„Ich habe gleich einen wichtigen Termin, -dN-."
„Ja, Werner..."
„Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich diesen lieber allein bestreiten möchte. Deine vorlaute Art hat letztes Mal doch für etwas Verwirrung gesorgt, was ich nun wirklich nicht gebrauchen kann."
„Natürlich, Werner..."
„Ich denke, du solltest diese Reise nutzen, um endlich zu erkennen, wo genau dein Platz ist, meine Liebe... Nicht, dass ich meine Arbeit nicht gern mit dir teile, doch die Art, wie du dir dies zu vorstellen erlaubst, ist nicht die meine."
Werner erklärte mir seit geraumer Zeit sein Vorhaben auf Marley, während wir auf dem Deck eines Kreuzfahrtschiffes saßen und uns sonnten. Auch wenn die Motoren des Dampfers heute besonders laut schienen, er wusste dies mit seiner tiefen Stimme zu übertönen, sodass ich mal wieder in dem Gedanken bestätigt wurde, an ihm und seinem Sprachorgan sei ein General verloren gegangen.
Im Gegensatz zu dieser Idee, die mich immer ein wenig schmunzeln ließ, holten seine Worte in mir einen enormen Druck hervor, der mir den Hals förmlich zuschnürte. Es war mal wieder eines dieser Gespräche, welches nur darauf abzielte, mir zu zeigen, dass mein Platz nicht neben ihm, sondern weit hinter ihm lag. Ein Gespräch, welches meinen Stolz auf den Grund des Meeres versenkte, nur um seinen eigenen Ego emporsteigen zu lassen. Ich war für ihn eben nur eine Ehefrau. Diese Frau, die er geheiratet hatte, um einen gewissen Einfluss auf den Minister -dNN- zu erhalten, als sei ich ein Schlüssel zu einem guten Deal für sein Geschäft.
„Meine wehrten Passagiere, wir werden gleich anlegen."
Ein junger Decksmann kam auf uns zu, um uns über die baldige Ankunft in Marley zu informieren. „Benötigen sie noch etwas, werter Herr von Goldwald?" ,fügte er noch hinzu, während er aufmerksam unsere Gesichter musterte. Ich schluckte schwerfällig. Selbst dieser einfache Hilfsarbeiter schien es nicht für nötig zu halten, mich anzusprechen.
„Nun..."
Werner legte seine Hand ans Kinn. Er blickte kurz der Stadt entgegen, die sich nun immer mehr näherte, um daraufhin den Kopf leicht zu schütteln.
„Nein, ich danke ihnen. Ich bin mit dieser Überreise höchstzufrieden. Richten sie dies ihrem Kapitän aus!"
„Höchstzufrieden" ,äffte ich die geschwollene Betonung meines Gatten leise nach, wobei ich meine Augen verdrehte. Wie konnte sich dieser Kerl, der nur durch die Arbeit seines Vaters an so viel Reichtum und Einfluss gekommen war, für so wichtig nehmen? Ich verstand diese Einstellung einfach nicht, hatte ich doch immer versucht, aus dem Schatten meines Vaters herauszuspringen, statt sich in diesem auszuruhen.
„Hast du was gesagt?" , fragte mich Werner, nachdem der junge Mann gegangen war. Sein Ton war dabei scharf, sodass ich davon ausgehen konnte, dass er meine Geste bemerkt hatte.
„Nein, nein. Ich hatte nur so ein Kribbeln in der Nase" , erklärte ich, um dabei Marley entgegenzuschauen.
Der Qualm der Stadt und die bereits wieder aufgebauten Gebäude, die nun noch stärker in den Himmel ragten, schienen mich förmlich begrüßen zu wollen. Von der Sonne angeschienen, wirkte alles so hell und rein, so als wäre Marley der Himmel auf Erden gewesen. Und vielleicht war es genau dies. Zumindest heute, an diesem Tag und nur für mich.
Eilig stürmte ich schon beinah vor, als das Schiff zum Stillstand kam, sodass die Crew eine Rampe zum Steg vorbereitete. So als wäre ich ein Kind, welches seinem Geburtstag entgegenfiebert, begann mein Herz dabei zu rasen. Ich blickte zurück. Werner war irgendwo hinter mir in der Menschenmenge untergegangen. Eine Situation, die ich sehr willkommen hieß, ließ sie mich doch zumindest für diesen Augenblick durchatmen.
„Wie soll das alles nur weitergehen?" ,fragte ich mich, als der Übergang freigegeben wurde, um den ersten Passiergieren das „An-Land-Gehen" zu eröffnen. Vorsichtig ging auch ich über das breite Brett herüber, während meine Augen die Umgebung abtasteten.
Auch wenn diese Stadt stark zerstört gewesen sein musste, hatte mich ihr Anblick vom Schiff aus nicht getäuscht. Zumindest hier im Hafenbereich schienen die meisten Gebäude wieder aufgebaut. Prunkvoll und modern – so wirkte Marley nun. Der Krieg? Er schien dabei wie vergessen – vielleicht sogar verdrängt. Ich schluckte schwerfällig bei diesem Gedanken, dass auch die Opfer eines Tages vergessen sein würden, während sich ein ganzer Staat jahrzehntelang auf ihren Schultern ausgeruht hatte. Es war nicht fair. Nein, am Ende war es sogar eine Schande, dass die ganze Welt dabei zusah, wie ein Land nun diese Geschichte zu vertuschen versuchte. Doch auch ich gehörte zu diesen Beobachtern, sehnte ich mich doch nach nichts anderem, als endlich dieses Land zu betreten.
Marley – es war der Ort meiner jungen Jahre gewesen. Die Gegend, in welcher ich meine Freiheiten genossen hatte. Tanzen, Feiern und der ein oder andere Mann hatte genauso dazugehört, wie die gemeinsame Arbeit mit Lina. Ich hatte es geliebt.
Doch diese Zeiten waren längst Vergangenheit. Diese Stadt, die ich nun endlich über den Steg betrat, war schon lange nicht mehr mein Zuhause. Ein wenig wehmütig, schritt ich über das knatschende Holz, wobei ich diesen Gedanken verdrängte.
Ich war wieder hier. Das war alles, was zählte.
Tief einatmend hielt ich kurz inne. Diesen Augenblick wollte ich mir gönnen. Dieses Gefühl von Rückkehr zulassen, um mich selbst zur Ruhe kommen zu lassen. Und um mich selbst zu täuschen.
Mein Blick wanderte zurück zum Schiff. Wie eine Geflohene suchte ich nach dem, der mich an einer unsichtbaren Leine hielt. Werner – er war noch immer nicht zu entdecken. Anscheint hatte er im Gegensatz zu mir keinen Grund sich zu beeilen, spürte er doch weder ein Kribbeln noch eine Neugierde in sich aufkommen, wenn er ein anderes Land betrat. Er war eben ein Kaufmann, ein strukturierter und gefühlsarmer Feilscher, der in jedem Ort nur seinen möglichen Gewinn sah. Selbst in dieser Stadt, die mir so viel bedeutete, würde er am Ende der Reise nur die Zahlen auf den Tisch legen, um sie zu bewerten. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber was machte ich mir nun solche Gedanken? Wollte ich mir selbst die kommenden Tage von diesem Mann versauen lassen? Nein, das wollte ich nicht.
Ich ballte eine Faust, als ich den Steg verließ und wie angekommen schien.
„Endlich", sagte ich dabei, während ich die Spannung meiner Hand löste und einfach nach rechts abbog, um das Hafengebiet zu erkunden. Das Meer begleitete mich rauschend. Es war einer dieser Tage, an dem es sich nur leicht auftürmte. Einer dieser Tage, an denen der Wind nicht zu stark über die Stege peitschte und damit die Wärme der Sonne kaum beeinträchtigte.
Die Hafenarbeiter gingen fleißig ihrer Arbeit nach. Einige schleppten kleiner Kisten zu den Schiffen, während andere die großen Boxen auf einen Karren hievten. Lächelnd sah ich ihnen zu, wobei ich meine Schritte ein wenig zügelte, um meine Sinne schweifen zu lassen.
Ich hörte den Gesang der Möwen. Wie sie mit ihm von der Freiheit erzählten, nur um auf uns Menschen niederzuschauen. Meine Füße folgten diesem Lied. Es wurde lauter. Es wurde deutlicher. Schon fast wie von selbst trugen mich meine Beine immer weiter, bis ich eine Ansammlung dieser weißen Vögel entdeckte. Und sie entdeckten mich.
Wie aufgescheucht, flogen sie plötzlich los, sodass ein Schleier aus Federn entstand, der mich für kurze Zeit fast orientierungslos machte. Ich kniff meine Augen zu, hielt sogar einen Arm vor mein Gesicht, bis das Spektakel zu Ende war. Die Möwen – sie verschwanden in ihrer Freiheit. Doch als ich es wagte, meine Augen wieder zu öffnen – als mein Blick nun starr zu dem Ort wanderte, den sie verlassen hatten - erkannte ich, dass sie etwas zurückgelassen hatten:
Als wären seine Flügel gebrochen, saß er dort und starrte in eine Zeitung.

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Spin Off - Grenzen vergessen Levi x Reader
RomanceWer sagt, dass das Schicksal immer gleich ablaufen muss? Wer meint zu wissen, wie sich ein Moment auswirken kann, während ein Andere das ganze Leben in sich verschluckt? Wer weiß schon, was das richtige Ende ist und was vielleicht nur ein Traum war...