Kapitel 6 { Zita }

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Ich war gestern wieder bei den Autorennen, um Alfredo zu treffen. Er hat mich sogar in seinem Wagen mitgenommen.", seufzt Ambra total verliebt neben mir und legt ihr Gesicht theatralisch in ihre Hände.
Der Kerl hat es ihr so richtig angetan.
Sie schwärmt oft von irgendwelchen Typen, die sich meistens als Eintagsfliegen entpuppen.
Aber für ihre Verhältnisse hat sie noch nie so lang und innig für jemanden geschwärmt, wie für Alfredo.
Hast du Fidelio gesehen?", rutscht es mir wie fremdgesteuert über die Lippen.
Ich nutze meine Chance, mich nach ihm zu erkundigen.
Eigentlich sollte es mich gar nicht interessieren, aber das tut es.
Leider viel zu sehr.
Wir haben Mittwoch und seit Samstagmorgen zähle ich förmlich die Stunden, bis wir uns in der Bibliothek wieder begegnen.
Insgesamt sind es noch knapp 71 Stunden.
Das letzte Mal, als ich für etwas die Stunden gezählt habe, waren es die Tage vor Ferienbeginn.
In der sechsten Klasse.
Versteht ihr jetzt, wie wahnsinnig mich dieser Teufelskerl macht?
Ich will mich nicht freuen ihn zu sehen, aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es nicht zu tun.
Ich habe sogar ein wenig Angst davor, dass er es sich bis Samstag anders überlegt und einfach nicht erscheint.
Vielleicht hat er bis dahin eine andere angerempelt und spielt sein Spielchen von vorn.
Es sollte mir eigentlich egal sein, denn er ist ein Arsch und ich bin mit Paolo zusammen, aber es ist mir nicht egal.
Es ist mir verdammt noch mal nicht egal.
Wenn er am Samstag kommt, dann hat er Interesse an mir.
Die große Frage ist, was kann ich mir davon kaufen?
Fidelio?! Du meinst den Typen, der's dir scheinbar angetan hat?"
Sie lacht und wackelt dabei neckisch mit den Augenbrauen.
Er hat es mir nicht angetan.
Vielleicht ein bisschen.
Erwischt.
Der hat's mir nicht angetan. Das ist ein Arschloch.", protestiere ich mit den Augen rollend und krickele dabei kleine Herzchen auf den Collegeblock vor mir.
Wenn ich bereit bin, meinen neuen Collegeblock zu bekrickeln, dann hat er's mir wirklich angetan.
Das ist er in der Tat. Maja, also die Blonde von letztens, war nicht sonderlich begeistert, als das braunhaarige Mädchen gestern mit in seinen Wagen gestiegen ist. Da gab's richtig Beef, da hast du was verpasst!", plappert sie und ich stutze.
„...als das braunhaarige Mädchen in seinen Wagen gestiegen ist."
Hab ich's doch gewusst.
Er macht sich nur einen kleinen Spaß aus mir.
Wie doof bin ich eigentlich zu glauben, dass er mich wirklich mögen könnte.
Prompt wird mir übel und ich werde von einem Gefühl übermannt, das ich bisher aus der Sammlung meiner „Gefühlsgalerie" nicht kannte.
Wenn ich mich nicht irre, dann ist es Eifersucht.
Was für ein widerliches Gefühl.
Paolo hat mir bisher nie einen Grund gegeben, eifersüchtig zu sein.
Selbst wenn er mit anderen Mädchen in der Schule spricht, bin ich nicht eifersüchtig.
Ich weiß, er hat nur Augen für mich und würde nie etwas derartiges tun, das mich verletzen könnte.
Gerade verspüre ich brennende Eifersucht, ohne jegliche Berechtigung dazu.
Für einen kurzen Moment flackert sie auf, dann rede ich mir ein, dass es völliger Quatsch ist, eifersüchtig zu sein.
Ich beruhige mich und das ekelige Gefühl verblasst für den Moment.
Plötzlich aber nimmt es wieder ein Extrema an, sodass ich kaum noch atmen kann.
Ich streiche die Herzen auf meinem Collegeblock durch, indem ich unzählige Striche darüber kritzele.
So viele Striche, dass die Herzen nach und nach verschwinden.
Blöde Herzen.
Ich presse den Kugelschreiber so fest auf das Papier, dass sich der Abdruck noch auf die nachfolgenden Seiten durchdrückt.
Alles okay, Zita? Du bist plötzlich so still."
Ich nicke bloß.
Alles okay. Pass bitte auf mit diesem Alfredo. Das sind keine guten Typen, Ambra.", murmle ich gedankenverloren.
Weißt du, eigentlich wollte ich's dir noch nicht sagen, aber wir sind so gut wie zusammen. Er lädt mich am Wochenende zum Essen ein."
Wieder verfällt sie in dieses dämliche, verliebte Grinsen.
Sie schwebt auf Wolke sieben und befindet sich schon lang nicht mehr hier bei mir im Klassenzimmer.
Lediglich ihr Körper sitzt hier neben mir auf der ranzigen, alten Holzbank.
Ihre Seele schwebt mit kleinen Engelchen von Wolke zu Wolke.
Ich hingegen befinde mich in der Hölle.
Ambra hat's so gut.
Sie kann tun und lassen wonach ihr ist.
Treffe ich meine eigenen Entscheidungen enden sie damit, dass ich mich am Abend durch mein Fenster nach draußen schleichen muss.
Die Möglichkeiten die man als junge heranwachsende Frau heutzutage hat, sind unzählig, ich aber befinde mich in einem aussichtslosen Hamsterrad.
Mach dir keine Sorgen, er ist ein guter Kerl. Dein Bruder scheint übrigens auch eine Freundin zu haben. Sie heißt Emilia und er ist mit ihr zusammen am Schauplatz erschienen. Ein Typ wollte sie gestern anbaggern, dann hat er sich geprügelt. Ich habe Damaso noch nie so außer sich erlebt.", informiert sie mich und blättert in ihrem Heft rum.
Mein vernünftiger Bruder hat sich geprügelt?
Mein Bruder hat eine Freundin?
Derselbe Bruder, der bislang nie etwas vor mir verschwiegen hat?
Bis auf, dass er diese illegalen Rennen fährt.
Bis auf, dass er scheinbar eine Freundin hat.
Bis auf, dass er sich für Mädchen prügelt.
Ist auch er einer dieser Badboys aus meinen Büchern, die Mädchen wie mir das Herz brechen?
Wann ist das passiert, dass selbst mein Bruder nicht mehr der ist, der er einst für mich war?
Oder war er schon immer so und hat mir bloß etwas vorgespielt?
Und du bist dir ganz sicher, dass es Damaso war?", hake ich nach.
Ich bin völlig fassungslos. Ich kann nicht einmal so viel essen, wie ich gerade kotzen könnte.
Enttäuschung und Eifersucht sind eine ganz schlechte Kombination.
Sünden.
Sì. Ich bin mir so sicher, wie das Amen in der Kirche. Er hat sogar nach dir gefragt und wirkte erleichtert, dich dort nicht wieder anzutreffen."
Ich seufze und schweige die restliche Zeit des Unterrichts vor mich hin.
Seit der Begegnung mit Fidelio in der Bibliothek scheint mein sonst so geordnetes Leben, aus den Fugen zu geraten.
Plötzlich habe ich eine ganz andere Sicht auf die Dinge.
Auf Paolo.
Auf Damaso.
Auf mein gesamtes, scheiß-kompliziertes Leben.
Hätte ich die Bücher nur eine Woche später zurück gebracht, wären wir uns sicherlich nie begegnet.
Fluch oder Segen?
Aber all diese Dinge passieren nicht ohne Grund, oder?
Vielleicht war es Schicksal.
Mein Hilferuf, der nun erhört wurde.
Vielleicht auch einfach nur der nächste Mist, der mich noch mehr in die Scheiße reiten wird.

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