45. Wieder dabei

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"Was willst du in der Botschaft?"

Gekonnt ignorierte Lina meine Verwirrung und schritt bereits in Richtung Tür voraus, sodass ich ihr mit meinem Blick folgte, bis dieser an dem genannten Gebäude hängen blieb. 

Das vierstöckige Haus wirkte von außen gepflegt. Einige Verzierungen an den Wänden und Fenstern zeigten seine Bedeutung in dieser Stadt, wobei selbst das Schild, welches uns verriet, welche Länder in dieser Botschaft sich die Ehre gaben, aus Gold bestand. Ich biss die Zähne zusammen. Es war nicht schwer zu erkennen, wo der Wiederaufbau mit vollem Elan durchgeführt wurde und wer davon profitierte. Und es war nicht fair. 

"Du solltest dir wenigstens Papiere besorgen! Oder willst du am Ende als Flüchtling notiert irgendwo sterben?" ,rief mir meine Freundin nun zu. Sie war stehen geblieben und wartete auf meine Reaktion. 

"Als wäre das so wichtig..." ,flüsterte ich, doch Lina schüttelte ihren Kopf.

"Wer weiß, was auf Paradies alles passiert... In größter Not könnte der Nachweis deiner Herkunft ein Trumpf oder wenigstens eine Hilfe sein... Ich meine..."
Sie schluckte nun schwerfällig.
"Auch wenn das Schlimmste passiert, erfährt wenigstens dein Vater davon..."

In meiner Brust stach es, als Lina diese Worte aussprach. Ich zögerte kurz, bevor mir ein Seufzen entglitt. Dieser Einwende konnte ich weder anzweifeln, noch widersprechen. Ich konnte noch nicht einmal einen Scherz darüber machen, hatte Lina doch irgendwie Recht.

Die Verhandlungen in Paradies - wer wusste schon, ob die Eldia nicht irgendetwas im Schilde führten? Eine Falle war nicht ausgeschlossen. Ein Plan, starken Einfluss auszuüben, sogar wahrscheinlich, hatte Paradies als Siegesmacht doch nichts zu verlieren.

"In Ordnung..." ,meinte ich, während ich meine Hände ineinanderfaltete. Lina nickte, woraufhin sie eilig das Gebäude betrat. Und ich folgte ihr.

"Willkommen in der Botschaft des Westens" ,rief uns ein gut gekleideter Mann zu. Er trug einen schwarzen Anzug mit Fliege. Ich gab ihm ein Handzeichen zum Gruß, welchen er mit einer Verbeugung erwiderte.

"Immerhin hat sich hier kaum etwas verändert" ,verkündete Lina. Sie geriet langsam und doch merkbar ins Schwärmen, war sie doch schon immer ein Kind ihres Staates. Eine dieser Frauen, die jahrelang den Dienst für ihre Heimat über alles gestelllt  und keine Sekunde gezweifelt hatte. Selbst dann nicht, als wir in dem Moment der Walze erkennen mussten, dass dieses Land Jahrzehnte lang untätig beim Erschaffen einer Tragödie zugesehen hatte. Dass unser Handeln ein Fehler gewesen sein musste. Dass das Unterdrücken eines Volkes niemals die Lösung war, sondern nur ein Weg in die Gewalt. 

"Na ja..." ,sagte ich genervt. Ob zu meinen Gedanken oder zu Linas Anmerkung war mir dabei selbst nicht bewusst.

Und dennoch begleitete ich Lina die Treppe hinauf, um das nächstmögliche Zimmer zu betreten, was sich als typisches Büro entpuppte. Geschmückt mit der Fahne unserer Heimat holte es in mir eine Art Druck hervor.Ich atmete tief ein, als wir die Tür hinter uns schlossen und den Herren am Schreibtisch erwartungsvoll ansahen. 

Graues Haar und einige Falten zeigten uns, dass unser Botschafter bereits die besten Jahre hinter sich hatte. Leicht gebückt saß er über einen Papierstapel gebeugt, den Stempel schwingend, um den geeigneten Platz auf dem Dokument zu finden. Es wirkte zunächst ein wenig komisch, später jedoch ignorant, ließ er uns doch bewusst warten, bis er endlich seinen Monokel richtete und aufschaute. Sein Blick wirkte gelangweilt. 

„Was kann ich für die Damen tun?" ,stöhnte er schon fast.

„Wir sind hier, um uns zu melden!" Linas Stimme wirkte dagegen aufrichtig und voller Elan. Sie war plötzlich genau da angekommen, wo sie anscheint seit Tagen sein wollte. Ihre Wangen rosa. Ihre Augen glänzend. Alles sagte mir auf einmal, dass sie loslegen wollte. Nur womit, dass erkannte ich nicht. Noch nicht - sprach sie es doch in diesem Moment aus:

„Ich melde mich zum Dienst zurück. Lina Dornfeld. Spionage und Informationsbeschaffung."

Meine Augen weiteten sich.

„Wie bitte?" ,fragte ich abrupt, was nun auch unser Gegenüber verwunderte.

„Dornfeld.... Dornfeld...." ,flüsterte der Herr, während er zu einer Schublade griff und ein dickes Buch hervorholte. „Sie waren doch in einer kleinen Gruppe tätig.... Wie war das noch...?"

„Richtig, zusammen mit meiner Kameradin -dN- -dNN-. Spionage in Marley mit Schwerpunkt Militär."

„Und Flucht bei Eintritt der Walze" ,zischte ich vorwurfsvoll.  Mit zusammengekniffenen Augen sah ich kurz zu meiner Freundin, welche sich noch immer nicht stören ließ. „Aber eigentlich bin ich nur hier, da ich Ausweis- und Herkunftspapiere brauche. Können Sie das zeitnah ausstellen?" 

„Ja, ja.... Sie bekommen alles... „ ,winkte er ab, um in einem freundlichen Ton hinzuzufügen: „Ah... hier habe ich es. Mission 285. Kriegs- und Militärspionage. Sie waren einige Jahre nicht tätig. Ihre Dienste waren vorher jedoch zufriedenstellend. Ihr Rang ist erhalten geblieben. Bitte warten sie einen Moment!"

Eilig sprang der Angestellte nun auf und holte aus einem Schrank zwei Kästchen hervor. 

„Das ist wunderbar. Ganz wunderbar" ,sagte er dabei zu sich selbst. Seine schlechte Laune schien wie weggeblasen. 

„Meine Damen. Mit dem Befugnis meines Amtes befördere ich Sie zurück in ihren Dienst und verpflichte Sie zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeiten. Ziel ist es, die aktuelle Lage zwischen Marley und Paradies zu dokumentieren sowie gegen den Fall in die Autokratie oder das Entstehen von Militärstaaten vorzugehen. Hier alles, was sie benötigen."

Mein Mund wurde plötzlich ganz trocken. Verwirrt blickte ich zu Lina, die nur lächelnd die kleinen Holzkisten annahm und nickte, während ich kaum in Stande war, etwas zu sagen.

„Es ist mir eine Ehre. Wir werden es besser machen" ,sagte meine Kameradin dabei, bevor sie ebenfalls zu mir sah. Ihre Augen strahlten mir entgegen. „Oder, -dN-? Wir werden es wieder gut machen!"

Es kribbelte in mir. Wie nicht anders zu erwarten, fand Lina genau die Worte, die mich in meinem Herzen berührten und es war kein Wunder, kannten wir uns doch bereits seit unserer Kindheit. Gemeinsam erwachsen zu werden, verbindet. So wie sie Einfluss auf mich ausübte, tat ich es bei ihr ebenfalls. Immer wieder. Immer und immer wieder - egal ob bewusst oder einfach nur zufällig.

Doch dieser Moment war mehr. Es war fast schon eine Einladung meiner Freundin, einen Schritt zurück in die Vergangenheit zu wagen und das zu tun, wonach ich mich so lange gesehnt hatte: Irgendwie meine Fehler auszubessern. Und ich hoffte, sie nahm diese Chance aus dem gleichen Grund an.

"In Ordnung..." ,flüsterte ich. "Ich mache mit."

"Wunderbar. Ich sende Ihnen in den nächsten Tagen einige Informationen zu. Bitte geben sie mir noch einige Daten, um sie zu erreichen!" , forderte unser Gegenüber, sodass wir einige Kontaktmöglichkeiten notierten, bevor wir die Botschaft verließen. Ich seufzte, als wir hinaustraten und der frische Wind meine Wangen abkühlte. Und ich dachte an ihn. Was sollte ich Levi nun mitteilen? Was? Jetzt, wo ich wieder meinen Dienst annehmen würde?

"Freust du dich denn gar nicht?" ,fragte mich Lina hastig. Ich schüttelte den Kopf.
"Schon... irgendwie... aber ich werde einiges regeln müssen. Meine Aufgabe bei Horst kündigen und... und mit Levi sprechen." Meine Stimme stockte.

"Vergesse nicht, dass du es ihm nicht sagen kannst! Ich weiß ja, wie verliebt du bist, aber da ist nun mal die Grenze" ,erklärte sie, während sie ihre Zigarillos herausholte. "Auch eine?"

Mit einem Handzeichen lehnte ich ab.
"Ich weiß..." ,meinte ich dabei leise.

"Gut. Dann lass uns nach Hause! Ich werde schauen, wie ich ebenfalls nach Paradies mitreisen kann. Die Informationen, die wir dort erlangen können, werden sicherlich äußerst wertvoll sein."
Lina bließ entspannt den Rauch in die kalte Abendluft, welcher wie ein Schleier vor ihr herschwebte, bevor er sich langsam auflöste. Es duftete nach Valillie. Ein Aroma, welches zu ihrem entspannten Lächeln zu passen schien.

"In Ordnung. Ich versuche herauszufinden, mit wem Marley Gespäche plant. Vielleicht können wir uns darauf vorbereiten..." , erwähnte ich. "Aber eines musst du wissen..." ,unterbrach ich meinen Gedankengang selbst. Meine Kameradin blickte mich erwartungsvoll an.

"Ich werde kein falsches Spiel mit ihm spielen."


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt