Kapitel 5 { Zita }

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Paolo hat es tatsächlich geschafft, meinen Vater von seinen Kinoplänen zu überzeugen.
Ich weiß nicht wie, aber mit der Zeit hat er es geschafft, eine Verbindung zu meinem Vater aufzubauen.
Wahrscheinlich weil er weiß, wie ehrfürchtig Paolo ihm gegenüber ist.
Wahrscheinlich auch, weil er Paolo unter vier Augen in den Schwitzkasten genommen hat, um ihm sein Gehirn zu waschen.
Wir dürfen uns den Film ansehen, danach muss er mich aber auf direktem Wege nach Hause bringen.
Außerdem muss es die Vorstellung um achtzehn Uhr sein.
Die um zwanzig Uhr wäre zu spät, da wird es schon dunkel.
Dafür fällt ausnahmsweise das gemeinsame Essen mit unseren Familien flach. 
Paolo freut sich darüber mehr als ich, muss ich gestehen.
Er freut sich wie ein kleiner Junge an Weihnachten darüber, mit mir, seiner Freundin ins Kino zu gehen.
Und ich?
Ich denke seit der Begegnung in der Bibliothek heute Morgen pausenlos an das Arschloch Fidelio.
Mich plagt so ein ausgesprochen schreckliches Gewissen, dass es mir berstende Magenschmerzen bereitet.
Paolo hält meine Hand, ich denke an Fidelio.
Paolo legt seinen Arm um mich, ich denke an Fidelio.
Paolo küsst mich, bevor die Vorstellung losgeht, ich denke an Fidelio.
Fidelio hat sich in mein Gehirn gebrannt wie ein Virus.
Denke ich an Fidelio, weil er mir wirklich gefällt oder gefällt mir bloß die Vorstellung, dass er einer der Badboys aus meinen vielen Büchern ist?
Gefällt mir nur der Gedanke daran, einen Lichtblick in meinem langweiligen Leben zu haben - einen Fluchtweg, oder ist er es, der mir wirklich gefällt?
Könnte es auch jeder andere sein der mich reizt, weil er aus der Rolle fällt und sich von anderen unterscheidet, oder geht es mir wirklich um ihn?
Ich weiß nichts über ihn.
Ich weiß nur, dass er raucht, trinkt, jeden Tag eine andere Freundin hat und illegale Autorennen fährt.
Nichts von dem man behaupten könnte: „Das ist ein Traum von Mann!"
Ganz im Gegenteil: alle Punkte wirken mehr als abstoßend auf mich.
Aber tun sie das wirklich?
Dann sind da seine unglaublich tiefblickenden Augen, dieser einnehmende Duft und sein kesses Lächeln.
Ich habe das Gefühl, je frecher er ist, je mehr blöde Sprüche aus seinem weichen, vollen Mund kommen, desto besser gefällt er mir.
Ist das etwa dieses absurde Phänomen, dass Mädchen immer den Badboys verfallen?
Eines weiß ich jetzt: er kann freundlich sein, wenn er nur will.

Ich greife in die Überraschungstüte voller Popcorn und verziehe angewidert mein Gesicht, als ich ein salziges erwische.
Wer zur Hölle mag salziges Popcorn?
Paolo hat drauf bestanden, dass wir den Mix aus beidem nehmen.
Wieder erwische ich ein salziges.
Und noch eins.
Sind da überhaupt süße drin?!
Ganz genau so fühlt es sich mit Paolo an.
Er war für mich immer das süße Popcorn.
Jetzt wo der Ernst des Lebens immer näher rückt und wir immer mehr in diese unbequeme Form namens „Leben" gepresst werden, wird er mehr und mehr zum salzigen Popcorn.
Paolo erzählt mir von seinen Plänen mich zu heiraten.
Salziges Popcorn.
Paolo erzählt mir von unseren zukünftigen Kindern.
Salziges Popcorn.
Paolo sagt, ich muss nicht studieren gehen, da er das Geld für uns verdient.
Verdammt salziges Popcorn.
Verrückt, dass einfaches, popeliges Kinopopcorn solche Gedankengänge in mir auslöst.
Fahr zur Hölle, salziges Popcorn.
Nach gut zwei Stunden ist die Vorstellung vorbei.
Ich habe das Gefühl, überhaupt nichts vom Inhalt des Films mitbekommen zu haben.
Nein, nicht weil wir damit beschäftigt waren, wild herum zu knutschen.
Sondern weil meine Gedanken bei dir sind.
Bei dir, Fidelio.
Der rote Vorhang vor dem schwarzen Bildschirm zieht sich mit einem Mal vor unseren Augen zu.
Immer noch ist es dunkel im Kinosaal.
Der Filmprojektor ist die einzige Lichtquelle, die dem urigen Raum etwas Licht einhaucht.
Um uns herum befinden sich noch immer eng umschlungene, küssende Pärchen.
Aber da zählen wir nicht hinzu.
Paolo hat seine Hand sachte auf meinem Schoß liegen, als wären wir immer noch zwölf.
Verzehrt er sich denn gar nicht danach, wild mit mir herum zu knutschen, wenn er die Gelegenheit dazu hat?
Wenn er die Möglichkeit hat, sich meinem Vater zu widersetzen für einen kleinen Augenblick?
Hat er solch eine Furcht vor ihm oder handelt er so aus freien Stücken?
Er beugt sich zu mir herüber.
Fehlalarm.
Gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
Enttäuschung.

Just like the guys in my books Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt