzige Situation konnte ich so oder so nicht mehr ändern.

„Alles in Ordnung?"
Mein Blick bleib an ihm hängen: Levi – er sah mich eindringlich an, für wie lange, dass wusste ich nicht, doch er wirkte auf einmal ganz anders. Das eine Auge kalt, strahlte das andere plötzlich Wärme aus, so als wollte es mir sagen, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, egal welche Gedanken da durch meinen Kopf schwirrten. Doch ich? Ich nickte nur, denn etwas sagen - das konnte ich nicht. Weder eine Erklärung für meine Laune noch mein wahrscheinliches Fehlen auf der Feier wollte ich ansprechen, denn es würde nichts ändern. Einfach nichts.

„Nun, so langsam muss ich los..." ,meinte Onyancopon, bevor er mit einem Zug seine Tasse leerte.
„Ich auch" ,stimmte ich zu.
„Dann lasst uns ebenso losgehen."
Levi wandte sich an Gabi und Falko, welche nicht lange auf sich warten ließen. Falko räumte bereits den Tisch ab, als wir alle das Geld für unsere Getränke zusammenlegten, sodass wir dies der Bedienung zeitnah in die Hand drücken konnten. Diese schien sichtlich erleichtert, denn der Laden füllte sich immer mehr – selbst vor unserem Tisch standen bereits andere Kunden an, um diesen zu beanspruchen.

Ein wenig gestresst eilte ich als Erste nach draußen. Ich atmete tief durch. Es roch ein wenig nach den Abgasen der Automobile, die hier und da zu sehen waren. Mir schien, als würden sie von Tag zu Tag mehr, obwohl sie immer noch recht teuer in der Anschaffung waren.

Onyancopon trat nun neben mir. Er sah lächelnd zu mir, bereit sich zu verabschieden. Vielleicht für immer? Doch ein lauter Schrei unterbrach uns. Ich schrak auf. Es war ein Ruf nach Hilfe.


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt