38. Wege

58 6 7
                                    

Lina drückte den übriggebliebenen Stummel ihrer Zigarillo aus, nur um bereits ein weiteres Mal in ihre Schatulle zu greifen. Die Augen zusammengekniffen, starrte sie dabei in ihren Kaffee und versank in ihren eigenen Worten:

„Ich hätte dich in letzter Zeit echt gebraucht... Einfach zum Reden oder als Stütze... Was weiß ich... Aber stattdessen läufst du vor deinen Pflichten weg... Und ich stehe alleine da..."

Ihre Stimme machte einen Sprung. Ganz leicht, doch ich kannte diese Frau zu gut, um es zu überhören. Und trotzdem - ihre Worte ergaben noch immer keinen Sinn. Genauso wie ihr plötzliches Auftauchen, welches mir ein Rätsel war, denn für meinen Vater diese Reise auf sich zu nehmen, ohne einen eigenen Vorteil zu erhalten, war nicht Linas Art. Oder zumindest nicht die Weise, die ich von meiner Freundin seit Jahren gewohnt war. 

Tief durchatmend faltete ich meine Hände ineinander und sah sie konzentriert an. 

„Welchen Pflichten, Lina? Seit dem Ende unseres Dienstes habe ich keine..."

„Ich rede nicht von unserer Militärzeit. Ich rede von den Pflichten einer Ehefrau. Hast du nie darüber nachgedacht? Die Nachkommen sichern, ihnen Bildung ermöglichen, ein Erbe schaffen! Für was hast du sonst geheiratet?" ,unterbrach sie mich fast schon zu laut. 

Lina drückte ihre Arme auf den Tisch. Ihr Blick nun auf mir fixiert, fühlte ich mich fast schon bedrängt, obwohl ich diese Themen durchaus bei ihr kannte. Sie hatte sich eben schon immer auf Pflichten und  Bestimmungen gestützt. Ob in unserer Jugend, als wir den Staatsdienst als unseren Weg auserkoren hatten, oder später während der Partnerwahl - immer hatte Lina ihre Aufgabe als Frau in der Gesellschaft gesucht, um diese anzunehmen und zu erfüllen. Ihre wahren Gefühle waren dabei zweitrangig gewesen und ihr Herz stumm geblieben. Aber heute schien es anders, sah sie doch beinah aufgebracht aus.

„Ich habe versagt... Till hat mich fortgeschickt..." ,kam es auf einmal über ihre Lippen. Ihre Augen wirkten leicht gläsern, bis sie einmal kräftigt schluckte, um wieder an ihrer Zigarillo zu ziehen.

„Wie? Warum das denn?" ,fragte ich perplex. Ich starrte sie an, wollte bereits nach ihrer Hand greifen, doch sie wirkte so unerreichbar, obwohl sie mir gegenübersaß. 

„Na ja" ,schnalzte sie und verdrehte dabei ihre Augen, „es klappt mit dem Kinder kriegen nicht. Er meint, es läge an mir... hat mir sogar angeboten, dass wir eine andere Frau einstellen, als Amme getarnt... zur Lösung des Problems. Also meines Problems..."

Meine Augen weiteten sich. 

„Das ist nicht dein Ernst" ,flüsterte ich. Ich musterte sie: Ihre Haltung, ihre Blicke, ihre ganze Erscheinung - nichts konnte mich beruhigen. Nichts mir zeigen, dass ihre Situation doch nicht so schlimm sei. Nichts. 

Lina sprach die Wahrheit. 

„Ich konnte das nicht, -dN-... und jetzt? Jetzt bin ich genauso wie du....dabei hatte ich vor einigen Wochen noch über dich gespottet... Es... Es..."

Mein Herz klopfte wie wild, als ihr Schlurzen begann. Hinter diesen ganzen Vorwürfen, hinter all ihrer Kritik, hatte sie nur diesen Schmerz verborgen. Hoffend, dass ich ihn finden würde, bis sie ihn selbst hervorholte, um endlich das zu bekommen, was sie brauchte: Mitleid. Trost. Anerkennung. Alles, was eine Freundin geben sollte. Alles, was ich ihr vorenthalten hatte. Zumindest bis zu diesem Moment.

Eilig bezahlte ich unsere Getränke beim Kellner und lag meine Hände über ihre Schultern. Ich führte sie hinaus. In diese Stadt, die einst unser Abenteuer gewesen war. 

„Komm erstmal mit... Das wird schon wieder..."

Mit diesen Worten begleitete ich sie, so als wären wir niemals getrennt gewesen. Und ich brachte sie Heim. Dorthin, wo ich in den letzten Monaten Schutz gefunden hatte. Dort, was nun mein Zuhause war. Dort, wo auch sie mit offenen Armen empfangen wurde.

Meine frühere Freundin, meine ehemalige Kameradin. Meine Schwester. 

Ich wollte für sie da sein - ihr eine Stütze sein, egal wie wir uns vor ein paar Minuten noch misstraut hatten. Es war nicht mehr von Bedeutung.

„Das gibt's nicht, Lina?" ,so wurden wir von Onnyancopon begrüßt, welcher mir augenzwinkernd ein „Wo-bist-du-eigentlich-gewesen?" zuwarf. Ich musste schmunzeln, überspielte jedoch die Situation. 

„Ist es in Ordnung, wenn Lina ein paar Tage hier ist?" ,meinte ich nur. Onyancopon nickte.

„Klar. Wie ist es dir ergangen?" ,wendete er sich an meine Freundin. Diese nahm den Hut ab und lächelte leicht, so als würde sie ihre wahren Gefühle hinter einer Maske versteckt halten. 

„Eigentlich soweit gut... Ich war lange nicht mehr hier in Marley. Es hat sich einiges verändert. Was machst du eigentlich hier?"

„Ich arbeite für die Botschaft meiner Heimat. Aber setzt euch doch. Ein Glas Wein sollte bei solch einem Wiedersehen doch nicht fehlen. Moment..."

Onyancopon verschwand in der Küche. Ein Augenblick, den Lina zum Durchatmen aber auch für ein kurzes Umsehen nutzte, bevor sie mich skeptisch anschaute.

„Du lebst mit ihm zusammen? Was ist denn hier..."

„-dN- wohnt bei mir seit einiger Zeit zur Untermiete. Keine Sorge, Lina. Ich bin noch immer zu haben" ,lachend unterbrach Onyancopon unseren leicht verwirrten Gast. Er schenkte uns ein, bevor er uns die Gläser reichte. Ich nahm einen Schluck und lehnte mich zurück.

„Onyancopon hat mir geholfen, als ich entschieden hatte, hier in Marley zu bleiben. Eigentlich wollte ich gar nicht so lange bleiben, aber ein festes Einkommen zu haben, ist gar nicht mehr so leicht, wenn man nicht mehr beim Militär ist..." ,erklärte ich und seufzte. „Aber na ja... ich denke, bald kann ich ausziehen..."

„Mmh..." Auch Lina nahm nun ihr Getränk an sich. Sie sah zu Onyancopon und nickte. „Unglaublich... Dann hast du -dN- eingeredet, Marley sei ein guter Ort für einen Neuanfang? Gerade das Land, was ständig Kriege anzettelt..." Ich schüttelte den Kopf und auch Onyancopons Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

„Nichts der Gleichen, Lina" ,sagte er entspannt. „Der Ort war doch nicht wichtig, sondern nur das Wer. Und dieser Werner war wohl Grund genug für sie, in Marley zu bleiben." 

„Das mit Werner wurde immer unerträglicher. Er hat mich nur als Mittel gesehen. Das habe ich manchmal kaum noch ausgehalten" ,fügte ich hinzu. Ich presste meine Lippen zusammen und kratzte mit meinem Fingernagel am Glas entlang. „Mal wieder unter anderen Leuten zu sein, hat mir einfach gezeigt, dass ich was ändern musste..."

Lina blickte mich stumm an. Weder Freude noch Zustimmung konnte ich in ihren Augen erkennen und dennoch - sie kritisierte mich für diese Erklärung nicht. 

War es die Einsicht, die nun nach ihr griff? Oder fragte sie sich in diesem Augenblick selbst, ob dieser Weg auch der ihre war? Ich wusste es nicht, doch ich leerte mein Glas ohne Zweifel an meinen Entscheidungen. Ohne Reue, mein Leben in der Heimat beendet zu haben. Ohne Traurigkeit darüber, vielleicht niemals zurückzukehren. Und ich lächelte, dachte ich doch nun an den, den ich den Meinen nannte. An diesen Mann, mit dem ich nun einen gemeinsamen Weg ging, der sicherlich niemals leicht und doch beglückend sein würde. Immerhin war es meine Wahl gewesen.

„So..." ,riss mich Onyancopon aus diesen Gedanken und schenkte uns nach, „Bevor wir jetzt nur über -dN- sprechen... Kennst du eigentlich die Geschichte der Helden, die die Walze aufgehalten haben?" ,wandte er sich nun Lina zu, nachdem er mir zugezwinkert hatte, „Du wirst es nicht glauben, aber ich war dabei."

Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt