„... Es war unglaublich. Das Flugzeug hatte bereits Feuer gefangen und doch konnte ich den Flieger über die Titanen bringen. Während sie sprangen, stürzte ich ab. Der Aufprall war heftig. War nur Glück, dass ich das überlebt habe" ,erzählte Onyancopon, während er mit einer Hand die Flugbahn der Maschine in der Luft nachzeichnete.
Ich saß mit Lina auf dem Sofa. Jeder von uns ein Glas Wein in der Hand, lauschten wir unserem Gastgeber, der nun freudig eine zweite Flasche öffnete.
„Als ich aufwachte, war bereits alles vorbei. Sie hatten Eren besiegt und die Walze aufgehalten", fügte er hinzu. Lina räusperte sich.
„Wie bist du überhaupt dazu gekommen, für die Leute von Paradies zu arbeiten? Mit solchen fragwürdigen Gestalten tut man sich doch nicht einfach zusammen..." ,warf sie ein, bevor sie einen Schluck Wein nahm. Ich zuckte zusammen und sah sie fragend an. Obwohl ich Linas Einstellungen kannte, wirkten ihre Worte wie ein Schlag ins Gesicht.
„Lina... Vieles kann ich belächeln, aber solch ein Urteil geht zu weit." Onyancopons Blick wurde plötzlich ernst. „Ich habe viel Zeit mit einigen Menschen aus Paradies verbracht. Viele nenne ich Bekannte. Einige sogar Freunde. Ich habe Menschen in diesem Kampf sterben sehen. Menschen, die sich geopfert haben, um die Walze aufzuhalten, obwohl sie bereits mehr als genug geleistet hatten... Niemand, der nicht auf Paradies war und dessen Volk getroffen hat, kann sich vorstellen, wie sie gefühlt haben müssen... Selbst ich wage nicht zu behaupten, es zu können..." ,erklärte er. Müde wirkend, senkte er nun den Kopf ein wenig und schwieg.
„Und doch wäre das alles nicht passiert, wenn sie nicht als Titanen massenhaft Kriege geführt hätten..." ,seufzte Lina, doch sie wirkte trotz der scharfen Worte entspannter. „Es ist vielleicht nicht fair, Generationen leiden zu lassen, die selbst diese Kriege niemals geführt haben, aber was hätte die Welt denn tun sollen, als sie auf ihre Insel zurückzudrängen? Dass Marley die Eldia dann für seine Zwecke nutzt, hätte ja auch niemand ahnen können..."
„Ja, ein kluger und doch perfider Zug..." ,stimmte Onyancopon zu. Ich nickte. Meine Lippen waren trocken und begannen langsam zu kribbeln, hatte ich sie doch viel zu lange bereits fest zusammengedrückt, um zu verhindern, nur einen Ton von mir zu geben. Denn mein Herz raste, so als würde mich dieses Thema betreffen, obwohl ich selbst viel zu wenig darüber wusste. Also beobachtete ich die kleinen Luftbläschen in meinem Glas, welche sich wie eine dünne Linie nach oben bewegten und versuchte mich damit zu beruhigen. Weiterhin stumm lauschte ich meinen Freunden, die ihre Diskussion ruhig und sachlich weiterführten. Mein Blick wurde schwammig. Ich hörte kaum mehr zu, bis sie von einem Leuten unterbrochen wurden.
„Erwartest du noch wen?" ,fragte Lina sofort, wobei sie auch mich ansah. Onyancopon schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, soweit ich..."
„Levi wollte noch herkommen", unterbracht ich ihn.
„Ach, so ist das... Ich öffne ihm." Grinsend verließ Onyancopon den Salon. Seinen schnellen Schritten folgte das Poltern der Tür. Während ich ein Gespräch zwischen den zwei Männern ausmachen konnte, blickte Lina mich zunächst wartend an, bis sie nun doch nach einer kurzen Weile das Wort ergriff:
„Wer ist Levi?" Ich lächelte.
„Einer der Leute, die mit Onyancopon die Walze aufgehalten hatten und... ein guter Freund von ihm" ,antwortete ich, nicht lügend und trotzdem etwas verschweigend.
Doch Lina war nicht irgendwer. Sie war die Frau, mit der ich meine Kindheit und Jugend geteilt hatte. Diese eine Freundin, die jedes Mädchen haben sollte, um gemeinsam den ersten Liebeskummer oder Herzschmerz zu ertragen. Die eine Freundin, der man am letzten Schultag weinend in den Armen lag. Doch unsere Wege hatten sich auch nach der Ausbildung nicht getrennt. Wir hatten weiterhin die Welt gemeinsam erkundet, waren zusammen erwachsen geworden und hatten so manche Aufgaben gemeinsam gemeistert. Es war also kein Wunder, dass sie mich besser als jede andere kannte. Und das sie mich in dem Moment, als ich seinen Namen sagte, bereits durchschaute.
Warum also wollte ich es ihr nicht sagen, wer er für mich war?
Meine Wangen waren bereits heiß, als ich das Flackern in ihren Augen erkannte.
„Aha..." Das war ihre erste Reaktion auf meine Erklärung, bevor sie meinte: „Dir ist schon bewusst, dass du noch verheiratet bist?" Ich zuckte mit den Schultern.
„Wenn ich könnte, hätte ich es schon längst geändert..." ,sagte ich eher zu mir selbst, doch Lina stimmte überraschend zu.
„Ja, vielleicht hätten wir einiges anders angehen sollen..." ,seufzte sie und leerte ihr Glas, um daraufhin nachzuschenken. Vorsichtig hob sie es an, wobei sie mich leicht anlächelte.
„Was?" ,fragte ich sie, doch ihr Glas stieß bereits gegen das meine.
„Darauf, dass wir es jetzt anders machen..."
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Spin Off - Grenzen vergessen Levi x Reader
RomanceWer sagt, dass das Schicksal immer gleich ablaufen muss? Wer meint zu wissen, wie sich ein Moment auswirken kann, während ein Andere das ganze Leben in sich verschluckt? Wer weiß schon, was das richtige Ende ist und was vielleicht nur ein Traum war...