Kapitel 27 - Würmer

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Echo

Ich hatte immer gedacht, dass ich durch mein Leben in Orstella daran gewöhnt wäre, in der Dunkelheit zu laufen und mich den Schatten anzupassen – sogar kurzzeitig in Jórvak. An stickigen Orten, wo das Licht einer Laterne manchmal dein einziger Begleiter war. Doch die Wanderung durch den Sandspeier-Tunnel bewies mir das Gegenteil: Kein Ort war so herausfordernd und dunkel wie dieser Tunnel aus Sand und Erde. Denn ohne das Licht der winzigen Laterne war hier unten rein gar nichts zu erkennen und ständig stieß ich gegen die Wand, wenn der Abstand zwischen mir und dem Schein zu groß war.

Mir machte die Umgebung etwas aus, aber Pan schien keinerlei Probleme zu haben. Zu oft stolperte ich über meine eigenen Füße, die vom Sand halb verschluckt wurden, während mein Begleiter einfach weiterlief. Ich war ehrlich überrascht, wie schnell und geschickt Pan trotz seiner langen Kleidung war, dabei reichte ihm seine luftige Kluft bis zu den Füßen und verschluckte das Leder seiner Stiefel. Er war sicherlich nicht erst seit ein paar Stunden hier unten. So wie er sich mit der Dunkelheit anpasste, schien er schon lange hier unten zu sein, ein guter Grund dafür viel mir allerdings nicht ein. Der einzige Grund, der mir hierfür einfiel, war die weniger erdrückende Hitze durch die fehlende Sonne, aber dafür fühlte sich die Luft schwerer an.

Mit einer Sache hatte Pan jedoch recht gehabt und dies sah ich auch schnell ein, als wir die erste Weggabelung erreichten. Die Tunnel waren allesamt gleich breit und ähnlich hoch, beinah identisch. Scheinbar schienen die Sandspeier ihre Tunnel zu teilen und neue hinzuzufügen, wodurch ein großes gemeinsames unterirdisches System unter den Südlanden entstanden war. Ein einziges Labyrinth aus Tunneln, Sand und Schatten. Niemals hätte ich den richtigen Weg gefunden, geschweige denn gewusst wonach ich Ausschau halten musste. Pan erwies sich jedoch als ein geübter Spurenleser, der nur wenig Licht zu brauchen schien. Bei jeder Weggabelung ging er in die Hocke, hielt die Laterne hoch und beugte sich nach vorne, um den Boden nach Spuren abzusuchen. Er pflückte Schuppen aus dem Boden, die schon halb unter Sand vergraben waren, lauschte nacheinander in jeden Tunnel, um nach dem Echo des gesuchten Sandspeiers zu lauschen und legte die Finger auf den Boden, damit er die Vibration spüren konnte.

Das Falkenweibchen ruhte die ganze Zeit über auf seiner Schulter. Sie war so still und unauffällig, dass ich sie manchmal sogar vergaß. Irgendwann versteckte sie sogar ihren Kopf unter einem Flügel, als würde sie schlafen. Gleichzeitig spürte ich eine Art Unruh in ihr und diese Unruhe konnte ich gut verstehen. Sie wollte nicht hier unten in diesem stickigen Tunnel sein, sondern lieber oberhalb an der Sonne. Sie wollte am Himmel fliegen, wo sie nicht zwischen Wänden gefangen war und die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihren Federn spüren, statt die Kühle der Schatten.

Da man hier unten keinen Blick zum Himmel hatte, verlor ich schon bald jegliches Zeitgefühl. Normalerweise konnte ich mich am Stand der Sonne und der Farbe des Himmels nach der Zeit orientieren, aber hier unten konnte man sich an rein gar nichts orientieren, um zu wissen, wie lange man vom Tag noch etwas hatte. Vielleicht war es auch schon abends oder nachts – keine Ahnung!

,,Darf ich dich etwas fragen?" Nach einigen Minuten – vielleicht sogar Stunden – wurde mir das Schweigen unangenehm und die Stille unerträglich. ,,Woher kennst du den Sandspeier dem wir folgen?"

,,Es ist kompliziert", antwortete Pan und zuckte mit den Schultern. ,,Woher kennst du zwei Wyvern, wenn du kein Sternenkind bist?"

Ich zuckte mit den Schultern und wiederholte seine Worte: ,,Es ist kompliziert."

,,Ist es wirklich kompliziert oder willst du es mir nicht sagen?"

,,Du willst mir doch auch nicht sagen, woher du einen Sandspeier kennst."

Anhand der Fältchen um Pans Augen erkannte ich das er lächelte. ,,Also gut. Ich kenne Sharmi seit sie ein kleiner Wurmling war. Oder besser gesagt, seit sie fünf Meter groß war. Ich sollte sie töten und ihren Kopf und ihre Zähne als Beweis zu meinem Stamm bringen. Aber...ich habe es nicht übers Herz gebracht sie zu töten. Man sieht es auf dem ersten Blick zwar nicht, aber Sandspeier sind sehr kluge und emotionale Tiere. Sie besitzen eine eigene Sprache und suchen sich einen Lebenspartner für ihr gesamtes Leben, um den sie sogar jahrelang trauen, wenn er stirbt."

Daegor - Klinge und Kristall Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt