23. Vorangehen

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Nachdem Levi den Kellner, der zwischenzeitlich sichtlich irritiert gewesen war, fortgeschickt hatte, saßen wir schweigend am Tisch. Keiner von uns schien die richtigen Worte für diese Situation zu haben, auch wenn wir wahrscheinlich beide das gleiche empfanden: Verlegenheit.

Meine Finger spielten mit dem Besteck. Sie kühlten sich an dem Silber ab, strichen über die glatten Flächen, bis sie die Spitzen der Gabel erreichten und sich daran leicht stachen. Ich sah immer wieder zu ihm. Er, der noch immer in der Karte lass, obwohl er doch schon längst wusste, was er auswählen würde, wirkte desinteressiert. Sein Haar fiel ihm dabei leicht in die Augen. Es reflektierte das Kerzenlicht. Verspielt – so wirkte es dabei und lud schon fast zum Träumen ein. Doch mir war nicht danach.

„Hast du was gefunden?" , meinte ich irgendwann beiläufig klingend, obwohl mir dieser Satz unglaublich wichtig war, denn er war der Versuch die Stille endlich zu brechen.

Levi sah skeptisch auf.

„Ich denke..." ,seufzte er.
„Was denn? So wie es aussieht, ist die Küche auf Meeresfrüchte spezialisiert. Vieles davon habe ich noch nie probiert" ,warf ich nun ein. Ich war selbst davon überrascht, wie fröhlich ich plötzlich klang.
„Das ist alles eklig."

Fast schon genervt, klappte Levi die Karte zu, woraufhin er mich musterte.
„Ich verstehe eh nicht, wie man so ein Zeug essen kann" ,fügte er dabei hinzu.
„Mmmh, na ja... einfach ausprobieren?" Ich lächelte. „Ihr müsst doch auf Paradies auch irgendwelche Besonderheiten oder Spezialitäten haben..."
„Als hätten wir keine anderen Probleme gehabt..."

Meine Schultern zuckten zusammen. Trotz meiner Kenntnis über sein früheres Leben schmerzten seine Worte in mir, war es doch fast so, als wollte ich sein Leid immer wieder vergessen, sobald wir zusammensaßen, um die Zeit einfach zu genießen. Diese Zeit, die er mir gab – ob nun in diesem Moment freiwillig oder nicht – ich wollte sie zu etwas besonderem werden lassen. Doch er schien anderes vorzuhaben.

„Die meisten von uns konnten sich noch nicht mal Fleisch leisten... Und hier? Hier leben die Leute, als wäre das alles selbstverständlich..." , ergänzte er. Sein Ton war scharf.
Fast schon grob warf er die Speisekarte auf den Tisch, woraufhin er sich in den Stuhl zurückfallen ließ und ein Bein über das andere schlug. Die Arme dabei verschränkend, schienen seine Augen die Menschen um uns herum abzutasten – ja, förmlich zu prüfen – bevor er seufzte.
„Ich weiß, dass..."
„Nein, du weißt es nicht..." , unterbrach er mich. „Aber es ist nichts gegen dich. Ich konnte diesen Scheiß schon immer nicht ab."

Sein Blick senkte sich.
„Diesen Scheiß..." ,flüsterte ich in mich hinein, während ich mich an die vielen Abende mit Werner erinnerte, welche in ähnlichen Lokalen stattgefunden hatten. Auch ich hatte diese immer als unzumutbar empfunden, obwohl ich den Luxus auf irgendeine Weise gemocht hatte. Es war zumindest ein gutes Essen in schlechter Gesellschaft gewesen. Ein klein wenig Trost auf einem Teller serviert, der mich von den Strapazen des Tages abgelenkt hatte.

Unsicher presste ich meine Lippen zusammen. Im Gegensatz zu Levi hatte ich diesen Überfluss schon fast als normal erlebt. Während er auf Paradies um sein Leben gekämpft hatte, hatte ich in einer Bar mein nächstes Getränk bestellt. Und es hatte mir nie etwas ausgemacht – bis jetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt, in dem mir klar wurde, dass er die Welt anders sah als ich. Dass er sie vielleicht klarer sah, nicht geblendet von der Gier nach Reichtum und Besitz, weil er das Gegenteil kannte.

„Dann lass uns gehen!" ,hörte ich mich selbst sagen, so als sei es die Reaktion auf mein Erkennen.
„Was?" ,zischte Levi. Er kniff seine Augen ein wenig zusammen, doch schien er nicht abgeneigt von diesem Vorschlag.

„Lass uns einfach gehen!" ,wiederholte ich meine Worte.

Ich stand bereits auf. Einige Gäste sahen nun zu uns, sichtlich verwundert, mancher sogar bereits leicht empört, konnte ich doch hier und da ein Flüstern hören. Wie immer urteilten sie, ohne zu denken. Wie immer sprachen sie, ohne zu wissen. Ich hasste diese Art derjenigen, die dachten, sie seien etwas Besonderes auf dieser Welt. Vielleicht verachtete ich sie sogar, denn für mich waren sie alle im Schatten ihrer eigenen Ignoranz gefangen. Sie alle, die hier saßen. Sie alle. Nur er nicht: Levi. Warum nur hatte ich das Gefühl, dass er vollkommen anders war? Und warum mochte ich gerade das so sehr an ihm?

Auch er stand nun auf, seinen Gehstock bereits in der Hand, um mir zu folgen. Ich grinste und ging vor. Zwischen den Tischen mich drängend, die Blicke standhaltend und mit einem leichten Kribbeln in der Brust.

„Meine Dame, ist alle in Ordnung?"
Der Oberkellner kam nun schnellen Schrittes auf uns zu. Er wirkte überrascht und sichtlich genervt.
„Bitte bringen Sie mir meinen Mantel!" ,meinte ich zu ihm, seine Frage ignorierend, sodass er nur noch nickte, bevor er loslief, um meiner Bitte gerecht zu werden.

Die Jacke bereits annehmend, stieß ich die Tür des Dinners auf. Der Wind wehte mir entgegen. Dieser kalte und salzig duftende Wind, der wie ein Rufen wirkte. Er durchdrang die warme Luft des Restaurants, brach sie förmlich und bahnte sich seinen Weg hinein.

Ich blickte zurück. Levi stand hinter mir. Sein Blick nur auf mich gerichtet. Wie das meine tanzte auch sein Haar durch den Strom der Luft. Wie auch ich kniff er die Augen leicht zusammen und doch konnte ich es erkennen: Dieses Funkeln, welches plötzlich in ihnen aufkam und mein Herz zum Klopfen brachte.

„Lass uns gehen!" ,sagte er nun leise, als er wahrscheinlich erkannte, wie ich ihn anstarrte.
„Ja, lass uns gehen."


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt