Kapitel 1 { Zita }

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Ich will euch meine Geschichte erzählen.
Sie spielt in Italien.
Um genau zu sein in Florenz.
Laut aktuellem Stand leben hier ca. 382.000 Menschen.
382.000 Menschen.
382.000 verschiedene Leben und ich begegne genau diesem einen Menschen, der Segen und Fluch zugleich ist.
Ich heiße Zita. Die Kurzform von Felizitas.
Ich bin siebzehn Jahre alt.
Gemeinsam mit meinen Eltern und meinem großen Bruder lebe ich in einem der alten Häuser direkt am Arno-Fluss. Der durchquert Florenz und Pisa. Von meinem Fenster aus habe ich den besten Blick über den Fluss und genieße von dort aus jeden Abend den idyllischen Sonnenuntergang.
Meistens sitze ich mit meinem Kater Angolo auf dem Fenstersims, während ich Musik höre oder meine Gedanken in mein Tagebuch schreibe.
Ich bin eines dieser Mädchen, die unter ihrem Bett eine ganze Kiste dieser Bücher wie einen Schatz aufbewahrt.
Schon seit meinem zehnten Lebensjahr schreibe ich. Mal mehr mal weniger.
Früher schrieb ich täglich. Ganz besonders dann, wenn mein Bruder Damaso mich wieder einmal ärgerte oder ich Streit mit meiner besten Freundin Ambra hatte.
Heute schreibe ich wirklich nur zu besonderen Anlässen - wenn ich irgendwo meine Gedanken abladen muss, über die ich mit niemandem sprechen kann.
Meine Eltern sind streng gläubig. Vielmehr mein Vater. Jeden Sonntag gehen wir gemeinsam in die Basilica di San Lorenzo. Einmal habe ich mich drücken können, als ich vorspielte krank zu sein.
Nachdem ich die darauffolgenden Tage nicht das Bett verlassen durfte, hatte ich es mir anders überlegt.
Die Stunde Singsang und mein Gebet verrichten, lasse ich seitdem wortlos über mich ergehen.
Ich bin auch gläubig, aber ich glaube eben an andere Dinge als mein Vater.
Ich glaube daran, dass der Herrgott will, dass jeder Mensch sich seinen Weg hier auf Erden selbst aussuchen darf. Ganz besonders den Partner, mit dem man diesen Weg gemeinsam gehen will.
Vater hingegen glaubt daran, dass Paolo für mich bestimmt ist, seitdem er und seine Familie vor etlichen Jahren in unsere Nachbarschaft zogen.
Er und Paolos Vater arbeiten gemeinsam in einem großen Industrie- und Gewerbeunternehmen in Florenz.
Ich mag ihn. Ich muss ihn mögen.
Von kleinauf verbringen wir fast jeden Tag gemeinsam und nach all den Jahren ist er einer der vertrautesten Menschen für mich.
Fast wie Familie.
Wir hatten keine andere Wahl, als zusammen zu kommen und ihm scheinen die Absichten unserer beider Väter zu gefallen.
Mehr als dass wir uns hin und wieder küssen, ist zwischen uns nicht passiert in all der Zeit. Für meine Familie wäre es eine Schande, unverheiratet die Jungfräulichkeit zu verlieren.
Meine beste Freundin Ambra hat es schon getan und ich bin jedes Mal Feuer und Flamme, wenn sie davon erzählt. Ihre Erzählungen sind mit das Spannendste in meinem Leben.
Ambras Eltern wissen nichts über die Erlebnisse ihrer Tochter, aber sie sind auch lang nicht so gottesfürchtig wie mein Vater.
Einmal bin ich aus dem Fenster geklettert, um mit Ambra auf eine Party zu gehen. Als Vater mein leeres Bett bemerkte, hatte er gleich Damaso losgeschickt und die halbe Stadt verrückt gemacht.
Wenn ich sage die halbe Stadt, dann meine ich das auch so.
Diese Blöße wollte ich mir danach nie wieder geben. Gefühlt meine halbe Schule hatte Wind davon bekommen. Immer wieder kommt das Thema auf und endet im lauten Gelächter.
Kommen wir zurück zu Paolo.
Paolo ist der Vorzeigeschwiegersohn schlechthin.
Mit seinen wilden braunen Locken auf dem Kopf und seinem strahlenden Lächeln auf den Lippen, erwärmt er jedes Mutterherz. Er ist ein wirklich guter Kerl und hat mich noch nie schlecht behandelt. Paolo ist immer lieb und zuvorkommend. Klug und äußerst gebildet.
Nach unserem Schulabschluss will er an die Universität La Sapienza in Rom um Architektur zu studieren. Er betont immer wieder, mir und unseren Kindern später etwas bieten zu wollen. Schade nur, dass meine Pläne nicht die Seinen sind.
Nach meinen eigenen Plänen hat er nämlich nie gefragt.
Mit diesem letzten Satz lasse ich den Eintrag in mein Tagebuch enden, schließe es und lasse es unter meinem Kopfkissen verschwinden.

Die Sonne scheint hell über Florenz und es ist ein herrlicher Tag. Zu herrlich, um Trübsal zu blasen.
Es ist Samstagmorgen und ich muss unbedingt in die Stadtbibliothek, um meine geliehenen Bücher zurück zu bringen. Ich bin schon wieder über die Zeit gekommen, so wie jedes Mal.
Die Bibliothek liegt nur zwanzig Minuten zu Fuß entfernt.
Mit den Büchern in meinem Arm, schlendere ich gemütlich durch die Innenstadt.
Ich liebe es mit Musik auf den Ohren an den Schaufenstern vorbei zu schlendern und die Vielzahl an schicken Designersachen zu bewundern.
Sobald ich mein erstes, eigenes Geld verdiene, werde ich mir eine Tasche von Gucci kaufen. Mein Traum ist die klassische GG Marmont in schwarz.
Davon träume ich schon, seit ich ein kleines Mädchen war.
Jedes Mädchen muss davon träumen, hab ich Recht?
Ich kann es kaum abwarten, den schweren Stapel von Büchern endlich abzuladen.
Der Stapel ist so hoch, dass ich gerade so darüber hinweg sehen kann. Schon jetzt bereue ich es, sie nicht in eine Tragetasche gepackt zu haben.
Als ich gerade Stufe um Stufe erklimme, um den großen Eingang der Bibliothek zu erreichen, werde ich aus dem Nichts angerempelt. Alle Bücher, bis auf das Letzte mit dem Titel Acht Berge von Paolo Cognetti, fallen zu Boden.
Ich liebte es, dieses Buch zu lesen. Es handelt vom Aufbrechen und Wiederkehren und davon, was ein erfülltes Leben ausmacht.
Die ganzen Sommerferien über habe ich unzählige Bücher verschlungen. Der Reiz von Büchern liegt oft im Unbekannten, Neuen, welches man entdecken kann. Sie beflügeln die Fantasie und lassen die Welt im neuen Licht erscheinen. Sie schenken den Mut, neue Dinge auszuprobieren und Veränderungen im eigenen Leben vorzunehmen.
Durch die Bücher ist mir bewusst geworden, dass es niemals Paolo sein kann, mit dem ich bis ans Ende meines Lebens sein werde.

Just like the guys in my books Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt