5. Onyancopons Bekannten

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Es war ein gut besuchtes Café, in welches mich Onyancopon gezerrt hatte. Ziemlich mittig in der Stadt gelegen, schien es zur Zeit einer dieser Trendlokale zu sein – immerhin hatten wir es bereits jetzt am frühen Morgen nicht leicht einen vernünftigen Platz zu bekommen.

„Ich erwarte nachher noch jemanden" ,hatte Onyancopon dem erklärt, um uns einen großen Tisch an einem der Fenster zu beschaffen. Ich lächelte, als wir uns setzten.
„Ah, jetzt können wir uns unterhalten" ,warf er ein, wobei er noch hinzufügte: „Du musst hier unbedingt den Milchkaffee probieren. Der ist phantastisch."
„Dann nehme ich den."
„Wunderbar. Ich bestelle für uns."

Onyancopon winkte eine Bedienung herbei. Geschwind nahm diese unsere Bestellung auf, welche nicht lange auf sich Warten ließ, sodass ich nach kurzer Zeit zufrieden an meiner Tasse nippte. Mein alter Bekannter hatte Recht behalten: Der Kaffee war aromatisch das Beste, was ich seit langem getrunken hatte.

„Und -dN-, wie ist es dir ergangen?"
Auch Onyancopon hielt seine dampfende Tasse nun entspannt fest. Seine Hände um das Porzellan gefaltet, sah er mich konzentriert an.
„Eigentlich ganz gut. Lina und ich konnten rechtzeitig vor der Katastrophe fliehen, seitdem sind wir wieder in der Heimat" ,erklärte ich.
„Also habt ihr sie gesehen?"
„Was?"
„Die Walze."
Ich nickte.
„Ja, von weitem..."
„Unglaublich, nicht wahr? Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass es so erschreckend sein kann" ,meinte er, während er seine Tasse abstellte. Es klirrte laut. „Noch unglaublicher, dass einige wenige Soldaten die Walze aufhalten konnten. Ich war mit dabei und habe es gesehen: Wie sie aus dem Flugzeug sprangen und kämpften."

Meine Augen weiteten sich bei dieser Aussage. Nie hatte ich es für möglich gehalten, dass Onyancopon sich einer solchen Gefahr stellen würde. Noch weniger hatte ich damit gerechnet, dass ich meinen alten Freund so sehr unterschätzen konnte.

Wie damals, als wir Verbündete waren, blickte er mir nun ernst in die Augen, um zu erkennen, dass ich Interesse an dieser Geschichte hatte.
„Ja, ich habe mit ihnen zusammengearbeitet, -dN-" ,ergriff er das Wort. „Am Ende war nur noch eine Handvoll Soldaten übrig, die sich Eren stellen konnten. Sie alle sind Eldia und haben ihr Land verraten, um die Menschheit zu retten."
„Klingen wie wahre Helden..." ,seufzte ich.
„Das kann man wohl sagen. Doch wie du weißt, ist der Konflikt noch immer nicht vorbei. Paradies ist der Welt immer noch feindlich gesinnt. Das stellt niemanden zufrieden, auch mich nicht."

Ich nickte kurz, als Onyancopon einen großen Schluck von seinem Kaffee nahm, um währenddessen zur Tür des Lokales zu sehen.
„Ah, da sind sie" ,rief er plötzlich aus, sodass ich mich beinah verschluckte.

Mit meinem Blick folgte ich dem seinen, indem ich mich ein wenig drehte, um zunächst etwas verwirrt nach dem zu suchen, was er bereits mit seinen Augen fixierte. Ein Kellner schritt geschwind durch das Café. Er versperrte mir zunächst die Sicht. Doch es dauerte nur einen kurzen Augenblick, bis ich an ihn vorbeispähen konnte, sodass mein Herz plötzlich seinen Takt verlor.

War es Freude oder Angst, die auf einmal durch meine Venen pulsierten, als ich ihn in seinem Rollstuhl entdeckte – geschoben von einer jungen Frau, die in Begleitung eines gleichaltrigen Mannes war. Ich wusste es nicht, doch ich drehte mich schnellstmöglich wieder um und starrte zu Onyancopon, der mich anlächelte.

„Richtig, die Drei gehören auch zu den Eldia, von denen ich dir erzählt habe" ,sagte dieser, der meinen Gesichtsausdruck vollkommen falsch interpretierte.
„Toll..." ,stöhnte ich in meine Tasse hinein. Meine Hände wurden feucht. Wie gern hätte ich mich in diesem Moment einfach hinter diesem schönen Porzellan, welches sie hielten, verkrochen, nur um das unangenehme Klopfen in meiner Brust verstummen zu lassen? Wahrscheinlich viel zu gern, doch die Realität ließ mir keinen Ausweg, saß ich doch hier fest wie ein Vogel im Käfig.

„Hallo Onyancopon."
Es war zunächst die junge Frau, die ihren früheren Verbündeten freundlich grüßte. Ihre Stimme schien dabei einen kleinen Sprung zu machen, sodass ich recht schnell erkennen konnte, wie sehr sie sich freute.
„Gabi, schön dich zu sehen. Levi. Falko."
Auch Onynacopon klang weiterhin entspannt und bei bester Laune. Ich schielte zu ihm herüber, während ich mein Gesicht leicht zum Fenster gedreht hielt. Meine Nackenmuskeln verkrampften bereits.

„Das ist übrigens -dN-. Sie hat hier in Marley vor der Walze mit mir zusammengearbeitet" , meinte mein alter Bekannter sofort. Ja, er war eben ein sehr höflicher Mann, der keine Sekunde warten würde, eine Dame vorzustellen. So sehr ich dies sonst an ihm schätze, so sehr hasste ich es in diesem Moment, zwang er mich doch nun die Initiative zu ergreifen.

An meinem Finger fummelnd, drehte ich mich leicht zu den Fremden um, wobei ich mich an die beiden jungen Personen wandte.
„Schön euch kennenzulernen" ,meinte ich dabei schon fast überfreundlich. Immerhin versuchte ich diese blöde Situation zu überspielen und hoffte einfach nur, dass mich der Typ von gestern nicht erkannte. Doch diese Hoffnung – sie platze wie eine Seifenblase, löste sich förmlich auf, indem sie durch seine Worte hinfort geweht wurde.

„Ach, die Frau von dem überaus großzügigen Schnösel..." ,zischte er. Ich zuckte zusammen. Unsere Blicke trafen sich – nur ganz kurz. Während ich nach irgendeiner Antwort in meinem Kopf suchte, sah er genervt zu mir, bevor sich der junge Mann an ihn wandte und sich damit seiner Aufmerksamkeit bediente:
„Levi, für dich ebenfalls Kräutertee?"
„Ja, Falko. Danke."

Mit gesenktem Blick drehte er seinen Rollstuhl ein wenig zurecht, sodass er einigermaßen am Tisch saß. Sein Haar fiel ihm dabei ins Gesicht. Es warf Schatten, schien mit dem Licht zu spielen, so als wollte es mich zwingen ihn anzusehen. Und genau dies tat ich. Ganz gebannt und eingesogen in dem Tiefschwarz, welches mich an den Nachthimmel erinnerte.

„Was haben sie denn hier in Marley gemacht?" ,riss mich Gabi aus den Gedanken. Gleichzeitig setzte sie sich neben mich, wobei sie mich eindringlich ansah. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie noch recht jung schien – nicht älter als achtzehn – und trotzdem einer dieser Soldaten sein sollte, welche sich gegen die Walze gestellt hatten. Ich schluckte schwerfällig, bevor ich meinte:
„Ich war für meine Regierung als Informantin eingesetzt."
„-dN- hat auch der Anti-Marley-Bewegung einige Daten übermittelt und über die Zustände der Eldia berichtet" ,mischte sich Oyancopon ein.
„Die Eldia waren aber nicht mein Hauptaugenmerk. Die meisten Informationen musste ich über das Militär von Marley sammeln. Über den Waffendepot und die Titanen..." , korrigierte ich ihn, während ich meine Tasse erneut griff.

Ich dachte an meine Flucht. An den Moment, der mir offenbart hatte, wie feige ich in Wirklichkeit war und wie wenig ich das Glück meines Überlebens verdient hatte. Schaute ich nun in die Augen dieser Frau, die mir gegenübersaß, schmerzte diese Erinnerung, hatte ich doch in ihrem Alter immer daran geglaubt einen Unterschied im Schicksal dieser Welt machen zu können.

Doch ich hatte mich getäuscht.

Ich war nichts mehr als ein Jedermann. Einer dieser Leute, die geboren wurden, um vergessen zu werden. Eine derer, die genauso gut von der Walze hätten zertrampelt werden können, ohne dass es dieser Welt geschadet hätte.

Mein Mund wurde staubtrocken bei diesen Gedanken, sodass ich den letzten Schluck meines Kaffees nahm, um mit ihm meine Zweifel hinfortzuspülen. Doch wie immer sollte mir dies nicht gelingen. Wie immer blieben sie an mir kleben und ließen mein Herz rasen.


Spin Off - Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt