46. Sehnsuchtsvolle Nacht

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Ich konnte nicht schlafen.

Schon seit Stunden lag ich wach in meinem Bett. Die Decke anstarrend und in Gedanken vertieft.

Die neue Mission. Diese neue Rolle, die ich nun einnehmen würde. Meine Gefühle dazu. Alles war ein wirres Durcheinander.

Ich dachte an meine frühere Zeit in Marley, an meine Erfolge und meine Fehler. Ich sah die Menschen vor mir, denen ich geholfen hatte und jene, welche ich enttäuscht oder gar zum Sterben zurückgelassen hatte. Und ich hörte ihre Stimmen. Ihre Rufe. Ihre Schreie.

Dieser Schmerz - er war der Grund, warum ich Linas Idee nicht abgeschlagen hatte. Er hatte mich dazu getrieben, diese Chance anzunehmen, nur um diesen Versuch zu wagen, endlich meiner Reue zu entkommen. Endlich mit mir im Reinen zu sein. Endlich ich zu sein. Doch da war etwas, was mich seit dem Moment meiner Zustimmung zweifeln ließ. Es war ein Wort, welches sich in meinen Kopf bohrte und mir keine Ruhe ließ, bis ich energisch aufstand, um am Fenster in die Nacht hinauszublicken.

Es war Verrat.

Selbst während mein Blick in der Dunkelheit  umherschweifte, rauschte diese Erkenntnis in meinem Ohr und ließ mich an ihn denken. Meine Augen brannten, wenn ich mir seinen enttäuschten Blick vorstellte. Meine Lippen bebten, wenn ich daran dachte, dass er bei meinem Geständnis mit seinem Rollstuhl schweigend abdrehen würde, um mich hinter sich zu lassen. Und um niemals zu mir zurückzukehren. 

Ich schnappte nach Luft, so wie ich nach einer Antwort rang. Eine Antwort für eine Frage, die ich eigentlich nicht stellen wollte. Die ich mir nicht eingestehen wollte, wusste ich doch, dass bereits alles entschieden war. Dass ich mich gegen ihn entschieden hatte - jetzt, wo ich die Chance hatte, mich reinzuwaschen. 

Selbst Levi gab ich dafür auf. 

„Was soll's" ,flüsterte ich mir selbst zu, wobei ich mit meinem Zeigefinger über das Glas strich. Der Mond anscheint von den Wolken umhüllt und die letzten Laternen erloschen, war kaum ein Licht auszumachen und doch schien von dem Fenster ein leichter Glanz auszugehen. So wie von ihm, der trotz seiner inneren Dunkelheit für mich wie ein Feuer gewesen war. Mich weisend und wärmend, bis ich manchmal zu glühen begann. Ich biss die Zähne zusammen und seufzte.

Mir war kalt. 

Mit meinen Händen rieb ich meine Arme, doch mein Zittern hörte nicht auf, wollte diese Kälte mich anscheinend nicht loslassen. So lange nicht, bis ich mich anzog und es endlich einsah: Heute Nacht würde ich nicht allein sein können. Meine Sorgen nicht ohne ihn ertragen können. 

Nicht ohne ihn - es fühlte sich so falsch an und dennoch lief ich los. In die Nacht hinein, die mich zu verschlucken drohte. Durch die Dunkelheit hindurch, welche mich festzuhalten versuchte. Der Angst trotzend, die mich zerreißen wollte. Nur mit einem Schlüssel in der Hand, den ich wie einen Schatz in meinen Händen hielt, bis ich endlich vor seinem Haus stand. 

Meine Hände zitterten, als ich den Schlüssel in das Schloss hineinschob. Es klierte leise, bis ich ihn endlich drehte und eintrat. Leise schlich ich durch den Flur, meinem Herzschlag lauschend, bis ich Levi's Wohnung betrat und mit Staunen feststellte, dass bei ihm noch Licht brannte. 

„Levi?" ,flüsterte ich, als er bereits an einem Türrahmen gelehnt um die Ecke sah. Seine Augen wirkten skeptisch.

„Irgendwas vorgefallen, dass du dich um die Uhrzeit noch rumtreibst?" ,fragte er dabei. Ich schüttelte nur den Kopf. 

„Ich konnte nicht schlafen..."

Levis Blick ausweichend, strich ich mir durch das Haar, bevor ich leise die Tür hinter mir schloss. Mein Herz raste.

„Was ist los?" 

Seine Stimme klang ruhig und doch hörte ich in ihr Zweifel. Ich presste meine Lippen zusammen, als ich aufsah. Als ich erkannte, dass er bereits vor mir stand - sich mit einer Hand an der Tür abstützend, an welcher ich lehnte, so als wollten wir beide diese nie wieder öffnen. So als planten wir gemeinsam, die Wahrheit für immer auszusperren - gar zu vergessen - nur um ohne Reue einander erleben zu können.

Und ich küsste ihn, damit das Schweigen blieb. Ich griff nach ihm, damit wir diese Lüge ein letztes Mal genießen konnten. Diese eine Nacht in der die Kälte mich vorantrieb. 

Fast schon vorwurfsvoll stöhnte er, als meine Finger bereits seine Muskeln ertasteten. Er sah mir zu, wie ich sein Hemd öffnete. Er beobachtete mich, als meine Lippen seine Haut probierten, bis er sich ein wenig wegdrückte. Erst jetzt erkannte ich, dass seine Wangen leicht gerötet waren. 

„Bist du nur deswegen hergekommen?" ,seufzte er, während er behutsam nach meiner Hand griff. Ich musste schmunzeln. 

„Vielleicht..." 

„Dann komm wenigstens rein und steh nicht nur im Flur rum..." ,zischte er, bevor er mich ein wenig hinter sich herzog, um mich ins Wohnzimmer zu begleiten.




Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt