Kapitel 3.1 - Traum und Erinnerung

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Fynch

Unruhig drehte ich noch Mal um, um zum zehnten Mal die unsichtbare Linie am Boden abzulaufen. Fünfzehn Schritte, dann umdrehen und die fünfzehn Schritte zurücklaufen. Dies tat ich immer wieder, seit fast einer halben Stunde. Keine besonders lange Zeit, aber für mich fühlte es sich schon seit Stunden an. Vor fast einer Stunde hatte sich unsere Gruppe aufgeteilt und nun war ich seit einer halben Stunde am Treffpunkt und wartete und auf unsere fehlenden Freunde.

Hier am Beginn des Wäldchens, hatte sich neben der Umgebung auch die Atmosphäre verändert. Aus den Tiefen des Waldes vernahm man das nächtliche Konzert der Waldtiere, ab und zu vermischte sich das Brüllen zweier Cuarocs dazu, wenn sie gegenseitig um ein Stück Revier kämpften. Besonders groß war der Wald nicht und dennoch steckte in ihm viel mehr Leben als in der Grauwüste. Und wenn das hier von Geräuschen her schon wie ein Urwald wirkte, wie würde es erst ein oder zwei Wochen später in der Baumsavanne sein?

Falls sie uns Schutz gewähren...

Mit einem genervten Seufzen blieb ich endlich stehen. ,,Wo bleiben die denn? Zumindest Caitlain müsste längst hier sein, sie ist immer pünktlich!"

Als ich von hinten kein Wort vernahm, drehte ich mich abwartend herum. Mikhael saß nur wenige Meter von mir entfernt auf dem Boden und lehnte mit dem Rücken gegen einen der Bäume. Er schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein, so wie er mit trüben Blick ins Leere starrte und dabei über Ares's glänzenden Rückenpanzer strich. Bei meinen letzten Worten schon hatte er eine leise, geistesabwesende Zustimmung gemurmelt, aber auch jetzt schien er keine Lust zu haben meinen Worten überhaupt Aufmerksamkeit zu schenken.

,,Mik?"

Murmelnde Worte kamen aus Mikhaels Mund und dazu ein Nicken. Kein Blickkontakt, keine aufmerksame Körperhaltung – zustimmen ohne zu wissen, was man da zustimmte.

,,Mikhael!"

Beim lauten Tonfall zuckte mein Bruder zusammen und blickte endlich Mal in meine Richtung. ,,Was denn?", fragte er und ließ Ares auf seine Schulter krabbeln.

,,Hast du mir in den letzten Minuten eigentlich zugehört?"

Kurz hob Mikhael den Blick zum Himmel, als würde er überlegen, bevor er den Kopf schüttelte. ,,Eigentlich nicht. Ich dachte du würdest Selbstgespräche führen."

Genervt wandte ich mich ab. Manchmal war Mikhaels lockeres und entspanntes Verhalten eine Last, nicht zu vergessen auch unangebracht. Caitlain und Echo könnten irgendwo in Schwierigkeiten sein und ihm war es egal.

Wenn sie überhaupt in Schwierigkeiten stecken, versuchte ich mich zu beruhigen. Es war ausgemacht einen Ræna zu schicken, sollte es Probleme geben. Und es ist keiner angekommen, demnach muss alles in Ordnung sein. Dieser schöne Gedanke behielt seine Wirkung nur kurz, nicht mal zehn Sekunden dauerte er an.

Als ich wieder begann meine unsichtbare Linie entlang zu laufen, stand Mikhael mit einem langgezogenem Seufzen auf und hielt mich auf halbem Wege an den Schultern fest.

,,Fyn, bitte! Weißt du wie du die Sache einfacherer machen kannst? In dem du dich Mal hinsetzt und dich ausruhst."

,,Ich soll mich ausruhen, während es keine Spur von unserer Schwester und Echo gibt?"

,,Die beiden können gut auf sich selbst aufpassen", erwiderte Mikhael im beruhigenden Tonfall und führte mich näher zum Waldrand, um genau zu sein, an den Baum, an dem er sich eben angelehnt hatte. Dort drückte er mich sanft runter, bis ich auf dem Boden saß und er sich neben mich setzte. ,,Wir reden hier von einer Scalra und einem dunklen Daegor, letzterer wird zudem von einem anderen Daegor begleitet. Solange kein Ræna auftaucht, werden wir nichts zu befürchten haben. Hab mal vertrauen in deine Mitmenschen."

Daegor - Klinge und Kristall Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt