10. Schicksal erahnen

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Die Musik wurde lauter. Die Gespräche immer leiser und intimer. Auch ich hatte nun einiges an Wein getrunken – Onyancopon hatte mir zum Ende hin immer wieder eingeschenkt - sodass ich ein wenig müde an einer Wand lehnte.

Meine Gesprächspartnerin war fort. Schüchtern hatte sie sich mit Falko auf einer Couch zurückgezogen. Die Beiden hielten Händchen und lächelten einander immer wieder zu. Es erwärmte mein Herz, ihnen dabei zuzusehen, waren sie doch noch so jung und unerfahren, in dem was sie dort gemeinsam erkundeten. Doch obwohl ich mehr darüber zu wissen schien: Im Gegensatz zu ihnen lebte ich in einer Beziehung, die nichts mit dem, was sich Liebe nennt, zutun hatte.

Ein Seufzen entglitt mir. Hatte ich bereits so viel getrunken, dass nun die depressive Phase begann? Ich hasste es, es immer wieder zu verpassen, rechtzeitig mit dem Alkohol aufzuhören, bevor die Finsternis nach mir griff, um mich in die Tiefen meines Seins zu zerren. Und ich hasste es, nie etwas dagegen tun zu können.

„Eure Stimmung ist ja kaum auszuhalten..."
Eine mir bekannte Stimme unterbrach mich in meinem Selbstmitleid, als würde sie nach mir greifen, um mich aus der Dunkelheit herauszuziehen. Ich sah zu ihm herunter, erkannte seine Skepsis in den Augen und musste bereits lächeln. Hatte ich meinen Weg zu ihm noch immer nicht gewagt, saß er nun in seinem Rollstuhl neben mir, während er mich musterte.
„Ihr seid noch hier..." , warf ich einfach ein. Langsam ließ ich mich mit meinem Rücken an der Wand herunterrutschen, bis ich auf dem kalten Boden saß. Mein Glas Wein immer noch in der Hand, schaute ich zu Levi auf. Er schlug ein Bein über das andere.
„Wie ihr... Doch im Gegensatz zu euch, warte ich auf die, die mich den Berg raufschieben..." ,erklärte er spöttisch, bevor er kurz zu Gabi und Falko herübersah.
„Das könnt ihr doch sicherlich auch allein."
„Vielleicht."

Mich überkam ein Grinsen. Ob durch seine Äußerung oder den Alkohol, der meinen Körper erhitzte, konnte ich schon lange nicht mehr abschätzen, doch mein Herz klopfte wie wild. Es kribbelte in meiner Brust, kitzelte sogar in den Fingern, die dabei bereits ein wenig taub wirkten.

„Ihr tut so, als hätte ich es gestern nicht gesehen" ,meinte ich.
Konzentriert sah ich Levi an. Sein weißes Hemd wirkte im flackernden Licht der Kerzen leicht rötlich. Die Falten warfen verspielt ihre Schatten auf seinen Körper, der durch die Enge des Stoffes einmal mehr betont wurde. Ich mochte es, zeigte es doch, wie schlank er war – so ganz anders, als ich es von Werner kannte.

Levi seufzte nun leise.
„Und Onyancopon hat wahrscheinlich wieder zu viel geredet..."
„Nicht wirklich. Er hat mir gesagt, ich solle euch selbst fragen" ,korrigierte ich ihn.

Die Beine an mich ziehend, sodass ich diese umarmen konnte, erwiderte ich ihn: Diesen geschärften Blick, den er mir nun zuwarf, als wollte er erkennen, ob ich die Wahrheit sagte.
„Um ehrlich zu sein, war ich selten so überrascht über ein Eingreifen wie gestern. Ich hatte euch noch nicht einmal kommen sehen..." ,erklärte ich.
„Dann seid ihr wohl aus der Form."
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Als wäre das der Grund" , flüsterte ich mir selbst zu und sah zum Boden. Das Zimmer begann sich zu drehen – nur ganz leicht. Ich presste meine Lippen zusammen, klammerte mich noch stärker an meine Beine, um für einen kurzen Augenblick innezuhalten.

„Ah, -dN-, Levi... ihr seid ja auch noch hier... ja, super..."
Onyancopons laute Worte wirkte wie ein Wachrütteln. Ich schaute erschrocken auf und enddeckte sein Auf-uns-zu-Wanken. Er hatte definitiv zu viel getrunken, das erkannte ich an seiner Körperhaltung, die nun etwas schlaf wirkte.
„Ja, super..." , wiederholte Levi in einem ironisch Tonfall. Er wirkte leicht genervt von dem Zustand unseres Freundes, vielleicht sogar von der gesamten Situation.

„Was hast du morgen vor, -dN-?" ,fragte Onyancopon nun. Während ich aufstand, stellte er sich bereits zu mir, damit er alsbald seinen Arm um mich legen konnte.
„Ich weiß nicht...?" , meinte ich etwas angestrengt.
„Wir könnten uns wieder im Café treffen. Levi kommt doch sicher auch, oder nicht?" Onyancopon grinste.
„Du solltest eher ihren Gatten einladen. Ich werde morgen die Knirpse abholen. Pass auf, dass sie dir nicht alles vollkotzen!"
Indem Levi nun abdrehte, um die Feier zu verlassen, brach er unser Gespräch förmlich ab. Ich presste meine Lippen zusammen. Ein Schmerz begann in meiner Brust zu pochen. Er drückte sich durch meinen Körper, wobei ich Gänsehaut bekam. Warum hatte er Werner bloß erwähnt? Warum jetzt? Und warum überhaupt?

„Was, -dN-? Seit wann das denn?" ,rief Onyancopon aus. Doch sein Rufen – ich nahm es kaum mehr wahr. Ich sah nur ihn. Wie er wieder davonfuhr, ohne zurückzuschauen. Wie er mich wieder zurücklies, obwohl ich mir das Gegenteil wünschte. Ich ballte meine Fäuste. Ich wollte das nicht. Jetzt noch weniger als vor einen paar Tagen.

„Erzähle ich dir alles später" ,wimmelte ich Onyancopon bemüht ab. Weder hatte ich die Lust noch die Geduld nun über Werner zu reden, hatte ich doch das Gefühl jetzt in diesem Moment mein Schicksal in die Hand nehmen zu können. Endlich und nach so langer Zeit. Doch dass ich mich so getäuscht hatte, dass diese Bestimmung weder von mir noch von irgendwem anderes herbeigeführt wurde, sondern uns wie das Meer mit sich hinfort riss, ohne dabei jemandem die Wahl zu lassen, hatte ich nicht erahnen können.

Zumindest nicht in diesem Augenblick, als ich Levi in dieser Nacht nachlief.


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt