Der Zeuge
Der Wind bahnte sich einen Weg über den sandigen Boden und riss einzelne Sandkörner mit sich. Wie Blätter in einem Wald, wurden sie von ihm mitgerissen und fuhren über den dunklen Stoff, den ich über meiner Haut trug. Es war, als würde der Wind mit der kleinen Munition versuchen mich aufzuhalten, zusätzlich riss er noch an meinem Umhang und der Kapuze. Doch ich war nicht so einfach aufzuhalten. Mit eiserner Entschlossenheit stampfte ich durch den Sand und hielt den Blick immer gerade aus.
Nach stundenlangem Laufen kam ich meinem Ziel immer näher. Auch die Berge wurden mir immer deutlicher, die bis dahin nur schwache Umrisse am Horizont gewesen waren. Aufmerksam hob ich den Kopf, als ich das schwache Leuchten vernahm, das vom Boden aus dem Nachthimmel entgegen strahlte. Die Berge bauten sich vor mir auf – steinerne, kühle Festungen. Von ihren weitentfernten Spitzen aus stammte das schwache Leuchten. Nicht nur schwach, für niedrige Geschöpfe auch unsichtbar. Nur Auserwählte – so wie ich – besaßen die Macht, dieses Leuchten zu erkennen und den Ort zu betreten, der sich hinter den steinernen Wänden befand.
Ich vernahm ein freudiges Gefühl in meinem Inneren, in den Fingern spürte ich ein angenehmes Kribbeln, als ich den Bergen immer näher kam. Jahrhunderte hatte ich darauf warten müssen, diesen Ort zu betreten und die Schätze zu berühren, die dort lagen und warteten: Artefakte und unbezahlbare Kostbarkeiten. Ich war gespannt darauf zu wissen, wie viel sich während meiner Abwesenheit verändert hatte. Und ich wollte das in den Fingern halten, was mir in all der Zeit verwehrt worden war. Einfach gesagt: Ich wollte Gerechtigkeit.
Mit jedem Schritt verspürte ich dieses Gefühl deutlicher in meinem Körper. War es Zufriedenheit? War es Aufregung? Es war ein unbeschreibliches Gefühl, das gleichzeitig auch so erstickend und schwer lag. Mein vom Wind erfasster Umhang, flatterte hinter mir in der Luft und wirkte wie ein langgezogener Schatten, der mir überallhin folgte. Mehr war ich selbst in all den Jahrtausenden auch nicht gewesen. Ein Schatten, eine Existenz ohne Körper. Doch nun stand alles davor sich zu verändern. Mir standen starke Verbündete zur Seite und mit ihren Tricks und Fähigkeiten, lag die Vollendung der absoluten Macht nah.
Dann sah ich die Wolke und blieb sofort stehen. Eine Ansammlung aus wabernder, funkelnder Rauch ruhte vor mir an dem Fels des Berges und schien zu warten. Nein, nicht dieser Rauch. Dieser Rauch konnte nicht warten. Aber er konnte bewachen und beobachten. Und genau diese zwei Dinge tat er: Er bewachte den Eingang und beobachtete mich.
,,Mein alter Freund, wie lange waren wir voneinander getrennt?"
Mit einer langsamen Bewegung zog ich mir die Kapuze vom Kopf. Meine blutroten Augen bohrten sich durch die Dunkelheit hindurch zur funkelnden Rauchwolke. Ein Fauchen erzitterte die Luft, ein wütendes Leuchten durchdrang die Wolke. Mit einem weiteren Fauchen stieß sich die Wolke vom Fels und glitt wie ein gefallenes Blatt in Richtung Boden.
Wieder vernahm ich dieses Kribbeln. Zu gerne würde ich diese Seele wieder Teil meines Körper werden lassen. Wenn ich könnte – wenn ich die Macht dazu hätte – würde ich mir diese Feuerseele nehmen und sie an mich binden, um wieder die Macht zu haben, die mir zustand. Aber ich konnte es nicht - noch nicht.
Als die Rauchwolke fast den Boden erreicht hatte, durchdrang ein neues Licht ihren Körper und zu dem Fauchen vermischte sich eine beißende, vor Wut triefende Stimme. ,,Verschwinde von hier! Du hast kein Recht die Kammer zu betreten!"
Verwirrt legte ich den Kopf zur Seite. ,,Habe ich nicht? Sie wurde von mir und meinen Brüdern erschaffen. Mit meinen eigenen Händen habe ich die Räume gebaut und die Kristalle in der Kammer wachsen lassen. Demnach gehört sie auch mir, also habe ich auch das Recht hier zu sein."
,,Du bist kein Blinder Bruder", erwiderte die Feuerseele zornig. ,,Hast du es nicht gewusst? In den Geschichten erzählt man sich von sechs Brüdern und nicht von sieben. Du bist in Vergessenheit geraten, Zeuge."
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Daegor - Klinge und Kristall
ФэнтезиBAND 2 DER DAEGOR-REIHE Einst war Echo in den Augen ihrer Gesellschaft ein Niemand, nun ist sie die meistgesuchte Person des Landes. In der Hoffnung Schutz zu finden, führt der Weg sie und ihre Scalra-Beschützer in die Heimat der Sternenkinder. Doc...