17. Flügel

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„Bin ich gar nicht..." , schnaubte ich heraus, bevor ich mich abwandte.

Mit zusammengepressten Lippen betrat ich das Treppenhaus, dessen Wände sowie Boden mit dunklem Holz verkleidetet war. Alles wirkte ein wenig alt, aber nicht ungepflegt und dennoch offenbarte mir das Knatschen des Pakets den Zustand des Gebäudes.

Ein paar Schritte in das Haus hineinwagend, sah ich mich um. Zunächst entdeckte ich die steile Treppe rechts von mir, doch dann blieb ich ein wenig desorientiert stehen, konnte ich mir doch nicht vorstellen, dort hinaufzumüssen.
„Um die Ecke zur Tür" ,bekam ich als Anweisung. Dieser folgend, ging ich ein Stück weiter. Die besagte Tür, welche ebenfalls aus dunklem Holz bestand, so als wollte sie unentdeckt bleiben, befand sich hinter der Treppe.
„Dort?" ,fragte ich und zeigte nach vorn.

Ich blickte zurück – nur ganz kurz – und bekam Gänsehaut, hatte ich es doch noch nie zuvor gesehen: Wie Levi stand, mit beiden Händen auf seinen Stock gestützt, bis er einige Schritte wagte. Sein Blick war nach unten gerichtet - fast schon schüchtern wirkte er dadurch –ließ er den Rollstuhl selbstbewusst hinter sich.

"Wohl noch nie einen Krüppel gesehen, was?" ,zischte Levi plötzlich. Er sah auf, stach dabei mit seinem Blick auf mich ein, sodass ich zusammenzuckte.

"Nein... Deswegen schaue ich nicht... Es ist nur... Ich habe nicht gewusst, dass ihr noch gehen könnt" , stotterte ich heraus, doch Levi schüttelte nur den Kopf.

"So kann man das nicht mehr nennen..." ,seufzte er, während er an mir vorbeiging.

An den Türrahmen gelehnt, wandte er sich dem nächsten Schloss zu. Ich beobachtete ihn, sagte zunächst nichts, drückte ich meinen Mund doch so fest es ging zusammen, um zu schweigen. Und trotzdem - diese Frage platzte aus mir heraus und offenbarte meine Neugierde, meine Wissbegierigkeit und vielleicht sogar mein Verlangen, mehr über ihn zu erfahren – über diese Person, die auf eine ganz besondere Weise, meine Augen an sich zu fesseln vermochte.

"Wie ist es passiert?"

Der Schlüssel steckte bereits, als Levi sich nun umdrehte und mich kurz verwundert ansah, bevor er sich wieder abwandte. Als wäre ich nicht mehr mit ihm in einem Raum, sah er nur auf die Tür und sagte leise: "Ich hatte versucht ein Versprechen einzuhalten."

Diese Worte - sie wirkten wehmütig und schwer. Die Last, die sie dabei in sich verbargen, ließ mich nach Luft schnappen, und obwohl ich nicht erahnen konnte, was dieses Versprechen für ihn bedeutete, fühlte ich, dass es nichts war, was ich erfragen durfte. Denn es gehörte nur ihm, ihm allein und demjenigen, dem er es gegeben hatte.

"Habt ihr es halten können?" ,flüsterte ich nun fast, denn jeder Laut in diesem Haus schien auf einmal wie ein Glockenschlag die Wände beinah zum Einstürzen zu bringen. Ich starrte in diesem Moment auf ihn, diesen Mann, der nun noch zarter als sonst wirkte. Die Tür langsam öffnend, nickte er, doch er sagte nichts. Er blieb einfach stumm und ließ die Stille zwischen uns niedergehen.

Ganz langsam und es stach in mir.

Es brannte sogar in meinem Kopf, als ich erkannte, wie sehr er plötzlich in seinen Gedanken versank - förmlich in ihnen unterging und zu erstickten drohte. Also redete ich einfach weiter. Ich sagte einfach das, was mir als Erstes in den Sinn kam. Etwas, was die Stille brach und vielleicht sogar ganz nett war. Ein einfacher Satz, der ihm zeigte, dass ich sein Handeln für wichtig erachtete. Ein paar Worte. Nur ein paar Worte.

"Dann werdet ihr es wohl nicht bereut haben..."

Levi drehte sich ruckartig zu mir. Seine Augen geweitet, das Blau in ihnen so klar wie ein wolkenloser Himmel am Morgen. Ich seufzte innerlich, doch wagte ich es nicht zu atmen, als sich unsere Blicke trafen. Ihn nur anschauend, erkannte ich in ihnen seinen Schmerz. Er lag so tief in ihm, so verborgen, und dennoch war er dort. Nicht verdrängt und nicht vergessen.

"Nein, ich bereue es nicht", sagte er nun. Seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig, wobei er sich mir wieder verschloss, indem er in seine Wohnung sah.

"Dort ist das Bad. In der untersten Schublade der Kommode findet ihr alles, was ihr braucht" ,wechselte er das Thema und zeigte dabei nach vorn.

Ich nickte und betrat seine Wohnung zunächst blinzelnd, denn das Weiß der Wände leuchtete förmlich im einfallenden Sonnenlicht. Nur flüchtig wagte ich dabei mich umzuschauen, bevor ich ins Badezimmer ging. Auch dieses war weiß gehalten, sauber und aufgeräumt,so als wäre es seit langem nicht mehr genutzt worden.

Wie von Levi beschrieben, fand ich Verbandsmaterial in einer Schublade und begann das Prozedere. Wunde säubern und desinfizieren ging mir dabei noch schnell von der Hand, doch das Nähen des Risses, der sich von der Stirn bis hin zur Schläfe zog, forderte meine volle Konzentration. Immerhin hatte ich noch nie etwas an mir selbst behandeln müssen und auch die letzte Wundversorgung be ieinem Kameraden hatte ich in Ausbildungszeiten durchgeführt. Die Erinnerungen daran waren eher schwammig.

„Au..." ,schimpfte ich, als ich in meine Haut einstach. Ich verzog das Gesicht und biss mir auf die Lippe. „So ein Mist."

Eilig setzte ich einen Stich nach dem anderen, nur um es schnellstmöglich hinter mich zu bringen, wobei ich immer wieder fluchte. Ich zog ein letztes Mal den Faden durch meine Haut, schnitt ihn daraufhin ab und knotete die Enden zusammen. Es wirkte nicht gerade gekonnt, aber es hielt und ich war erleichtert.
„Hat er irgendwo Tape..." ,fragte ich mich selbst. Während ich das Verbandsmaterial wegräumte, begann ich weitere Schubladen zu öffnen. Schnell zog ich sie dabei auf, nur um sie so leise wie möglich wieder zu schließen, hatte ich doch ein wenig das Gefühl herumzuschnüffeln.
„Handtücher... Mmmh... Auch nicht. Und hier?"

Eine kleines Holzkästchen entdeckend, zögerte ich kurz, bevor ich dennoch den Deckel abnahm und hineinschaute. Meine Augen weiteten sich. Sogar mein Atem blieb kurz fort, bevor ich sie mit meinen Fingern nachzeichnete: Die Flügel ,die mir nun auf dem Abzeichen entgegenleuchteten. Wie in meinem Traum schmückten sie ein Wappen und zeigten dabei Levis Zugehörigkeit zu jenen, die gegen die Titanen kämpften.
„Also gibt es sie wirklich..." ,seufzte ich, wobei ich tief einatmete, um es mir ein weiteres mal zuzuflüstern: „Es gibt sie wirklich."


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt