25. Grenzen vergessen

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Mein Herz schlug durch seine Worte einen Takt, den ich kaum verstehen konnte und dennoch lauschte ich diesem Pochen gebannt, stand ich doch noch immer regungslos da - ihm gegenüber, der auf meine Reaktion geduldig wartete.

Mich ansehend.
Mich durchschauend.
Vielleicht sogar in mich hineinblickend.

„Was soll ich dazu sagen?" ,flüsterte ich vor mich hin, während meine Finger mit dem Stoff meines Mantels spielten. Meine Lippen rieben sich aneinander. Wie ein Kind, welches irgendeine Dummheit angestellt hatte und nun keine Ausrede dafür fand, fühlte ich mich dabei. Und ich? Ich verstand mich selbst nicht mehr, denn hatte er mir mit dieser Aussage nicht genau das gegeben, was ich schon so lange gewollt hatte? Warum also tat ich es nicht einfach? Warum ließ ich mich nicht von meinem Verlangen, welches in mir stürmte, treiben? Ich wusste es nicht, doch irgendetwas hielt mich von ihm fern. Vielleicht ein Zögern aus Verlegenheit. Wahrscheinlich sogar Angst, ein weiteres Mal von ihm zurückgewiesen zu werden.

Also sah ich nur immer wieder kurz zu ihm, um zu bemerken, dass seine Lippen zu einem leichten Lächeln geformt waren. Kaum erkennbar und doch war es da, sodass der Takt in meiner Brust nur noch lauter wurde.

Ein leises Grollen ertönte in der Ferne. Es wirkte so weit weg, fast schon unbedeutend, doch Levi's Blick schweifte Richtung Stadt, bevor mir sein Seufzen offenbarte, dass etwas nicht stimmte.

„Wir sollten los! Dahinten braut sich etwas zusammen" ,meinte er nun. Sein Lächeln fort, wirkte er auf einmal wie aus dem Moment herausgerissen. Ich räusperte mich, als er bereits einige Schritte ging, um wie angekündigt den Steg zu verlassen. Mir wurde kalt.

„Levi, ich..."

Es war meine Hand, die plötzlich nach ihm griff. Fast schon zu fest packte ich ihn an den Arm, so als wollte ich verhindern, dass er mir entschwand. Ich spürte den weichen Stoff seines Jacketts, darunter seine festen Muskeln und doch drückten sich meine Finger noch stärker in sein Fleisch. Ein Lichtblitz verriet mir, was er gemeint hatte. Doch ich sah nicht auf. Ich sah nicht von ihm weg. Nicht jetzt, in dem Augenblick, in welchem ich ihn nicht gehen lassen wollte.

Levi blickte mich fragend an - nur ganz kurz - bis er erkannte, was in mir vorging.

„Keine Sorge, ich kann warten, -dN-..." ,beruhigte er mich, wobei er seine Hand auf meine legte. Sie wirkte kühl auf meiner erhitzten Haut so wie eine Schneeflocke, die leise auf mir niederging. Erst kalt, dann warm und am Ende schmerzend, nachdem sie längst verschwunden wäre. Ich schluckte schwerfällig. Würde Levi nun einfach gehen, würde ich mein Zögern bereuen. Und eigentlich tat ich es bereits jetzt, als der Himmel nun plötzlich über uns einstürzte.

Ich blickte hinauf, den Tropfen entgegen. Einem nach dem anderen. Ihnen, die auf uns niederfielen. Ihnen, die auf uns ihre Zeichnung hinterließen, so wie es das Leben in mir und ihm getan hatte.

Levi. 

Seine Augen ließen mich nicht los, auch wenn seine Hand dies längst getan hatte. Sein Jackett zuhaltend, stand er nun dort, sich auf seinen Stock stützend. Die ersten Tropfen bahnten sich ihren Weg durch sein Haar, welches nun schwerer in sein Gesicht fiel, bis er mit den Fingern hindurchfuhr, nur um es für einen kurzen Moment von der Nässe zu befreien. 

„Scheiße...", flüsterte er, doch ich lächelte, denn ich genoss es: Das Trommeln des Regens auf dem Steg, die Nässe, die sich langsam durch unsere Kleidung hindurchkämpfte und den Einblick, den sie mir dadurch auf seinen Oberkörper schenkte, auch wenn er langsam sichtlich genervt schien. Es brachte mich zum Grinsen.

„Wenn wir hier so weiter dumm rumstehen..."

„Ja, ich weiß. Rechts runter ist ein Pavillon" ,unterbrach ich hin, bevor ich langsam vorging und in die beschriebene Richtung zeigte.
„Lauf ruhig schon vor..." ,meinte Levi nun. Er folgte mir, wenn auch schneller als sonst, doch gehend, sodass ich ihn längst hinter mich lassen konnte, wenn ich nur gewollt hätte.
"Komm! Es ist nicht mehr weit."
Doch genau das wollte ich nicht. Jeden Schritt, den ich zu weit vorging, lief ich wieder zurück. Immer wieder korrigierte ich meine Geschwindigkeit, bis wir endlich gemeinsam an unserem Unterschlupf ankamen.

"Scheiße..." ,stöhnte er ein weiteres Mal, wobei er sich an einer der Säulen anlehnte und mit einer Hand begann, sein Jakett auszufringen, um es nach kurzer Zeit wieder aufzugeben. "Das ist vollkommen durchnässt."
Seinen Stock auf den Boden fallenlassend, zog er sich die Jacke aus, nur um mich daraufhin anzusehen und zu erkennen, dass ich ihn beobachtete. Ich lächelte verlegen.
"Vielleicht sollten wir nach Hause, sobald der Regen aufhört..." ,seufzte ich dabei, denn auch ich bemerkte so langsam die Kälte, die sich auf meiner nassen Haut ablegte.
"Ja..."

Wir blickten zum Regen, der noch immer keinen Anschein machte, aufzuhören.
"Das kann wohl dauern..." ,kommentierte Levi unsere Situation. Ich nickte.
"Wir hätten wohl gleich losrennen sollen... Irgendwie dachte ich, es würde nur kurz regnen" ,meinte ich.
"Du brauchst dich nicht rechtfertigen."

"Mmh..." Ich sah mich kurz um, während ich langsam auf Levi zuging, um ihm seinen Stock aufzuheben.
"Ich könnte auch zu einem Taxi rennen und es herschicken" ,schlug ich vor. Doch Levi schüttelte den Kopf, seinen Stock annehmend.
"So schlimm ist es nicht. Ich kann warten, das habe ich doch schon gesagt."
Meine Augen weiteten sich.
"Ich dachte, du hast was anderes gemeint..." ,warf ich ein, wobei meine Wangen warm wurden. Einen letzten Schritt auf ihn zugehend, wartete ich seine kaum vorhandene Reaktion ab, bevor ich fragte:
"Würdest du mich wieder abweisen?"

Ein kurzes Flackern - das war es, was ich in seinem noch sehenden Auge erkennen konnte. Ein kurzes Aufleuchten, welches wie ein Blitz sofort wieder in der Dunkelheit verschwand. Doch mehr brauchte es als Antwort nicht. Mehr hatte ich in diesem Moment nicht nötig, um meine Zweifel abzuschütteln und den letzten Schritt zu wagen. Diesen einen Schritt, der uns die Grenzen unserer Welten vergessen ließ.









Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt