Kapitel 9.2 - Wie ein Blütenblatt

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Fynch

Nach unserer nächtlichen Pause brachen wir schon bei der Morgendämmerung auf, was jedem von uns gelegen kam. Nun wo wir unserem Ziel so nah waren, bekam jeder von uns den Drang dieses Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Mir kam es zusätzlich noch gut gelegen, da ich in der Nacht Mal wieder schlecht geschlafen hatte. Diese Albträume waren so lästig wie Zecken und bereiteten mir zu jedem Morgen fürchterliche Kopfschmerzen.

Natürlich ließ ich mir die Schmerzen nicht anmerken, sonst würde mir Caitlain sofort auf die Nerven gehen. Aber meine Schwester wusste das irgendetwas nicht stimmte. Ihr schnellen, beinah unauffälligen Blicke schienen jedes Mal meinen Körper nach gesundheitlichen Schäden abzusuchen.

Komischerweise machte mir Merlins Anwesenheit heute weniger aus. Das Gespräch mit Caitlain schien irgendwie geholfen zu haben oder meine Sichtweise verändert zu haben, auch wenn es nicht friedlich geendet hatte. Eine Fortsetzung würde es so schnell nicht geben, denn aus irgendeinem Grund blieb Caitlain heute sehr nah bei Merlin. Dachte sie etwa mein Misstrauen würde noch zu einem Angriff führen? Wer war jetzt bitte schön Paranoid.

Auch wenn das Misstrauen gedämpft worden war, so behielt ich weiterhin einen wachsamen Blick auf unsere Umgebung. Mein Ræna ruhte für heute. Im Nachhinein wäre es riskant die ganze Zeit meine Magie in Form eines Spions aktiv zu halten. Außerdem waren Mikhael und Echo heute dicht an meiner Seite. Caitlain dürfte ruhig von meiner Vorsicht und dem anhaltenden Misstrauen gegenüber Merlin wissen, aber nicht die anderen beiden – vor allem nicht Echo.

Noch immer hörte ich meine eigenen Worte in den Ohren und auch wenn sie der Wahrheit entsprachen, so wünschte ich, dass sie nicht stimmten. Echo bedeutete mir eine Menge, diese Gefühle dürften sich niemals wegen so etwas belangloses wie einer Feuerseele verändern. Mir war schon Ivy genommen worden, weil ich nicht aufgepasst hatte, niemals würde ich Echo wegen demselben Fehler verlieren.

Die Zeit bis zum Mittag schien sich wie ganze Jahre anzufühlen, doch genau dann, als die Sonne an höchster Stelle über uns am Himmel stand, überwanden wir einen niedrigen Hügel und sahen unser Ziel. In den alten süd-landischen Geschichten hieß es, die Baumsavanne war der Geburtsort sämtlicher Bäume in Eridia, somit stünden vor uns die Vorfahren sämtlicher Bäume. Und diese Bezeichnung war passend. Die Bäume der Baumsavanne waren wahre Giganten im vergleich zu all den anderen Bäumen, die ich in meinem Leben gesehen hatte. Ihre Stämme waren dick und vermutlich breiter als fünf Meter. Sie waren beinah genauso hoch wie die Türme in der Zentrale von Johran und die Baumkronen waren wie ein gigantischer Fächer ausgebreitet. Die Bäume erstreckten sich bis zum Horizont und von da aus immer weiter, als würde es kein Ende geben.

Wir hatten unser Ziel fast erreicht. Das einzige was noch zwischen uns stand, war die Kluft. Eigentlich war die Kluft nichts anderes als ein besonders breiter Fluss, doch die Strömung war das Hauptproblem. Sobald man auch nur einen Fuß ins Wasser setzte, wurde man von der Stärke der Strömung von den Beinen gerissen und ins tobende Wasser gezogen – und von dort gab es kein entkommen mehr. Selbst Wasser-Beschwörer konnten nichts gegen die peitschenden Wellen tun.

Mikhael, der seit einer ganzen Weile nichts mehr gesagt hatte, räusperte sich hinter vorgehaltener Hand, bevor er auf den Fluss deutete. ,,Wir haben also unser Ziel erreicht. Hat nun irgendjemand eine Idee, wie wir es über die Kluft schaffen?"

Merlin ließ seinen Wolver nah an das Flussufer treten. Während die Sha'Kmals fauchend und mit unsicheren Schritten ihre angespannten Nerven zeigten, wirkte Naruu wie schon oft einfach entspannt. Mit zuckenden Ohren senkte er den Kopf und versuchte im sicheren Abstand das Wasser zu beschnuppern.

,,Wir durchqueren den Fluss", sagte Merlin. ,,Ganz einfach."

,,Ganz einfach?", fragte ich. ,,Frag doch Mal all die Menschen, die beim durchqueren gestorben sind, wie einfach es war."

Daegor - Klinge und Kristall Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt