Kapitel 39 { Zita }

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Ich werde jetzt ganz sicher nicht gehen, damit Sie sie weiter mit Schlägen traktieren können", kommt es unbeherrscht über Fidelios Lippen, der in seiner Hand immer noch zittrig die Waffe hält.
Für einen kurzen Augenblick, war ich fest davon überzeugt, dass die Waffe meines Vaters geladen war und er ihn einfach vor meinen Augen erschossen hat.
Ich habe mir nicht ansatzweise vorstellen können, so unendliche Angst um jemanden zu verspüren.
Kurzerhand hat mein Vater die Waffe unter seinem kleinen christlich bestickten Kissen hervorgeholt und sie unversehens auf Fidelio gerichtet.
Als wäre es das normalste der Welt, eine Waffe unter einem kleinen Sofakissen zu verstecken.
Hat er sie dort immer liegen oder hat er sie mit Absicht bereit gelegt?
Es ist eine andere Waffe, als die, die ich letztens gefunden habe.
Also stellt sich mir die Frage, wie viele Waffen hat mein Vater in unserem Haus versteckt?
Wenn er schon keinen Halt vor seinem christlichen Kissen macht, könnten sich überall um mir herum weitere von ihnen befinden.
Eine weitere Frage die sich mir stellt, warum besitzt er sie überhaupt?
Ganz wie ich vermutet habe, hat sein Sammelsurium an Waffen, rein gar nichts mit Selbstverteidigung zu tun.
Mein Vater ist ein Krimineller und alles in meinem Innern schreit, dass ich es längst gewusst habe.
Du willst doch sicher deine kleine Schwester Rosalia aufwachsen sehen. Es wäre zu schade, wenn sie dich noch bevor du die Chance dazu hast, einbuchten. Drogen am Steuer, ein illegalen Autorennen, Besitz einer unrechtmäßigen Waffe", erwidert mein Vater mit einem arglistigen Lächeln auf den Lippen.
Fidelio hat eine kleine Schwester?
Drogen am Steuer?
Sein Blick lässt vermuten, dass all das was mein Vater über seine Lippen gebracht hat, stimmt.
Mit einem Mal, wird er bleich wie eine Wand und steckt die Pistole zurück in die Innentasche seiner Lederjacke.
Wagen sie es nie wieder, den Namen meiner Schwester in ihren gottserbärmlichen Mund zu nehmen, ansonsten bin ich derjenige, der beim nächsten Mal abdrückt", zischt er ihm rau entgegen, ehe er nach meinem Arm greift.
Komm mit, wir gehen", befiehlt er mir anweisend.
Ich werfe ihm aus den Augenwinkel einen entkräfteten Blick zu.
Ich kann nicht, Fidelio. Du musst ohne mich gehen", erwidere ich mit leiser schwacher Stimme, während mir warme Tränen über die Wangen laufen.
Ich gehe nirgendwo ohne dich hin, Zita", hält er eindringlich bittend dagegen.
Dein Telefon, Felizitas", mischt mein Vater sich mit einer auffordernden Handbewegung ein.
Das kannst du nicht machen, Vater. Bitte!", flehe ich ihn kniefällig an.
Wenn du es verhindern willst, dass er für seine Straftaten belangt wird, dann gibst du mir jetzt dein Telefon, Felizitas", fordert er mich erneut mit leerer Miene auf.
Ich zögere nicht lange, denn ich weiß, dieser Mann ist unberechenbar. Ich nehme mein iPhone aus der Tasche meiner Jacke und reiche es ihm widerwillig.
Geht doch. Jetzt könnt ihr euch verabschieden", entgegnet er mir, während sein leerer Blick zwischen mir und Fidelio hin und her wandert.
Du kannst immer noch mit mir kommen", erwidert Fidelio appellierend, während er verzweifelt meine Hand fest drückt.
Bitte, geh jetzt. Wir passen nicht zusammen, Fidelio. Mein Vater, hatte die ganze Zeit über recht", kommt es mit zittriger Stimme über meine Lippen;  nicht ansatzweise überzeugt von meinen eigenen Worten.
Jedoch will ich meinen Vater mit seinen eigenen Waffen schlagen und gute Miene zum bösen Spiel machen.
Fidelios Augen weiten sich und sein Blick ist erfüllt von Misserfolg. Er denkt, er hat diese Partie, den Kampf um mich, verloren.
Mein Vater beobachtet das kleine Wortgefecht zwischen uns mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen.
Er löst abrupt seine Hand von mir und sieht mir niedergeschlagen in die Augen.
Trotz dass es nur wenige Augenblicke sind, die ich ihn in dem Glauben lasse, ich hätte gerade Schluss mit ihm gemacht, bricht in meinem Inneren eine Welt zusammen.
Hast du nicht gehört, Junge? Meine Tochter hat gerade die richtige Entscheidung getroffen. Das solltest du auch", entgegnet mein Vater ihm rügend, immer noch mit diesem hässlichen triumphierenden Lächeln auf seinen Lippen.
Ich begebe mich in Richtung Diele und bitte ihn darum, mir zu folgen. Ich öffne ihm die Tür und noch bevor er bestürzt den Weg ins Freie findet, halte ich ihn an seinem Arm zurück.
Fidelio, ich ...".
„Du brauchst nichts mehr sagen, Zita. Ich hab schon verstanden", erwidert er beklommen und versucht sich dabei aus meinem Griff zu lösen.
Hör mir zu", flüstere ich.
Ich hab's nur so gesagt, damit mein Vater es glaubt. Hol mich morgen um 13 Uhr an der Schule ab, lass uns weglaufen", wispere ich ihm unter Herzklopfen entgegen.
Tu das nie wieder", erwidert er aufgewühlt und haucht mir dabei einen sanften Kuss auf die Lippen, ehe er zähneknirschend das Haus verlässt. 
Als ich zurück ins Wohnzimmer kehre, beobachte ich noch eine ganze Weile, dass er noch einige Minuten in seinem Wagen vor der Tür sitzt, ehe er den Motor startet, um in der Dunkelheit der Nacht zu verschwinden.
Mein Bruder hat die schlechte Angewohnheit, immer dann nicht zuhause zu sein, wenn ich ihn am besten gebrauchen könnte.
Spätestens nach dem Vorfall gerade eben, sollte auch ihm bewusst sein, dass die Waffen weit aus andere Hintergründe als bloße Selbstverteidigung haben.
Hättest du ernsthaft auf ihn geschossen, Vater?", frage ich ihn nun Angesicht zu Angesicht, als ich mich ihm gegenüber auf das alte Sofa setze. Er hat wieder Platz auf seinem Stammplatz gefunden, die Waffe ist verschwunden und man könnte meinen, dass gerade eben, ist nie passiert.
Wenn ich ihn hätte erschießen wollen, hätte ich es längst getan, Felizitas. Ich wollte ihm eine kleine Lektion erteilen und hätte nicht gedacht, dass er dabei so unbeeindruckt vor mir stehen bleibt", erwidert er mit einem Hauch von Beachtung in seiner Stimme.
Mein Vater spricht in Rätseln, denn seine Antworten sind so schwammig, dass mir immer noch nicht klar ist, ob er ihn hasst, oder ob Fidelio's Furchtlosigkeit Bewunderung in ihm hervorgerufen hat.
Erst in diesen Moment, werden mir zwei Dinge klar.
Fidelio hat die ganze Zeit über eine Waffe mit sich geführt, von der ich nicht einmal wusste, dass er sie besitzt.
Außerdem hat er mir gezeigt, dass er jederzeit bereit ist, sich schützend vor mich zu stellen, wenn die Kugel von vorn kommt.
Wer kann schon behaupten jemanden an seiner Seite zu wissen, der für einen sterben würde?
Vielleicht interpretiere ich aber auch einfach zu viel hinein und es war sein italienischer Stolz, der so mächtig ist, dass er lieber durch einen Schuss in die Brust verendet wäre, als sich meinem Vater zu beugen.
Er ist gut zu mir, Vater. Er hat dir bewiesen, dass er jeder Zeit dazu bereit ist, mich zu beschützen", appelliere ich an seinen verschollenen Verstand.
Wenn ich ihn nur dazu bringen könnte, dass er Fidelio eine Chance gibt, dann müsste ich nicht das Feld räumen, so wie meine Mutter es damals für ihn getan hat.
Um mir zu beweisen, dass er es wert ist, dich an seiner Seite zu wissen, muss er andere Dinge tun, als sich flegelhaft mit einer Waffe in der Hand vor deinem Vater aufzuspielen", entgegnet er mir vertrotzt wie ein kleines Kind.
Willst du, dass ich über Nacht einfach verschwinde, so wie Mom es damals für dich getan hat? Hätte ihr Vater, es euch nicht so schwer gemacht, dann hätte sie jetzt noch ihre Familie an ihrer Seite und ich meine Großeltern", versuche ich ihm ins Gewissen zu reden.
Hättest du dich nicht so liederlich verhalten und hättest der Verlobung mit Paolo zugestimmt, wärst du nicht in der Situation solche unersprießlichen Gedanken zu hegen".
Hätte Mom damals der Verlobung mit diesem anderen Mann zugestimmt, wäre ich gar nicht erst auf die Welt gekommen und hätte mir dein barbarisches Verhalten sparen können", kommt es ohne darüber nachzudenken, über meine Lippen.
Blitzartig schnellt seine flache Hand in die Höhe und landet mit einem lauten Schlag auf meiner rechten Wange.
Während der Schlag mich trifft, wende ich mich von ihm ab und lasse meinen Blick erschüttert zu Boden wandern.
Ich hoffe du weißt, was du mir damit antust. Über den körperlichen Schmerz, kann ich mittlerweile gut hinweg sehen. Aber in meinem Innern empfinde ich nur noch Abscheu für dich, Vater", kommt es mit rauer kratziger Stimme über meine Lippen, als ich mich ermattet von meinem Platz erhebe.
Gerade als ich mich in Richtung Tür bewege, erscheint meine Mutter in ihrem fliederfarbenen Morgenmantel im Rahmen dieser. Sie nimmt sich die Ohrstöpsel aus den Ohren, die sie in der Nacht immer trägt, weil mein Vater schnarcht wie ein Holzfäller.
Mio Dio, was ist hier schon wieder los? Gibt es nicht eine Nacht, in der es keinen Streit gibt?", kommt es bestürzt über ihre Lippen, als ihr Blick zwischen mir und meinem Vater hin und her schweift.
Es ist alles geklärt, Tesoro. Geh schlafen", entgegnet mein Vater ihr überaus freundlich.
Es ist nichts geklärt, Mom. Er hat mir mein Handy abgenommen und hat auf Fidelio mit einer Waffe geschossen. Sie war nicht geladen, aber .. aber er hat Waffen in unserem Haus. Mindestens zwei", versuche ich meiner Mutter panisch zu erklären und überschlage mich fast dabei.
Felizitas, du solltest jetzt ebenfalls in dein Zimmer gehen, bevor du wieder anfängst mit deinen Hirngespinsten", kommt es kopfschüttelnd über die verlogenen Lippen meines Vaters.
Mom, es ist die Wahrheit. Ich zeige sie dir", halte ich dagegen und stürze mich fassungslos auf Vaters Sessel, um die Waffe unter seinem Kissen hervor zu holen.
Als hätte ich es gleich gewusst, ist die Waffe wie durch Geisterhand verschwunden.
Während meine Mutter mich mit einem großen Fragezeichen vor den Augen ansieht, zuckt mein Vater unwissentlich mit den Schultern.
Schnellen Schrittes laufe ich in den Flur, während ihre Blicke mir folgen, knie mich auf den Boden vor unserem Schuhschrank, um ihr die andere Waffe zu zeigen.
Natürlich ist auch diese, bis auf weiteres verschwunden.
Mom, du musst mir glauben", flehe ich sie an, als sie sich mit verschränkten Armen vor mich stellt.
Es ist ziemlich spät geworden, Signora. Mit habt Spaß, meinte ich nicht, dass ihr es bis aufs Äußerste ausreizen sollt", entgegnet sie mir verärgert.
Dieser Junge ist gefährlich, Giovanna. Er war es, der mit einer Waffe auf mich gezielt hat. Er trägt eine Waffe mit sich, während sich unsere Tochter in seiner Nähe aufhält", mischt mein Vater sich Intrigant ein.
Ja, aber nur, weil du zuerst auf ihn gezielt hast. Mom, du musst mir glauben", versuche ich verzweifelt an ihren Verstand zu appellieren.
Ihr wollt mir beide weiß machen, dass sich all das hier in unserem Wohnzimmer abgespielt hat, während ich geschlafen habe? Fanculo, reißt euch endlich mal zusammen, ich bin es leid, dieser ewige Streit zwischen euch beiden", seufzt meine Mutter ermüdet.
Für einen kurzen Augenblick, war ich kurz davor, den Glauben an die Menschheit zu verlieren, als der Herrgott mir ein kleines Zeichen gibt.
Gleich neben dem Sessel meines Vaters, links von einem der hölzernen Füße, liegt eine kleine goldene Patronenhülse aus Messing.
Mom, sieh doch", stoße ich aufgebracht aus, als ich mit dem Finger auf die kleine Hülse am Boden deute.
Sie bückt sich, hebt sie auf und zwirbelt sie zwischen ihren beiden Fingern.
Dolce, du gehst jetzt bitte in dein Zimmer. Dein Vater und ich, müssen uns unterhalten", kommt es mit leerer Miene bitterkalt über ihre Lippen.
Der räsonable Teil in mir, befielt mir, zu gehorchen, deshalb verlasse ich ohne mich zu wehren das Wohnzimmer und verkrieche mich in meinem Zimmer.
Ich hätte nur zu gern Mäuschen gespielt und ihrer Unterhaltung gelauscht, doch sie hat die Tür geschlossen, nachdem ich das Wohnzimmer verlassen habe. Außerdem hängt mir das letzte Mal lauschen noch schwer in den Knochen, denn da habe ich erfahren, dass Paolo mich betrogen hat.
Was würde ich wohl jetzt erfahren, wenn ich ihnen nachlauschen würde?
Es gibt Momente in meinem Leben, da wäre ich gern wieder das kleine unbewanderte problemlose Mädchen, dass ich einst war.
Noch einmal die Welt aus Kinderaugen sehen.
Ich versuche mir all den Kummer zu vertreiben und lasse den heutigen Tag in meinem Kopf Revue passieren.
Ich hab's getan, ich habe mit ihm geschlafen", fährt es mir mit einem Kribbeln durch den Körper, als ich meine beiden Beine fest zusammen presse, um den hinterlassenen Schmerz zu betäuben.
Es war der schönste und zugleich schlimmste Schmerz, den ich je erlebt habe. Aber das Schöne überwiegt, denn ich würde es auf der Stelle wieder tun, um ihm so nah zu sein.
Er war so liebevoll und rücksichtsvoll zu mir, dass ich mir mit niemand besserem, mein erstes Mal, hätte vorstellen können.
Allein dafür, dass er mir seine Liebe gestanden hat, dafür hat es sich gelohnt, ihm so sehr zu vertrauen.
Ich würde ihm gerne schreiben, ihm sagen, dass mir das was ich gerade eben gesagt habe, leid tut. Dass ich ihn liebe und mit ihm bis ans Ende der Welt gehe, wenn es sein muss.
Ich würde gerne Ambra schreiben, ihr erzählen, dass ich es endlich getan habe. Dass ich von nun an mitsprechen kann, wenn sie mir von ihren sexuellen Geschehnissen berichtet.
Aber ohne mein Handy, bin ich machtlos. Unglaublich wie abhängig man von diesem kleinen elektronischen Teil werden kann.
Wie sind die Leute früher ausgekommen, ohne sich ständig via Kurzmitteilungen zu updaten?
Spätestens morgen in der Schule, werde ich ihr von meinen neu gemachten Erfahrungen berichten.
Spätestens morgen in der Schule, werde ich auch Paolo wieder über den Weg laufen.
Ob er ihr ansehen wird, dass ich keine Jungfrau mehr bin?
Mein Kopf platzt beinahe, vor lauter Gedanken und Eingebungen der letzten Stunden. Zu gern, würde ich jetzt am liebsten nach meinem Tagebuch greifen, um mir unbekümmert die Seele vom Leib zu schreiben.
Aber würde mein Vater erfahren, dass ich mit Fidelio geschlafen habe, wäre es sein Todesurteil. Jetzt, mit dem Hintergrundwissen, dass er diese Waffen besitzt, weiß ich; er ist zu allem fähig.
Ich befinde mich in einem stetigen Kampf zwischen Hass und Liebe, fast wie bei Romeo und Julia.
Seit dem ersten Moment unserer Begegnung, kämpfen wir mit dem Zwiespalt zwischen dem Hass meines Vaters und unserer Gefühle zueinander.
Ich rolle mich in meinem Bett hin und her, wälze Gedanke um Gedanke von links nach rechts.
Ich muss dringend Pippi, das letzte Mal, dass ich auf der Toilette war, muss noch in Livorno gewesen sein.
Wenn ich daran denke, Wasser zu lassen, während sich zwischen meinen Beinen alles anfühlt, wie eine offene Wunde, machen sich Angst und Bange in mir breit.
Tatsächlich schaffe ich es einzuhalten, bis ich höre, dass sich die Wohnzimmer Tür öffnet und meine Eltern nebenan im Schlafzimmer verschwinden. Ich wollte vermeiden, dass ich ihnen auf dem Flur begegne, bevor sie auf die Idee kommen, ich würde sie belauschen.
Als ich leise mit nackten Füßen über den Holzboden im Flur tapse, brennt noch Licht hinter der Milchglasscheibe zum Wohnbereich. Die Tür ist nur angelehnt und durch den kleinen lichtdurchfluteten Schlitz, höre ich die Stimme meines Vaters.
Da ich nicht denke, dass er Selbstgespräche führt oder für irgendeine heimliche Theaterprobe übt, nehme ich an, dass er telefoniert. Der Gedanke einer Theaterprobe kommt mir in den Sinn, da er seine Stimme dermaßen verstellt und plötzlich klingt wie der Kopf einer Mafiagang.
Sî, Loco? Auftrag ausgeführt. Kurier hat übernommen".
Mein Vater klingt wie eine schlechte Mischung aus Al Pacino und Marlon Brando aus dem Film „Der Pate".
Fehlt nur noch sein Al Capone Kostüm und er geht durch als einer der berühmt-berüchtigtsten Männer der 20er Jahre.
Er legt auf. Für einen kleinen Moment wird es still, bevor er die nächste Nummer wählt und das Freizeichen laut ertönt.
Ich bin es, Mio Amico. Bernardo Donatella, der Schrecken der Straße", begegnet er der Person freundlich mit einem rauen Lachen am anderen Ende der Leitung.
Ich kann nicht erkennen, wer die Person ist, aber der dunkle Ton und seine Ansprache lassen mich erahnen, dass es sich um einen Mann handeln muss.
Zu meiner Erleichterung, hat mein barbarischer Vater scheinbar keine heimlichen Liebschaften.
Da würde ich ihm die Rolle als Mafiaboss schon eher zutrauen.
„In einer halben Stunde auf dem Parkplatz Bari Brindisi. Appena possibile, tu criminale", kommt es im Befehlston über seine Lippen, ehe er das Gespräch beendet.
Ich verfolge mit meinem Blick, wie er durchs Wohnzimmer läuft, sich seinen Hut schnappt und geradewegs auf die Tür durch die ich hindurch schlenze zusteuert.  
Ich nehme schnellstmöglich meine Beine in die Hand und spurte panisch in Richtung Bad um mich darin einzuschließen. Ich hoffe inständig, dass er nicht dieselbe Idee hat wie ich und auf direktem Wege das Haus verlässt.
Ich traue mich erst das Licht anzuknipsen, als ich höre, wie die Tür leise ins Schloss fällt.
Herr im Himmel, ich werde noch verrückt in diesem Haus.
Am liebsten würde ich ihm folgen, ihn zur Rede stellen, auf frischer Tat ertappen. Aber ich muss viel zu dringend aufs Klo, habe kein eigenes Auto und es ist mitten in der Nacht.
Als ich endlich auf der Toilette sitze, ist es tatsächlich so schlimm wie ich vermutet habe, es brennt wie die schlimmste Blasenentzündung, die man sich nur vorstellen kann.
Ich strecke meinen Kopf forschend zwischen die Beine, so gut wie es eben geht und stelle fest, dass eigentlich alles wie immer aussieht; bis auf dass ich mich fühle, als hätte man mich aufgespießt.
Ich beiße mir fest auf die Lippen und trage mir etwas Wundschutzcreme auf, um den Schmerz zu lindern.
Ob sich alle Mädchen, nach ihrem ersten Mal so jämmerlich verhalten?
Ist es verrückt, wenn ich sage, dass ich es gleich morgen wieder mit ihm tun würde und den Schmerz wieder und wieder in Kauf dafür nehme?
Als ich mich zurück in mein Bett verkrochen habe, eingerollt wie ein Embryo, müssen es nur wenige Sekunden sein, bis ich in einen komatösen Tiefschlaf gefallen bin. 

Am frühen Morgen, bin ich diesmal die Erste die das Haus verlässt, um Paolo nicht über den Weg zu laufen. Leider lässt es sich nur schwer vermeiden, wenn man quasi Tür an Tür wohnt.
Ein erleichtertes Lächeln macht sich auf meinen Lippen breit, als Ambra schon Platz an unserem gemeinsamen Doppeltisch genommen hat.
Dieses Lächeln kenne ich", kommt es fahndend über ihre Lippen.
Ich freue mich einfach dich zu sehen", erwidere ich und schließe sie freudig in meine Arme.
Das meine ich aber nicht, Zita. Du hast dieses „Ich-hatte-Sex-Lächeln" auf den Lippen. Das erkenne ich zehn Meilen gegen den Wind", flötet sie enthusiastisch.
Meinst du dieses hier?", frage ich sie und grinse noch breiter als gerade eben noch.
Oh Gott, Zita. Ihr habt es getan! War es gut? Wie fühlst du dich? Tat es weh?", überschlägt sie sich vor lauter Fragen.
Ich schäme mich noch ein wenig, ihr davon zu berichten, aber schließlich kenne ich auch all ihre Geschichten bis ins Detail.
Es war unglaublich gut, aber genauso sehr tat es auch weh. Ich fühle mich, als hätte man mir einen Dolch rein gerammt", lache ich laut auf und halte mir die Hand dabei vor den Mund.
Er hat die seinen Dolch rein gerammt", lacht sie aus vollem Hals.
Du bist bescheuert, Ambra", erwidere ich und knuffe sie spaßeshalber in die Seite.
Das heißt, jetzt gibt es endlich meine lang ersehnten Doppeldates?", fragt sie fieberhaft, wobei sie aufgeregt in die Hände klatscht.
Ich weiß nicht, ob er der Typ dafür ist", witzele ich mit rollenden Augen.
Das dachte ich von Alfredo auch, aber im Herzen sind sie immer noch leidenschaftliche Italiener", spottet sie.
Ich kann mir Fidelio schwer bei einem Doppeldate vorstellen, er wird Ambra dafür hassen, dass sie ununterbrochen quasselt, wie ein Wasserfall.
Ich konnte mir aber auch nur schwer vorstellen, dass er dem Abendessen von letzten Samstag zustimmt, all diese Überraschungen für mich aus dem Ärmel schüttelt und mir sagt, dass er mich liebt. Geschweige denn, dass er sich mit einer Waffe vor meinen Vater stellt, um mich vor ihm zu beschützen.
Würde ich anfangen meinen eigenen Badboy Roman zu schreiben, wären alle anderen mit einem Mal nicht von Bedeutung.
Jedes Mädchen, wünscht sich einen Fidelio, aber mir ist er schicksalshaft, plötzlich und völlig unerwartet, begegnet.
Als die Schulglocke ertönt und die Uhr ihre großen schwarzen Zeiger auf eins stellt, warte ich nervös auf der untersten Stufe vor dem Eingang auf ihn.
Paolo ist mir in der Pause nur flüchtig begegnet, zu einem Gespräch zwischen uns ist es jedoch nicht gekommen.
Ich hoffe nur, dass Fidelio sich nicht allzu viel Zeit lässt, da ich es nur ungern darauf anlegen will, dass die beiden sich wieder begegnen.
Nach einer weiteren vergangenen Viertelstunde, bekomme ich müde Beine, weshalb ich mich ungeduldig auf den Stufen niederlasse. Augenblicklich suche ich nach meinem iPhone, um zu schauen ob er sich vielleicht gemeldet hat, bis ich wieder realisiere, dass mein Vater es mir gestern Nacht abgenommen hat.
Ich bin achtzehn Jahre alt und habe so dermaßen die Kontrolle über mein Leben verloren, dass ich mir mein Handy von meinem kontrollsüchtigen Vater abnehmen lasse", führe ich mir selbst vor Augen.
Die gefühlt zehnte Viertelstunde ist vergangen, in der er auf sich warten lässt. Die Hoffnung, dass er überhaupt noch erscheint, schwindet mit jeder weiteren Minute.
Hat er es sich etwa anders überlegt, nach dem kleinen Eklat heute Nacht?
Haben ihn meine erheuchelten Worte gegenüber meines Vaters, doch zu denken gegeben?
Um kurz vor zwei, gebe ich die Hoffnung auf und begebe mich schweren Herzens auf den Heimweg.
Ich lasse ihn so nah an mich ran und jetzt lässt er mich doch im Stich.
Alles in mir, versucht mich aus diesem himmlischen Traum aufzuwecken, mir sichtbar zu machen, dass diese Liebe bloß reine Illusion ist.
Fluch oder Segen, Fidelio?

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