19. Gescheiterte

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„Eine Welt ohne Titanen...?" ,seufzte ich in meine Tasse hinein, während ich Levi konzentriert ansah. Doch er erwiderte meinen Blick nicht.
„Nachdem mich Erwin aus der Unterwelt rekrutiert hatte, hatte er es mir und den anderen immer wieder erzählt... Die Möglichkeit die Titanen zu besiegen, sie auszurotten und endlich hinter die Mauern zu kommen. Er war wie besessen davon und doch bin ich ihm gefolgt. Hunderte sind dabei drauf gegangen. Es war scheißegal."

„Aber ihr habt sie besiegt... Ihr habt die Titanen doch besiegt..." ,warf ich ein. Mein Herz raste inzwischen. Levis resignierter Blick, seine leise Stimme und diese Worte, die wie die Schilderung der Hölle klangen – sie stachen auf mich ein. Als hätte ich mich ihm geöffnet, nahm ich alles in mir auf. Als hätte ich darum gebeten, ließ ich seinen Schmerz in mir zu. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte genau dies, auch wenn ich gleichzeitig hoffte, seine Geschichte würde gut enden. Doch das tat sie nicht.

„Nein. Wir haben nur einen Jungen den ganzen Scheiß eingeredet, bis er sich selbst in den Untergang befördert hat. Und fast hätte er die ganze Welt mit sich genommen..."
Levi nahm einen Schluck von seinem Tee. Sein Blick zunächst auf den Tisch fixiert, sah er plötzlich zu mir.
„Was hättet ihr wohl getan, wenn ihr an unserer Stelle gewesen wärt..." ,stöhnte er schon beinah. Ich presste meine Lippen zusammen, zögerte zunächst und sagte es dann doch:
„Wahrscheinlich wäre ich einfach weggelaufen."

Mit meinem Zeigefinger auf meine Wange tippend, lachte ich ein wenig. Doch es war ein gespieltes Lachen, wusste ich doch, dass diese Geschichte nicht erfunden war, sondern dass ich es wirklich getan hatte: Ich war geflohen, während andere meine Hilfe gebraucht hatten. Noch heute brannte diese Erinnerung in meinem Hirn, bis ich es schaffte, sie ein weiteres Mal zu vergessen, nur um Angst davor zu haben, sie wieder hervorzuholen. Diesmal hatte er es getan: Levi – er beobachtete meine Reaktion und schüttelte den Kopf.

„Nein, das stimmt nicht..." ,meinte er leise. Seine Augen wirkten nun traurig, fast schon verzweifelt. Ich musterte ihn.
„Ach ja? Was macht euch da so sicher? Ich weiß, Onyancopon erzählt immer die wildesten Sachen, aber ihr wisst sicher, dass auch er gerne übertreibt."
Schmollend saß ich nun da. Meine Hände suchten einander, sodass ich in meinen Finger kniff, während ich mich fragte, warum er das alles sagte. Er, der diesen Krieg erlebt hatte. Er, der keinen Grund hatte, mich in irgendeiner Form aufzuwerten.

Er.

Wie gern wollte ich in seine Gedanken schauen können, um zu erfahren, was er über mich dachte.

Ein Gong ertönte. Dem Klang folgend, entdeckte ich die Standuhr, die mir mitteilte, dass es bereits Nachmittag war. Ein lautes Seufzen entglitt mir, bevor ich eilig meine Tasse leerte, um zwischendrin zu meinen:
„Ich muss los. Onyancopon wartet sicher schon... Er wollte mir endlich einen Schlüssel für die Wohnung besorgt haben, aber der Schlosser braucht ewig..."
„Ihr seid bei ihm eingezogen?" Levi zog die Augenbraun zusammen, wobei er bereits aufstand. Ich nickte.
„Ja, erstmal. Bis ich eine eigene Wohnung bezahlen kann."

Ein wenig zögerlich, hielt ich nun die Taschentücher hoch, um dabei hinzuzufügen:
„Ich bringe sie euch gewaschen zurück."
„Das braucht ihr nicht... Sie sind eh hinüber..."
„Dann kaufe ich eben neue."

Langsam ging ich auf die Wohnungstür zu, mich kurz zuvor umdrehen, um zu erkennen, dass er mich nicht begleitete, sondern gegen eine Wand im Flur lehnte und abwartete, was ich tat.
„Passt es euch, wenn ich euch die Tücher irgendeinen Nachmittag vorbeibringe?" ,erkundigte ich mich stehenbleibend.
Levi nickte.
„Ich habe euch doch gesagt, dass ich nichts zu tun habe."
„Gut. Dann komme ich einfach mal vorbei."

Ich lächelte und öffnete die Tür. Die kalte Luft des Hausflures kam mir entgegen. Sie kühlte meine Wangen und ließ mich aufatmen.
„Bis bald, Levi" ,sagte ich noch, bereit ihn hinter mich zu lassen. Doch eine Hand auf meinem Kopf ließ mich aufschrecken. Mich umdrehend und ihn plötzlich neben mir stehend entdeckend, starrte ich sein zaghaftes Lächeln an. Er strich mir über den Kopf – ganz vorsichtig – bevor er mir zuflüsterte:
„-dN-, du solltest nicht so schlecht über dich denken."

Obwohl sie nach ihm greifen wollten, suchten meine Hände einander. Obwohl sie sich in sein Hemd bohren wollten, drückten sich meine Fingernägel in mein eigenes Fleisch. Und obwohl ich ihm irgendwie zustimmen wollte, blieb ich stumm und nickte nur leicht, bis ich mich auf meinen Weg machte.

Ich konnte es nicht – ihm sagen, was ich über mich selbst dachte, wie sehr es mich verletzte und vielleicht sogar innerlich zerriss. Zumindest nicht in diesem Moment. Doch als ich nochmals ein „Bis bald" durch den Hausflur rief – als ich dabei zurücksah, obwohl er noch nicht einmal in Sichtweite war, ließ ich es zu: Ich fühlte in mich hinein, erkennend, dass ich ihn nicht hinter mir lassen wollte und dabei nur an mich selbst dachte.


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt