Kapitel 25.2 - Der Pikjäger

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Fynch

Bevor ich blind vor Wut nach meinem Revolver greifen konnte, packte mich Merlin wieder am Arm und zog mich mit sich. Kurz war ich wütend auf ihn, aber nur weil mich meine Wut dazu leitete. Wie lustig das Schicksal stets mit einem spielte. Mir spielte es einen besonders lustigen Streich und führte mich mit meinem meistverhassten Bruder zusammen. Noch immer hatte ich ihm nicht vergeben, dass er meine geliebte Schwester Ivy ermordet hatte. Noch immer hatte ich ihm nicht vergeben, dass er mich versucht hatte zu ermorden. Und noch immer hatte ich ihm nicht vergeben, dass er in Shar Tylan Echo mithilfe eines Ätherkristalls in den Wahnsinn hatte treiben wollen.

Einst hatte ich den Schnitter als Rivalen angesehen, dessen üblen Charakter ich stets hatte übersehen können, da wir beide treu zum Imperium standen. Inzwischen sah ich ihn als Feind an, den ich von Eridia befreien wollte.

So schnell wie möglich verließen wir den Marktplatz und irrten ziellos durch die fremden Straßen. Es war uns egal wohin uns der Weg führte, wir mussten einfach nur weg vom Scalra. Ich fragte mich wieso er ausgerechnet hier in Jórvak aufgetaucht war. Die Kaiserin hatte nie, unter keinerlei Umstände, gewollt das wir auch nur einen Fuß in diese Stadt setzten. Ich hatte sogar geglaubt, dass sie nach dem was mir geschehen war, keinem anderen Scalra in die Gefahr bringen wollte mit einem der Verbrecher-Clans in Kontakt zu kommen.

,,Hat er uns gesehen?", fragte Merlin hastig, ohne das wir anhielten.

Kurz schaute ich über die Schulter, doch sofort schüttelte ich den Kopf. ,,Ich denke nicht. Wahrscheinlich hätte er mich so schnell auch nicht erkannt."

,,An der Maske nicht. Aber kennt er deine Lieblingswaffe?"

Verdammt, er hat recht. Sofort legte sich meine Hand über meinen Revolver, als wollte mein Unterbewusstsein ihn vor fremden Blicken hüten.

,,Ich mache mir mehr darüber sorgen, dass er mit den Gardisten gesprochen hat. Wahrscheinlich ist er hier stationiert."

,,Aber warum? Die Scalras waren vorher nie in Jórvak."

,,Ich weiß es nicht. Aber nun müssen wir noch vorsichtiger voran gehen als gedacht."

Mit einem angespannten Stöhnen und einem hastigen Blick über die Schulter beschleunigte Merlin seine Schritte. Er war es wohl nicht gewöhnt in schwierige Situationen zu geraten, obwohl er doch einen Haufen Betrüger und Diebe hier in Jórvak kannte. Seine Feuerseele schien ihn wohl auch nicht zu beruhigen können. Da Merlin mich weiterhin festhielt, zog er mich in seiner Hast weiter, doch schon gleich stemmte ich dagegen und blieb stehen. Der Grund lag an etwas schnelles, leuchtendes, was ich im Augenwinkel gesehen hatte. Stolpernd blieb Merlin stehen und drehte sich sofort zu mir herum, doch bevor er mich fragen konnte, schnitt ich ihm mit erhobener Hand dazwischen.

Hinter ein paar verbeulten Mülltonnen schaute etwas hervor. Zuerst war ich mir nicht sicher und als ich näher trat, verzog sich der kurze, schuppige Schwanz gänzlich hinter die Mülltonne zurück. Unbeirrt schaute ich um die Mülltonne herum, nur um auf das aufgerissene Maul einer Gila-Krustenechse zu blicken.

,,Was ist das?" Merlin war hinter mir näher geschlichen und lugte über meine Schulter auf das Tier hinunter.

,,Unser Wegweiser", antwortete ich und wartete, bis Delias Ræna sich in Lichtfäden auseinanderzog.

Dieses Mal packte ich Merlin am Arm und zog ihn mit als die blassen, kaum erkennbaren Lichtfäden ein paar Meter über unseren Köpfen vorbeizogen. Wir hatten also nicht nach Delia suchen müssen, sie hatte auf uns gewartet. Meine Schwester führte uns nah an die Stadtmauer, bedacht darauf so vielen Menschen wie möglich aus den Weg zu gehen. Dabei waren die Lichtfäden ihres Ræna schon kaum erkennbar und ich dankte der fremden Maske dafür, dass ihre Augen genauso wie bei meiner alten Maske gut gegen das Licht der Sonne entgegenhalten konnten, sonst hätte ich Delias Spur wahrscheinlich aus den Augen verloren.

Daegor - Klinge und Kristall Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt