26. Ein Kuss

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Grenzen - diese von Obrigkeiten erschaffenen Linien, die nur dazu da sind, Ängste zu schüren. Unsichtbare Wände zwischen Völkern, Andersartigen oder einfach nur Menschen. Mauern, die zur Einteilung dienen und doch mit Leichtigkeit durchbrochen werden können - wenn man es nur wagt.

Ein Handschlag genügt, manchmal nur ein Greifen oder hin und wieder auch ein Kuss,der für die Zwei, die ihn teilen, mehr bedeutet als nur das Vergessen einergeforderten Distanz.

Er kann viel mehr bedeuten. Viel, viel mehr.

Und dennoch könnte ich niemals beschreiben, was dieser erste Kuss zwischen uns für mich war. Eine Art Befreiungsschlag? Ein Abenteuer? Oder doch nur der Versuch, Trost zu finden?

Die Worte in meinem Kopf bildeten ein Chaos, denn schon lange hatte ich nichtmehr solch ein Kribbeln in der Brust empfunden, lag es doch daran, dass es mirnach dieser Berührung seit unserem ersten Treffen verlangt hatte. Dass ich diesenMann im Gegensatz zu Werner spüren wollte, vielleicht sogar den Wunsch hegte,ihn mir einzuverleiben. Ihn und diesen Duft, den er verströmte.

Sandelholz – so herb und süßlich zugleich. Es vermischte sich mit der Frischedes Regens. Fast schon lud es mich zum Träumen ein, doch wollte ich diesenAugenblick vollkommen auskosten. Also hörte ich nicht auf. Ich drang mit meinerZunge in seinen Mund, seufzte in ihn hinein und merkte nur, wie er es zuließ.Mehr noch. Seine Hand an meiner Hüfte fragte danach, mehr zu bekommen. Und ichgenoss es. Ich genoss ihn.

Meine Hände – endlich in seinem Haar.
Seine Lippen – schließlich die meinen kostend.
Unsere Körper – aneinandergedrückt, bis sich die nassen Stoffe zwischen unserwärmten.
Und dieses Gefühl, dass dieser Kuss richtig war. Dass es so sein sollte. Irgendwie und irgendwann.

„Du musst es nicht gleich übertreiben..." ,seufzte Levi, nachdem er mich ein wenig von sich weggedrückt hatte. Er beendete unsere Nähe und sah dabeiverlegen weg, seine Wangen leicht gerötet. Ich lächelte.
„Entschuldige...ich..."
„Nein, schon gut... Ich... Ich bin es nur nicht gewohnt..." , unterbrach er mich.Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser, sodass der Regen ihn fast zuverschlucken schien. Eine seiner Hände legte er kurz auf meiner Schulter ab,bis er auch sie zurückzog und zum Himmel sah. Ich atmete tief durch, suchte ichdoch die Ruhe in mir, doch noch immer spürte ich die Hitze auf meinen Lippen,die er dort hinterlassen hatte. Diese Hitze, die jetzt bereits in meinem Schossbrannte.

„Der Typ war schon viel zu lange allein" ,hörte ich in meinen Gedanken Onyancopon sagen. Ich seufzte.

„Der Regen hat fast aufgehört" ,meinte Levi nun. Auch ich sah nun hinauf zu denWolken, die wie ein Schleier vor dem aufgehenden Mond wirkten. Levi hatteRecht. Hier und da tropfte es noch ein wenig, doch hierbei sollte es bleiben.Das Gewitter schien vorbeigezogen zu sein.
„Dann wollen wir los?" ,fragte ich ein wenig wehmütig. Er nickte.

Ein weiteres Mal prüfte er den Stoff seines Jacketts, bevor er den Schutz des Pavillonsverließ und zu mir sah.
„Komm, sonst holst du dir noch den Tod!" Ich schmunzelte.
„Keine Sorge, so empfindlich bin ich schon nicht."
Langsam folgte ich ihm, immer wieder zu ihm schauend, doch Levi konzentriertesich auf unseren Weg, der uns durch die Straßen der Stadt führte.

Einige elektrische Laternen flackerten im Gegensatz zu jenen, die wieder einmalausgefallen waren. Diese neuen Dinger kosteten den Menschen mehr Geduld als dassie halfen und so tanzten unsere Schatten vor sich hin. Mal hinter uns und mal vorangehend,bis sie wieder von der Dunkelheit ergriffen wurden, um für einen weiterenMoment zu verschwinden. Ich beobachtete dieses Spiel auf dem Boden, während ichLevis Schritten lauschte und dabei entspannte.

Seine Stille. Sein ganzes Sein – brachte es mich in einem Moment zum Lodern, sokonnte ich in einem anderen Augenblick eine Ruhe finden, so als ließe er mich spüren,dass ich war. Und ich mochte es. Ich brauchte es vielleicht sogar, genau wieer, der in Gedanken versunken schien, bis er meinte:

„Hier sollten wir uns aufteilen!"
Ich nickte.
„Ja..."
„-dN-..."
„Mmh?"
„Lass dich bloß nicht von unserem guten Freund ausquetschen..." ,zischte Leviplötzlich, sodass ich grinsen musste, hatte ich doch einen eher romantischenSatz erwartet und stand nun etwas verdutzt da. Doch Levi verschränkte nur dieArme, während er an einer Hauswand lehnte.
„Er wird bestimmt fragen" , fügte er dabei hinzu.
„Ja, das wird er." Ich lachte. „Keine Sorge, Levi. Ich bin nicht auf dem Kopfgefallen."
„Ich weiß..."

Levi sah kurz weg, bevor er seufzte.
„Komm gut nach Hause" ,warf er daraufhin ein. Meine Hände griffen einander.
„Du auch... Wenn es dir nichts ausmacht, komme ich die Tage vorbei und bringe dirdie Tücher."
„Du immer mit deinen Tüchern... Komm einfach, ich werde warten" , sagte er, alser bereits losging, um mich zurückzulassen.

Mit glühenden Wangen.
Mit einem Herzen voller Sehnsucht.
Und mit Gedanken, die in dieser kühlen Nacht mir die Hitze in den Schossdrückten, sodass meine Finger zu tanzen begannen.



Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt