Der Samstagmorgen kommt schneller als gedacht.
Irgendwie habe ich es geschafft, die verbleibenden 71 Stunden bis zu unserer nächsten Begegnung tot zu schlagen.
Ich muss gestehen, dass ich mir die verrücktesten Sachen hab einfallen lassen, um die Stunden irgendwie rumzukriegen.
Ich habe Vokabeln gelernt, die ich längst auswendig kenne. Habe mit dem Staubwedel das gesamte Haus abgestaubt und Damaso beim schrauben an seinem Auto zugesehen.
Man hat er sich darüber gefreut.Ich gehe den Weg durch die Stadt viel schneller als sonst, sehe nicht detailliert in jedes der Schaufenster und kaufe mir nicht wie üblich meinen scheußlichen Coffee to Go.
Ich bin gerade einmal bei der Hälfte meiner Playlist angekommen, als ich die Stufen der Bibliothek erreiche.
Du bringst mich jetzt schon dazu, gegen meine Prinzipien zu handeln.
Fidelio, Fidelio.
Du wirst mein Verhängnis sein.
Ich halte einen Augenblick inne und atme noch einmal tief ein und wieder aus, damit du nicht bemerkst, dass ich mich beeilt habe.
Beeilt habe, um dich schnell wieder zu sehen.
Ich streiche mir das Haar glatt und schnuppere vorsichtshalber an meiner Achsel um zu prüfen ob dort alles beim bestens ist.
Alles bestens.
Als ich die Bibliothek betrete, könnte ich schwören, gleich deinen Duft in der Nase zu haben.
Diesmal riecht es nicht bloß nach modrigem Holz und alten Büchern, nein.
Es riecht nämlich auch nach Zigaretten, Minzkaugummi und deinem undefinierbaren Eau de Parfum.
Ich behalte Recht, denn als ich mir den Blick in die hinterste Ecke zu meinem Lieblingsplatz bahne, sitzt du dort.
Nicht auf meinem braunen Ledersessel, den hast du nämlich für mich freigehalten.
Du hast einen weiteren Sessel aus den Reihen davor dazu gestellt.
Du machst dir Gedanken.
Oder hast einfach keine Lust darauf, stehen zu müssen.
Die erste Variante gefällt mir deutlich besser.
Du hast ein Buch aufgeschlagen auf deinem Schoß.
Würde ich nicht wissen, dass du womöglich niemals ein Buch lesen wirst, könnte man fast meinen du tätest nie etwas anderes.
Du trägst eines deiner typischen Badboy Outfits.
Eine schwarze ripped Jeans, ein einfaches schwarzes Shirt und darüber deine Gangjacke.
Dir ist egal, dass es draußen bald 30 Grad sind.
Du trägst sie trotzdem.
Tag ein, Tag aus.
Eine Strähne deiner braunen, störrischen Haare fällt dir auf die Stirn.
Als du mich bemerkst, schleicht sich ein erfreutes Lächeln über deine Lippen, welches deine Grübchen hervortreten lässt.
Diese süßen Grübchen, die dich gar nicht so böse erscheinen lassen.
Eigentlich bin ich wütend auf dich und würde nur zu gern wissen, wer dieses braunhaarige Mädchen war, von dem Ambra mir erzählt hat.
Hattest du etwas mit ihr?
Wie lange sitzt du hier schon und wartest auf mich?
Hast du dich vielleicht auch gefragt, ob ich es mir anders überlege?
Oder war dir klar, dass ich sowieso kommen werde?
„Da ist sie ja, pünktlich auf die Minute genau.", begrüßt er mich und wirft einen Blick auf die große Holzuhr an der Wand.
Ich lächle bloß und habe keinen blassen Schimmer, was wir in den verbleibenden zwei Stunden hier in der Bibliothek tun werden.
Ja, meine Zeit ist gezählt. Mir bleiben zwei Stunden, ohne dass mein Vater skeptisch wird.
„Du liest?", frage ich ihn.
Etwas besseres ist mir auf Anhieb nicht eingefallen.
Mir liegt es nicht mit Männern zu kommunizieren.
Zumindest Männer, die nicht Paolo sind.
„Oh, ja. Das Buch Nur noch einmal und für immer hat es mir regelrecht angetan."
Er lacht, schlägt dabei das Buch zu und legt es auf den Tisch neben sich.
„Es ist wirklich gut und es ist von einer meiner Lieblingsautorinnen. Aber wohl eher nichts für dich.", erwidere ich und setze mich neben ihn auf den freien Sessel.
„Das letzte Buch, das ich gezwungenermaßen gelesen habe, war eins von Jane Austin für den Schulunterricht und das ist mindestens drei Jahre her."
Ich nicke dezent und wippe mit den Füßen auf und ab.
„Was tun wir jetzt hier, wenn wir nicht lesen?", frage ich und zupfe dabei an dem Saum meines Kleides.
Seine Anwesenheit macht mich nervös.
Auch wenn wir nichts tun, außer hier in diesen alten Sesseln, umringt von unzähligen Büchern zu sitzen, ist es das spannendste, was mir diese Woche passiert ist.
Diese Woche?
In den letzten Jahren!
„Wir lernen uns kennen, oder etwa nicht? Wir stellen uns abwechselnd Fragen, die wir beantworten müssen. Du fängst an."
Ihr müsst euch die Situation vorstellen.
Der Badboy Fidelio so wie er im Buche steht, sitzt am Samstagmorgen in der Stadtbibliothek und will mich Mauerblümchen besser kennenlernen.
Dafür lässt er sich ein blödes Frage und - Antwortspiel einfallen.
Mein Herz tanzt.
Wieder habe ich ein ganz anderes Bild von ihm vor Augen, als das was ich zuletzt bei den Rennen hatte.
Betrunken und rauchend, mit diesem blonden Mädchen in seinem Arm.
Cagna!
„Na gut. Warum triffst du dich hier mit mir, wenn ich überhaupt nicht dein Typ bin und du scheinbar jeden Tag eine andere Freundin hast?"
Ich falle gleich mit der Tür ins Haus, die selbstzerstörerische Zita in mir, will's wissen.
Er lacht verschmitzt.
Ihm war klar, dass ich genau diese Frage stelle.
Soweit kennt er mich schon.
„Sweetheart, ich lasse es nicht auf mir sitzen, wenn ein Mädchen mich abweist. Außerdem bist du auf den zweiten Blick gar nicht mal so übel.", antwortet er.
Hat er gerade unterschwellig zugegeben, dass er mich gut findet?
„Und warum hast du dich darauf eingelassen, mich wieder zu treffen, wenn du doch glücklich mit deinem Pepito bist?", stellt er nun seine Gegenfrage.
Er heißt Paolo!, korrigiere ich ihn im stillen.
Dennoch hat er mit der Frage voll ins Schwarze getroffen.
Warum treffe ich mich heimlich mit ihm in der Bibliothek, wenn ich mit Paolo zusammen bin?
Zählt das schon als Betrug?
Solange nichts zwischen uns passiert, ist es kein Betrug.
Oder?
Plötzlich überkommt mich wieder das schrecklich schlechte Gewissen Paolo gegenüber.
Der Arme hat so etwas nicht verdient.
Er würde sich niemals hinter meinem Rücken mit anderen Mädchen treffen.
Einmal hatte er ein Projekt außerhalb der Schule und bestand dabei auf meine Anwesenheit, damit ich mir keine Sorgen um das andere Mädchen machen musste.
Paolo weiß nicht einmal, dass Fidelio existiert.
„Weil ich jeden Samstag in die Bibliothek gehe und du sowieso gekommen wärst, auch wenn ich nein gesagt hätte.", entgegne ich beinahe schon patzig und kann meinen eigenen Worten keinen Glauben schenken.
Weil ich dich unbedingt wieder sehen wollte.
Nichts als das, wäre die richtige Antwort darauf gewesen.
Das Lächeln auf seinen Lippen wird breiter.
Kann er meine Gedanken hören?
Er ist so dermaßen überzeugt von sich, dass er die richtige Antwort auf seine Frage kennt.
„Erzähl mir drei Dinge, die ich über dich noch nicht weiß.", bitte ich ihn nun.
Ich weiß, dass es keine richtige Frage ist, aber immerhin etwas, was genug Spielraum hat, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen.
„Puh, lass mich überlegen. Ich bin 22 Jahre alt, habe mich in der Universität für Motorsport Engineering eingeschrieben und war noch nie in einer festen Beziehung so wie du mit deinem Pepito."
Dass er noch nie in einer richtigen Beziehung war, überrascht mich herzlich wenig.
Ich habe nichts anderes als das erwartet.
Dass er jedoch studieren will, überrascht mich umso mehr.
Es ist nicht so, dass ich ihn nicht als klug eingeschätzt habe, sondern eher die Tatsache dass ein Studium mit Disziplin und Durchhaltevermögen zu tun hat, die mich überrascht.
Disziplin und Durchhaltevermögen scheint ihm zumindest was die Frauen angeht nicht zu liegen.
Der studierende Badboy, eine ganz neue Dimension.
„Warum warst du noch nie in einer festen Beziehung? Ich dachte alle Menschen sehnen sich auf irgendeine Art und Weise nach Liebe", frage ich nun etwas genauer nach.
„Ich war noch nie verliebt, ich glaube das ist nichts für mich. Immer wenn ich's versucht habe, endete es damit, dass mir die nächste schöne Augen machte und ich mit ihr im Bett landete. So wie es jetzt ist, ist es gut. Ich kann tun und lassen was ich will ohne Rücksicht nehmen zu müssen".
Autsch.
Ich hatte gehofft er würde sowas sagen wie: „Mir wurde in meiner Jugend das Herz von einem Mädchen gebrochen, seitdem will ich's allen anderen heimzahlen".
Oder: „Mir ist bisher einfach noch nicht die Richtige begegnet".
Stattdessen sagt er das, was man von einem Arschloch, einem ewigen Herzensbrecher, erwartet.
Ich nehme mir das Buch von Colleen Hover vom Tisch zwischen uns und blättere beiläufig durch die Seiten.
„Und du, bist du verliebt in deinen Pepito?", fragt er nun während er neckisch dabei mit den Augenbrauen wackelt.
Unsere Blicke treffen sich und irgendwie ist es mir unangenehm mit ihm über Paolo zu sprechen.
Ich möchte vielmehr über ihn sprechen.
Über Fidelio.
„Ja. Also ich denke schon. Wir kennen uns seit wir Kinder waren. Also ..".
„Naja, so ganz überzeugt klingst du nicht. Komm bloß nicht auf Idee, dich in mich zu verlieben. Ich bin nicht der Richtige für dich, Zita", lacht er nun und schnalzt dabei mit der Zunge.
Vor lauter Nervosität fällt mir das Buch vom Schoß und landet vor mir auf dem Boden.
Im selben Moment bücken wir uns danach.
Unsere Fingerspitzen berühren sich und als sich unsere Köpfe erheben, schauen wir uns dabei tief in die Augen.
Lediglich eine Handbreite trennt unsere Gesichter von einander.
Sein unwiderstehlicher Duft strömt mit in die Nase.
Seine Finger wandern in Richtung meines Gesichts und streichen mir sanft eine Haarsträhne hinter mein Ohr.
Was zur Hölle tut er da?
Mein Herz klopft wie verrückt und meine Finger beginnen unkontrolliert zu zittern.
Wir beide schlucken deutlich hörbar im selben Moment.
„Dann verlieb du dich auch nicht in mich", erwidere ich fast flüsternd.
Habe ich diesen gefühlsduseligen Mist gerade tatsächlich von mir gegeben?
Ich will auf der Stelle, im Erdboden versinken!
Genau diese romantischen spontanen Momente, kenne ich nur zu gut aus meinen Büchern.
Ich weiß was dann kommt.
Einer von uns beiden, wird den Moment zerstören.
Als hätte ich's geahnt, löst er mit einem Mal seine Finger aus meinem Gesicht und damit wäre unser erster und einziger romantischer Moment verpufft.
Glückwunsch, ich habe mich gerade dermaßen blamiert.
Jetzt lacht er wieder dieses dreckige Arschloch Lachen.
„Träum weiter, Kleines. Du weißt doch, du bist überhaupt nicht mein Typ".
Doppel Autsch.
Meine Lippen formen sich immer wieder zu einem O, doch ich schaffe es nicht auch nur ein einziges Wort über sie zu bringen.
Er macht mich sprachlos.
Ehe ich die passenden Worte finden kann, streicht er sich mit beiden Händen über seine Jeans und erhebt sich aus dem braunen Ledersessel.
Plötzlich wirkt er viel kühler und gefasster als gerade eben noch.
Ein schmerzendes Gefühl von kühler zerberstender Distanz schiebt sich zwischen unsere gerade noch gelassene Konversation.
„Sprachlos, Kleines? Ich sollte dich daran erinnern wieder zu atmen bevor du's vergisst. Ich werde jetzt gehen, man sieht sich".
Diese Worte wirft er in den Raum ohne mir eines weiteren Blickes zu würdigen und verschwindet dabei aus der schmalen Nische in der wir bis gerade eben noch gemeinsam saßen.
Erwartet er nun, dass ich ihm folge?
Da kann er lange warten.
Arschloch.
Ich atme tief ein und bemerke, dass ich wirklich die Luft angehalten haben muss, als der tiefe Luftzug meine Lunge erreicht.
Bis gerade eben war mir nicht klar, dass man wirklich vergessen kann zu atmen.
Er macht mich nicht nur sprachlos, er hat mir im wahrsten Sinne des Wortes, den Atem verschlagen.
Ich will ihm folgen, ihn aufhalten, fragen warum er darauf besteht mich hier zu treffen um dann die Flucht zu ergreifen.
Warum trifft er sich mit mir um mir dann all diese provokanten und respektlosen Dinge an den Kopf zu werfen?
Warum erfindet er dieses blöde Frage und Antwortspiel um mich vermeintlich kennenlernen zu wollen, wenn er dann nur blöde Antworten von sich gibt?
Ein ernüchterndes Seufzen verlässt meine Lippen, als ich mich zurück in den braunen ranzigen Sessel sinken lasse.
Darauf habe ich mich also die ganze Woche gefreut?
Ein Lichtstrahl fällt durch das bunte Kirchenfenster und trifft genau auf das Buch von Colleen Hover welches immer noch auf dem Tisch zwischen den zwei Sesseln liegt.
Ein Zeichen?
Ich nehme es zwischen meine Hände und fange an wahllos darin herum zu blättern.
Während ich Seite für Seite umschlage, bemerke ich kurz vor Ende des Buches eine eingeknickte Ecke.
Ein Eselsohr.
Ich hasse Eselsohren in Büchern.
Bestimmt hatte der Jenige der es zuletzt ausgeliehen hat, vergessen, die geknickte Seite wieder in ihre Form zurück zu bringen.
Gerade als ich sie wieder glatt streichen will, bemerke ich eine handschriftliche Notiz im unteren Teil der Seite.
Ein Zeichen!
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Just like the guys in my books
Teen Fiction„Man empfindet es als Segen ihnen zu begegnen. Man fühlt sich entflammt und belebt. Doch am Ende entpuppen sie sich als bitterer Fluch". Devil Dick 😈 [ deh • vl • dik ] „Exceptionally good dick that happens to be attached to a fuckboy, who knows h...