Fynch
Ich blickte nur ganz kurz zu Mikhael, dann trat ich vor und zog langsam meine Waffe aus ihrer Halterung. Ohne mich umzudrehen, gab ich Mikhael ein Handzeichen. Hinter mir hörte ich das leise Rascheln von Kleidung, als Mikhael sich erhob. Seinen Bogen hatte er gerade nicht zur Hand, aber seine Magie und seine Zweitwaffe – ein zweitseitiges Messer – müssten reichen, um einen möglichen Angriff zu Beginn stand zu halten. Als der erste, schattenhafte Umriss sich durch die Dunkelheit näher bewegte, wurde mein Griff an der Waffe fester und meine Anspannung stieg weiter an, als ich einen zweiten, großen Umriss näher kommen sah.
Doch dann trat die erste Gestalt ins Licht der Monde und unserer Laternen. Die erste, große Gestalt war Efeu und auf ihm konnte ich Caitlain und Echo erkennen. Sommer stieß ein erfreutes Klackern aus, als er seinen jungen Freund kommen sah – das Knurren der Sha'Kmals erstarb. Hinter Efeu kam mit großem Abstand Ven-Gahn. Der falsche Sha'Kmal humpelte mit gesenktem Kopf und schlürfenden Gang hinter den anderen her. Er wirkte schwach, vielleicht war er auch verletzt.
Ich ließ zwar meine Waffe wieder sinken, doch meine Anspannung fiel nicht. Der Ræna hatte uns nicht erreicht, aber es war dennoch etwas was passiert. So schnell konnte sich ein Daegor durch einen einfacheren Sturz nicht verletzen!
,,Im Namen der Götter, was ist passiert?", fragte Mikhael, als der Rest unserer Gruppe nah war.
Mit scharrenden Klauen blieb Efeu stehen. Er stieß nervös Luft aus und klackerte verängstigt. Während Caitlain und Echo von seinem Rücken stiegen, trat ich vor an Efeu und strich ihm sanft über den breiten Nasenrücken. Seine Angst wurde gedämpft, aber er blieb immer noch angespannt und blickte nervös umher. Leise flüsterte ich ihm zu, während ich ihn weiter streichelte. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel, ließ mich aufblicken und dann zur Seite treten. Ohne das ich es bemerkt hatte, war Sommer näher gekommen. Mit einem tiefen Grummeln schob er seinen Kopf zu Efeu und begann mit seiner gespaltenen Zunge über Efeues weiße Schuppen zu lecken. Eine Geste der Zuneigung unter Sha'Kmals.
,,Zwei Anhänger der Gesellschaft haben Echo und Ven-Gahn abgefangen", beantwortete Caitlain die Frage ihres Lieblingsbruders.
Beladen mit ihrem Lederbeutel voll Kräuter, Ätherkristallen, Runen und handlichen Werkzeug, trat sie zu Ven-Gahn. Mit einem kurzen Flammenblitz hatte sich der Daegor zurückverwandelt und war an Ort und Stelle zusammengebrochen. Der abgehackte Atem und das schwache Leuchten seiner Lebensflammen, zeigten die Ernsthaftigkeit seiner Verletzung. Zudem hielt er eins seiner Hinterbeine merkwürdig von sich gestreckt. Mit professionellen Heilerblick begann Caitlain sich um die Fleischwunde zu kümmern, dabei zog sie nacheinander zwei Runen und ein Bündel Kräuter aus ihrem Beutel.
,,Ein Magieangriff hat Vengy mit dieser Verletzung von den Füßen gerissen", erklärte Caitlain und klang dabei schon geistig abwesend. ,,Dann hat es eine Erd-Beschwörerin geschafft sein verletztes Bein unter dem Felsboden einzuklemmen."
Mit einem angespannten Zischen fuhr sich Mikhael durchs Haar, was vielmehr nach einer hilflosen Geste aussah. ,,Wirst du ihm helfen können?"
Beinah wütend funkelte Caitlain ihn über die Schulter an. ,,Ist die Frage ernst gemeint oder war es eine Beleidigung?"
Schulterzuckend schob Mikhael seine Hände in die mit Fell gefütterten Taschen seiner Jacke. ,,Vielleicht beides."
,,Wie lange wirst du brauchen?", fragte ich und fuhr damit meiner Schwester dazwischen, die schon für ihre nächsten Worte nach Luft geschnappt hatte.
,,Gut möglich, dass ich es unterhalb von zwei Stunden schaffe", antwortete Caitlain. In ihrer Stimme schwang ein bissiger Unterton, der noch von ihrer vorherigen Wut auf Mikhael stammte. ,,Vengys Unterschenkel wurde zerquetscht und Knochen zu heilen ist nicht einfach."
,,Für die beste Heilerin Eridias wird es aber sicherlich kein Problem sein." Mein Blick schweifte an Caitlain und Ven-Gahn vorbei in die Dunkelheit. ,,Was ist mit den Angreifern?"
Statt mir eine Antwort zu geben, fixierte Caitlain mit zusammengepressten Lippen einen Punkt, der hinter uns lag. Als ich ihrem Blick folgte war da nur Echo, die still und heimlich an Mikhael vorbeigehuscht war und mit dem Rücken zu uns stand. Ihre abweisende Haltung und Caitlains Schweigen, verrieten mir das irgendetwas nicht stimmte.
Oh verdammt, lass es bitte nicht wahr sein!
Ich wartete auf keine Antwort von Caitlain. Sofort fuhr ich herum und stand mit ein paar schnellen Schritten neben Echo. Sie hatte den Kopf gesenkt und sowie sie mit ihrer tief gezogenen Kapuze in den Schatten stand, versuchte sie ihr Gesicht zu verdecken. Doch es reichte einen Blick auf ihre Jacke. Der Stoff um den Reißverschluss herum und dir Vorderseite ihrer Ärmel waren dunkel gefärbt. Von einer Flüssigkeit, augenscheinlich einer klebrigen Flüssigkeit.
,,Wessen Blut ist das?", fragte ich leise, aber deutlich genug für uns beide.
Stur wich Echos Blick mir weiterhin aus. Ihre Körperhaltung blieb abweisend und angespannt. Vielleicht wollte sie mir auch einreden, sie hätte meine Worte nicht gehört – aber sie hatte mich deutlich verstanden. Ich wartete fünf Sekunden auf eine Antwort, als keine zu hören war, riss ich die Kapuze vom braunhaarigen Kopf. Sofort fuhr Echo zu mir herum und bevor sie zurückwich, ergriff ich mit einer Hand ihr Kinn und riss ihren Kopf nach oben, so dass ihr keine andere Wahl blieb als mich anzuschauen. Ihr sonst blasses Gesicht war verschmiert von halb getrockneten Tränen und verwischtem Blut.
,,Wessen Blut ist das?", wiederholte ich meine Frage lauter und deutlicher, obwohl ich die Antwort schon wusste.
,,Es war doch keine Absicht gewesen!", fuhr mich Echo aufgebracht an. Mit einem kräftigen Stoß stieß sie mich von sich. ,,Aber was hatte ich denn für eine Wahl?"
,,Sie hat damit ihr und Ven-Gahns Leben gerettet", verteidigte Caitlain sie von der Seite. ,,Ohne den dunklen Daegor hätten wir beide an die Blinde Gesellschaft verloren."
Seufzend rieb ich meine, unter der Maske halb verborgene, Stirn. Ich wusste das Echos Tat das wahrscheinlich einzige Richtige in solch einer Situation gewesen war und dennoch wünschte ich mir, Echo hätte es nicht getan. Den Daegor in sich konnte sie kontrollieren, aber die Macht verführte sie zum Blutvergießen und mit welchen Folgen man danach zu kämpfen hatte, sollte sie nicht spüren.
Ich wusste noch, wie verzweifelt ich gewesen war, als ich zum ersten mal einen Mann getötet hatte. Ich hatte mich so schlecht gefühlt, dass ich mir gewünscht hatte auch zu sterben. Lady Ascillia war es gewesen, die sich zu mir gesetzt und gesagt hatte, dass meine Tat und meine zukünftigen Taten alle richtig wären, um die Ordnung und den Frieden in Eridia zu erhalten. Sie hatte mir eingeredet, das Töten in Ordnung war und man sich dafür nicht schlecht fühlen müsste. Dadurch hatten sie und meine damaligen Ausbilder mich für diese Gefühle abgehärtet und nun spürte ich nichts mehr, wenn ein Mann oder eine Frau durch meine Klinge starben. Eine solche Blockade sollte Echo nicht entwickeln. Sie sollte nicht so leichtsinnig mit dem Töten umgehen wie Caitlain, Mikhael und ich.
Als ich dieses Mal neben Echo trat, wich sie meinem Blick nicht aus. Die Wut war aus ihren Gesichtszügen verschwunden, stattdessen war die Reue zu erkennen, die sie als Folge von ihren Taten spürte. Plötzlich schloss sie die Augen und dann folgte ein Zittern, das durch ihren ganzen Körper ging. Sie sah die Bilder, die sie während ihres Blutrausches und danach, als sie wieder bei Besinnung war, gesehen hatte. Ich wollte nicht wissen, welch ein Schock es nach ihrer Rückverwandlung gewesen sein musste, die toten Körper der Anhänger zu sehen.
Auch wenn es nicht half die Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen, so legte ich meine Arme um sie und drückte den zitternden Körper sanft an mich. Als hätte sie nur auf diese Umarmung gewartet, drückte sich Echo fest an mich und vergrub ihr Gesicht in meine Schulter. Beistand – das war ein gutes Mittel, um die Gefühle zu verdrängen.
,,Ist schon gut", sagte ich leise und strich meiner Melari über den Rücken. ,,Hauptsache euch ist nichts passiert."
,,Dieser Druck wird immer schlimmer", flüsterte sie, den Kopf nah an mein Ohr. ,,Ich versuche ständig ihn zu verdrängen und dann kommt er wieder. Und sobald es geschehen ist, fühlen sich alle meine Taten an wie..."
,,...eine Last."
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Daegor - Klinge und Kristall
FantasyBAND 2 DER DAEGOR-REIHE Einst war Echo in den Augen ihrer Gesellschaft ein Niemand, nun ist sie die meistgesuchte Person des Landes. In der Hoffnung Schutz zu finden, führt der Weg sie und ihre Scalra-Beschützer in die Heimat der Sternenkinder. Doc...